# taz.de -- Politischer Roman von NoViolet Bulawayo: Die Verkommenheit mächtig… | |
> Die Autorin NoViolet Bulawayo aktualisiert George Orwells „Farm der | |
> Tiere“. Ihr Roman „Glory“ ist eine politische Parabel über Simbabwe. | |
Bild: Die aus Simbabwe stammende Autorin NoViolet Bulawayo | |
Dreißig Jahre lang stagnierte Simbabwe unter [1][Robert Mugabes | |
Präsidentschaft.] Menschenrechtsverletzungen, Korruption und internationale | |
Sanktionen hielten die Bevölkerung in Armut und Unfreiheit, während das | |
Regime die dürftigen Erträge der Wirtschaft ausbeutete. Als 2017 Wahlen | |
anstanden, regte sich ein Machtkampf um die Nachfolge des hochbetagten | |
Vaters der Nation. Auf den Straßen erhoffte man sich lang ersehnte | |
Reformen, das Volk sah seine Zeit kommen. | |
Und tatsächlich entmachtete das Militär Mugabe und auch seine Ehefrau, die | |
sich für das Präsidentenamt in Stellung gebracht hatte. Die großen | |
Erwartungen wurden gleichwohl enttäuscht. Die Generäle setzten den früheren | |
Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa ins Amt, das Regime tauschte lediglich | |
sein Gesicht, die Probleme blieben die alten. | |
NoViolet Bulawayo, geboren 1981, floh im Alter von 18 Jahren in die USA, wo | |
sie kreatives Schreiben studierte. Ihr vielfach ausgezeichnetes Debüt „Wir | |
brauchen neue Namen“ erzählte eine Coming-of-Age-Geschichte in einer | |
Township. Ursprünglich wollte sie daraufhin die verhinderte Revolution | |
Simbabwes in einem Sachbuch verhandeln, wählte dann aber eine andere Form. | |
Ihr Roman „Glory“ spielt im fiktiven Jidada, auch die Namen der prominenten | |
Charaktere sind verändert. Vor allem ist dieser Staat bevölkert von Tieren. | |
Mugabe und Mnangagwa sind Pferde, der oberste Geistliche ist ein Schwein, | |
die Soldaten sind allesamt blutrünstige Hunde, im Fußvolk tummeln sich | |
Ziegen, Hühner, Esel und Katzen. | |
## Kurz wittern sie Freiheit | |
Der Bezug zu „Farm der Tiere“ ist mehr als deutlich. George Orwell | |
beschrieb in seiner 1945 veröffentlichten Fabel, wie die Tiere eines Hofs | |
ihren Bauern verjagen, um den Betrieb von nun an selbstbestimmt und | |
kollektiv zu organisieren. Für eine Weile wittern sie tatsächlich Freiheit, | |
doch dann übernimmt eine Clique von Schweinen die Kontrolle. Zentrale | |
Figuren der sowjetischen Geschichte wie Stalin, Trotzki oder Molotow waren | |
bestens erkennbar. | |
Um das sowjetische System zu desavouieren, brauchte Orwell kaum mehr als | |
100 Seiten. Bulawayo schließt an dieses Vorbild an. Ihre Entscheidung gegen | |
die nüchterne Prosa eines von der Zeitgeschichte herausgeforderten | |
Sachbuchs ist keine gegen die Beschreibung realer Verhältnisse. | |
Denn die politische Parabel fordert zur forcierten Beschäftigung mit der | |
Gesellschaft heraus. Was ist, soll in der künstlerischen Verzerrung als das | |
erkennbar werden, was es tatsächlich ist, und nicht mehr als das, was die | |
Mächtigen verbreiten. Wie unter einem gesprungenen Brennglas geraten | |
Ungerechtigkeiten so in verzerrter Schärfe in den Blick. | |
## Der starke Hengst im Staat | |
Bulawayo weicht jedoch [2][auch deutlich von Orwells Programm ab.] Es geht | |
ihr weniger um Akkuratesse und argumentative Überzeugung, denn um | |
satirische Zuspitzung. Der gestürzte Präsident ist ein seniler Klepper, der | |
glaubt, sogar den Lauf der Sonne steuern zu können. | |
Der neue starke Hengst im Staat ist ein gieriger Wüstling, der Siris | |
Computerstimme erliegt, da sie als Einzige zuverlässig nur das sagt, was er | |
hören will. Seine Militärs beschnüffeln ihm ehrerbietig Schweif und | |
Hinterteil. „Ja, General Saint Zhou rammelte ihm sogar begeistert das | |
Bein.“ | |
Die Verlagerung in die Tierwelt ist hier nicht nur eine Ausweichbewegung, | |
um die Gesetzmäßigkeiten der Despotie genauer erfassen zu können, sondern | |
auch eine Strategie, die realen Vorbilder lächerlich zu machen. Die Tiere | |
werden einerseits vermenschlicht, sie twittern, foltern, fliegen mit dem | |
Privatjet. Zugleich wird ihre Gier, ihre Dummheit und Brutalität von einer | |
animalischen Natur hergeleitet. | |
Daraus ergibt sich ein literarisches Problem, denn auch die geknechtete | |
Bevölkerung besteht ja aus Tieren. Müsste ihr Wunsch nach Freiheit, der | |
poetologischen Logik folgend, somit nicht auch von niederen Instinkten | |
motiviert sein? Und müsste ferner nicht auch ein Unterschied zwischen den | |
unterlegenen und den mächtigen Tieren erkennbar werden? | |
## Märtyrertod à la Hollywood | |
Bei Orwell stehen die Schweine am Schluss auf zwei Beinen, sie haben sich | |
den Menschen gleichgemacht und sich über ihre Genossen erhoben. Bei | |
Bulawayo ist die Fauna von Anfang an schlicht in Gut und Böse eingeteilt. | |
Diese Parabel scheint nicht so recht zu wissen, was sie bedeuten möchte. | |
Und auch die Satire läuft zum Ende hin ins Leere, wenn die Autorin | |
drastische Gewaltszenen schildert und mit viel Pathos eine ihrer | |
Hauptfiguren im Kampf gegen das Regime opfert. Der Märtyrertod, wie sie ihn | |
hier geradezu hollywoodesk inszeniert, mag nicht so recht zu einem Roman | |
passen, in dem es über weite Strecken um ein heiteres Vorführen der | |
Verkommenheit einiger mächtiger Idioten geht. Die Autorin verlangt zu viel | |
von ihrem Buch, es soll aufklären und anklagen, zum Lachen wie zur Empörung | |
anstiften, es will zugleich Posse und politisches Manifest sein. | |
Bemerkenswert ist „Glory“ dennoch, wegen des unerhörten Sounds, der hier | |
aus den Seiten dringt und drängt. Bulawayo schreibt rasant, rhythmisiert | |
ihre Sätze virtuos, flicht Jugendsprache ein und beweist bestes Gespür für | |
Timing. Ihrem Übersetzer Jan Schönherr ist es zu verdanken, dass sich | |
dieser flirrende Ton auch im Deutschen beeindruckend klar transportiert. | |
9 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Michael Wolf | |
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