# taz.de -- Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: „Handeln kommt aus der H… | |
> Frauen müssen bei Tsitsi Dangarembga gegen eine doppelte Unterdrückung | |
> ankämpfen: patriarchale Strukturen und rassistische Unterjochung. | |
Bild: „Ich finde, dass das Schreiben mich wollte und nicht umgekehrt.“ Tsit… | |
Als Tsitsi Dangarembga 1959 im südlichen Afrika geboren wurde, hieß ihre | |
Heimat noch Südrhodesien und war britische Kronkolonie. Doch die Familie, | |
in die sie hineingeboren wurde, war bereits außergewöhnlich. Ihre Mutter | |
war die erste schwarze Frau, die im Land einen Hochschulabschluss | |
absolviert hat – ein Meilenstein der Gleichstellung und Emanzipation, der | |
die spätere Filmemacherin Tsitsi Dangarembga zutiefst geprägt haben muss. | |
Prägend war wohl auch ihre frühe Kindheit, die sie in England verbrachte, | |
wo sie als schwarzes Mädchen zur Schule ging. Deswegen bezeichnet sie bis | |
heute Englisch als ihre Muttersprache und nicht ihre Heimatsprache Shona, | |
die sie erst in Afrika zu sprechen begann. | |
Die Familie kehrte 1965 zurück, als sich Rhodesien einseitig für unabhängig | |
erklärte. Damals herrschte Aufbruchstimmung in den ehemaligen Kolonien des | |
Kontinents. Die schwarze Bevölkerung begann, gegenüber den ehemaligen | |
Kolonialherren ihre Rechte einzufordern. In jener spannungsreichen Zeit | |
besuchte die junge Tsitsi eine elitäre Sekundarschule in der heutigen | |
Hauptstadt Harare, die damals noch Salisbury hieß. In ihrer Klasse waren | |
fast nur weiße Mädchen. Sie war von Beginn an eine Einzelgängerin. | |
Nach ihrem Schulabschluss zog es Dangarembga erst einmal nach England | |
zurück. Sie begann an der Universität Cambridge mit einem Medizinstudium – | |
und schmiss es nach drei Jahren. Angeblich hat sie sich an der Uni isoliert | |
gefühlt, wie bereits in den Schulen zuvor. Als schwarze Frau war sie ein | |
Sonderling im britischen, elitären Bildungssystem. | |
## Rebellion gegen die Rolle | |
Doch jetzt war sie alt genug, gegen diese Rolle zu rebellieren und ihre | |
eigenen Entscheidungen zu treffen. Zurück in Simbabwe, arbeitete sie | |
kurzzeitig als Lehrerin und begann dann ein Studium der Psychologie an der | |
Universität in Harare. Ihre tatsächliche Leidenschaft entwickelte sie | |
jedoch in den Theaterklassen an der Uni. | |
Auch hier traf sie auf eine Atmosphäre, die nach Veränderung schrie, wie | |
sie später beschreibt: „Es gab einfach keine Theaterstücke mit Rollen für | |
schwarze Frauen, oder zumindest hatten wir damals keinen Zugang dazu. Die | |
Schriftsteller in Simbabwe waren zu der Zeit hauptsächlich Männer. Ich sah | |
wirklich nicht, dass sich die Situation ändern würde, es sei denn, eine | |
Frau setzte sich hin und schrieb etwas, also habe ich das getan!“ | |
[1][Tsitsi Dangarembga] war keine 25 Jahre alt, als ihr der literarische | |
Durchbruch gelang mit ihrem Werk „Nervous Conditions“, das autobiografisch | |
angelegt war und das sie später zu einer Trilogie erweiterte. Darin geht um | |
das Schicksal zweier junger afrikanischer Mädchen, Tambudzai (genannt | |
Tambu) und deren Kusine Nyasha, die in den 1960er Jahren auf einer Farm in | |
Rhodesien unter ärmlichen Bedingungen aufwachsen. | |
## Doppelte Unterdrückung | |
Vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitskampfes auf dem Kontinent erfahren | |
die jungen Mädchen zunächst eine doppelte Unterdrückung: die der | |
patriarchalen Strukturen der Kultur der Shona und die rassistische | |
Unterjochung durch die Weißen. | |
Durch Zufall bekommen die jungen Mädchen eine Chance auf Bildung – und sind | |
dadurch in der Lage, sich zu behaupten. Sie rebellieren gegen das System. | |
Doch wie der Titel des Buches verrät, geht das Aufbegehren einher mit | |
körperlichem Leiden: | |
Nyasha, die wie die Autorin selbst mit ihren Eltern einige Jahre in England | |
verbracht hat, wird magersüchtig. Sie trägt Miniröcke und benutzt Tampons – | |
was als „unafrikanisch“ gilt. Am Ende besuchen die Mädchen eine Schule nur | |
für Weiße und überwinden somit die damals festgezimmerten Hierarchien von | |
Klasse, Rasse und Geschlecht. | |
Bereits als Schulkind, so berichtete Dangarembga einst im Interview, wollte | |
sie Bücher schreiben und Filme produzieren. Es war quasi eine Berufung, | |
meint sie: „Ich finde, dass das Schreiben mich wollte und nicht umgekehrt.“ | |
## Schwierige Emanzipation | |
Nicht nur Dangarembgas Romanheldin, sondern auch ihre eigene Biografie | |
stehen sinnbildlich für eine schwierige und oft qualvolle Emanzipation. | |
Denn sie war die erste schwarze Frau in Simbabwe, die schließlich einen | |
Roman herausbrachte, der damals zunächst von vier Verlagen in Simbabwe | |
abgelehnt worden war. | |
Er erschien 1988 zuerst im feministischen Verlag The Women’s Press in | |
London, später in den USA und schließlich auch in Simbabwe. Er wurde in | |
viele Sprachen übersetzt: „Aufbrechen“ heißt der Titel in der deutschen | |
Übersetzung. Später wird ihre Trilogie von der BBC als eines der | |
wichtigsten Werke des Jahrhunderts bezeichnet. | |
Mit dem Roman gelang der jungen Autorin ihr eigener Auf- und Durchbruch. | |
1989 erhielt sie den Commonwealth-Literaturpreis für die Region Afrika – | |
und gilt seither als eine der radikalsten weiblichen Stimmen des | |
Kontinents. Im selben Jahr verschlägt es sie nach Deutschland, an die Film- | |
und Fernsehakademie in Berlin, wo sie Regie studiert. | |
1992 gründet sie die Produktionsfirma „Nyerai Films“. In ihren Spiel- und | |
Dokumentarfilmen zieht sich das Motiv ihrer Romane fort: die Emanzipation | |
der Frau und die körperliche Qual der Unterdrückung, die es zu überwinden | |
gilt. | |
## Von Deutschland nach Simbabwe | |
Mit dem Rüstzeug der europäischen Bildung und einem Netzwerk an Kontakten | |
kehrte sie im Jahr 2000 mit ihrem deutschen Mann, ebenfalls Filmemacher, | |
und den gemeinsamen Kindern nach Simbabwe zurück. In dem Land herrschte | |
keine Aufbruchstimmung mehr, im Gegenteil. | |
Die von der Bevölkerung lang ersehnten Land- und Verfassungsreformen, die | |
den Simbabwern endlich ihre Unabhängigkeit und ihre Rechte gegenüber den | |
weißen Großfarmern garantieren sollten, endeten im Chaos. Das Regime unter | |
Langzeitpräsident Robert Mugabe begann seine Zähne gegen Oppositionelle und | |
Regierungskritiker zu fletschen. Die Landreform verwandelte die einstige | |
„Kornkammer Afrikas“ in ein Land voller Hungersnöte und Hyperinflationen. | |
Auch sie selbst, obwohl mittlerweile international erfolgreich, hat mit | |
finanziellen Problemen zu kämpfen. „Mein Büro habe ich im eigenen Haus“, | |
berichtete sie damals einer deutschen Zeitung im Interview: „Fünf junge | |
Leute, mein Mann und ich, wir alle arbeiten in einer Garage, die mein Mann | |
umgebaut hat. Es ist schwierig, die Mittel zusammenzukriegen, um meine | |
jungen Leute zu bezahlen.“ | |
## Images Film Festival for Women | |
Vor diesem Hintergrund hat Dangarembgas Wirken in ihrer Heimat eine hohe | |
Bedeutung. Sie gibt den Frauen in Simbabwe eine Stimme, denn sie gründet im | |
Jahr 2000 den Verband für weibliche Filmemacherinnen in Simbabwe und ruft | |
2002 das International Images Film Festival for Women ins Leben, das | |
seitdem jährlich in Harare stattfindet. | |
„Wenn ihr wollt, dass euer Leiden aufhört, müsst ihr handeln“, hat | |
Dangarembga einmal erklärt. „Handeln kommt aus der Hoffnung.“ Dieses Motto | |
zieht sich in ihren weiteren Büchern fort. Denn sie hat sich förmlich das | |
Leiden, das ihr als junges Mädchen in einer patriarchalischen afrikanischen | |
Gesellschaft, geprägt von rassistischen und geschlechterspezifischen | |
Hierarchien, angetan wurde, von der Seele geschrieben – und diesen Prozess | |
wunderbar in ihren Romanen und Filmen widergegeben. | |
18 Jahre nach ihrem Debütroman setzte sie die autobiografisch angehauchte | |
Geschichte um das simbabwische Mädchen Tambu fort. Dieses Mal spielt der | |
Roman in den 1970er Jahren, vor dem Hintergrund des Freiheitskampfes in | |
Dangarembgas Heimat. „The Book of Not“ (Das Buch der Verneinungen) heißt | |
der zweite Teil. | |
In ihm geht es um die Unterdrückung, die das schwarze Mädchen Tambu in | |
ihrem weißen, katholischen Internat erfährt. Dabei ist sie klug und | |
intelligent und hat alle Chancen auf eine Karriere. Sie ist getrieben von | |
Hoffnung. | |
## Trilogie vollendet | |
Weitere 12 Jahre später vollendet Dangarembga schließlich die Trilogie, vor | |
dem Hintergrund des kompletten wirtschaftlichen Verfalls ihres Landes. | |
„This Mournable Body“ (Dieser beklagenswerte Körper) heißt der Band im | |
Original. „Überleben“ lautet der deutsche Titel, der im Orlanda Verlag | |
Berlin herausgekommen ist. | |
Der vielversprechende Weg Tambus hat eine jähe Wende genommen. Obwohl gut | |
ausgebildet, hat sie nichts aus ihrem Leben gemacht und lebt, mittlerweile | |
im mittleren Alter, heruntergekommen in der Hauptstadt Harare. | |
Sie leidet an Wahnvorstellungen und endet in der Psychiatrie. In ihrem Wahn | |
begegnet ihr eine Hyäne, die ihren verwesenden Körper fressen will: „Du | |
bist falsch gebaut. Du wirst zerlegt“, heißt es in dem Roman: „Die Hyäne | |
lacht-heult über diese Zerstörung. Sie kreischt wie ein wahnsinniger Geist, | |
der Boden unter dir löst sich auf.“ | |
„Es war nicht wirklich meine Absicht, die Nation widerzuspiegeln. Ich | |
denke, bei einer solchen Geschichte war dies unvermeidlich“, erklärte | |
Dangarembga über die Parallele zum Zustand ihres Heimatlandes, die sich im | |
verfallenen Körper und Geisteszustands Tambus widerspiegelt. Dieser letzte | |
Teil der Trilogie landete 2020 auf der Shortlist des Booker-Preises. | |
## Im Fadenkreuz des Regimes | |
Durch ihre Arbeit und ihre internationale Aufmerksamkeit gerät Tsitsi | |
Dangarembga zu Hause immer mehr in das Fadenkreuz des korrupten, | |
diktatorischen Regimes in Simbabwe. Obwohl Präsident Mugabe 2017 durch | |
einen Quasi-Putsch abgelöst wurde, ändern sich die Verhältnisse nicht. Als | |
im Jahr 2020 zahlreiche Korruptionsskandale im Rahmen der Coronapandemie | |
ans Licht kommen, ruft Dangarembga, mittlerweile 61 Jahre alt, gemeinsam | |
mit weiteren Oppositionellen und Regierungskritikern zum Protest auf. Dabei | |
wird sie verhaftet und später wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Gewalt | |
angeklagt. | |
Im Interview mit dem britischen Sender BBC gibt sie sich nervös. „Ich mache | |
mir Sorgen um meine Sicherheit. Es wäre naiv, dies nicht zu tun“, sagt sie, | |
„weil wir ein sehr repressives Regime haben.“ | |
Dangarembgas zahlreiche Auszeichnungen, die sie in diesem Jahr erhält, sind | |
somit mehr als nur eine Ehrung einer einzelnen Frau, sondern sollen ihr | |
auch Schutz und Anerkennung für ihren Freiheitskampf geben. Im Januar | |
erhielt sie den Pen International Award for Freedom of Expression, im | |
Juni den Pen Pinter Prize für ihr Gesamtwerk, und jetzt wird sie zum Ende | |
der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
bekommen. | |
## „Eine weithin hörbare Stimme Afrikas“ | |
In der Begründung der Jury heißt es: „In ihrer Romantrilogie beschreibt | |
Tsitsi Dangarembga am Beispiel einer heranwachsenden Frau den Kampf um das | |
Recht auf ein menschenwürdiges Leben und weibliche Selbstbestimmung.“ Sie | |
sei deswegen nicht nur „eine der wichtigsten Künstlerinnen ihres Landes“, | |
sondern auch „eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der | |
Gegenwartsliteratur“. | |
Dass eine afrikanische Autorin, deren Werke in Deutschland beim winzigen | |
Orlanda Verlag in Berlin erschienen sind, der sich auf Gleichstellung der | |
Geschlechter und gegen Rassismus fokussiert, den diesjährigen Friedenspreis | |
bekommt, ist lange überfällig. In der deutschen Literaturszene spielt der | |
Nachbarkontinent Afrika bislang nur eine minimale Rolle. Es besteht nun | |
Hoffnung, dass sich dieses ändert, denn der Freiheitskampf der | |
afrikanischen Frauen, den Dangarembga in ihren Werken immer wieder zum | |
Thema macht, bietet auch den deutschen Lesern viel unbekannten Stoff. | |
23 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Afrodiasporische-Schriftstellerinnen/!5704764 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
## TAGS | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Afrika | |
Emanzipation | |
Feminismus | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023 | |
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024 | |
Kolonien | |
Literatur | |
Literatur | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
Afrika | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
Film | |
Simbabwe | |
Literatur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Politischer Roman von NoViolet Bulawayo: Die Verkommenheit mächtiger Tiere | |
Die Autorin NoViolet Bulawayo aktualisiert George Orwells „Farm der Tiere“. | |
Ihr Roman „Glory“ ist eine politische Parabel über Simbabwe. | |
Übersetzungen postkolonialer Romane: Die andere Seite vom Stacheldraht | |
Postkoloniale Literatur kann die Sicht auf die Welt nachhaltig verändern. | |
Ein Überblick über aktuelle Romane – von Dangarembga bis Varatharajah. | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Ukrainer Serhij Zhadan geehrt | |
Zhadan gehört zu den wichtigsten Stimmen der Gegenwartsliteratur. Die | |
Laudation kam von Sasha Marianna Salzmann. | |
Prozess in Simbabwe: Dem Regime zu unbequem | |
In Simbabwe geht der Schauprozess gegen die mit einem Deutschen | |
verheiratete Tsitsi Dangarembga weiter. Die Schriftstellerin gibt sich | |
kämpferisch. | |
Autor Serhij Zhadan erhält Friedenspreis: Den Lebenden zuhören | |
Der Schriftsteller Serhij Zhadan erhält den Friedenspreis des Deutschen | |
Buchhandels. Er schreibt aus dem kriegsbedrohten Charkiw. | |
Mutter-Tochter Geschichte aus dem Tschad: Wo Frauen einander helfen | |
Mahamat-Saleh Harouns Film „Lingui“ beobachtet das kluge Savoir-vivre einer | |
Mutter und ihrer Tochter im Tschad. Dort darf der Film nicht laufen. | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Ausgezeichnete Selbstbestimmung | |
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht an Tsitsi Dangarembga. In | |
ihren Romanen geht es um Selbstbestimmung und Feminismus. | |
Afrodiasporische Schriftstellerinnen: Hoffen auf die Köchin Halima | |
Seit über fünfzig Jahren schreiben afrikanische Schriftstellerinnen aus der | |
Diaspora. Zunehmend blicken sie auf Kolonialismus und Sklavenhandel. |