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# taz.de -- EU-Rechtsstaatsmechanismus: EuGH verhandelt über Sanktionshebel
> Polen und Ungarn wollen finanzielle Einbußen wegen mangelnder
> Rechtsstaatlichkeit verhindern. Daher haben sie Klage eingereicht.
Bild: Protest vor dem Verfassungsgericht Polens wegen eines umstrittenen Urteils
Freiburg taz | Polen und Ungarn wollen EU-Sanktionen wegen ihrer mangelnden
Rechtsstaatlichkeit verhindern. An diesem Montag verhandelt der Europäische
Gerichtshof (EuGH) über eine Klage der beiden Staaten gegen eine im Vorjahr
von der EU beschlossene Verordnung, die entsprechende Finanzsanktionen
ermöglicht.
Wenn die EU-Kommission „Verstöße gegen die Grundsätze der
Rechtsstaatlichkeit“ feststellt, die den ordnungsgemäßen Umgang mit Geldern
aus dem EU-Haushalt bedrohen, kann sie die Auszahlung solcher Fördergelder
aussetzen. Das sieht die „Verordnung über eine allgemeine
Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“ vor. Anlass
kann zum Beispiel eine mangelhafte gerichtliche Kontrolle der
Geldverwendung durch unabhängige Gerichte sein.
Gegen diese Verordnung haben Polen und Ungarn Klage eingereicht. Der EuGH
soll die Verordnung für nichtig erklären. Sie umgehe den eigentlich im
EU-Vertrag vorgesehenen Sanktionsmechanismus, wonach der Entzug des
Stimmrechts gegen einen Mitgliedstaat von den anderen EU-Staaten nur
einstimmig beschlossen werden kann. Tatsächlich blockieren Polen und Ungarn
entsprechende Verfahren, weil sie sich gegenseitig decken. Auch deshalb
wurde die Möglichkeit von Finanzsanktionen eingeführt; hier genügt ein
Mehrheitsbeschluss der EU-Staaten. Polen und Ungarn gehen aber davon aus,
dass es für die Verordnung keine Rechtsgrundlage in den EU-Verträgen gebe.
Der EuGH verhandelt am Montag und Dienstag über die Klagen. In einigen
Wochen oder Monaten wird der unabhängige Generalanwalt das Urteil durch ein
Gutachten vorbereiten. Weitere Monate später wird der EuGH sein Urteil
verkünden.
## Erst soll der EuGH die Rechtmäßigkeit bestätigen
Die Sanktionsverordnung ist bereits seit Januar in Kraft, wurde aber noch
nicht angewandt. Grund dafür ist ein Versprechen, das die EU-Staats- und
Regierungschefs in einer Erklärung im Dezember 2020 abgaben: Die
Sanktionsverordnung soll erst genutzt werden, wenn der EuGH ihre
Rechtmäßigkeit bestätigt hat. Im Gegenzug zogen Polen und Ungarn ihr Veto
gegen den EU-Haushalt und den Corona-Aufbaufonds zurück.
Die EU-Kommission hatte zunächst erklärt, sich an das Versprechen zu
halten, und blieb gegenüber Polen und Ungarn untätig. Im Juni beschloss
jedoch [1][das Europaparlament], beim EuGH eine Untätigkeitsklage gegen die
EU-Kommission einzureichen. Die Sanktionsverordnung sei gültiges Recht. Die
Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs habe keine rechtliche Wirkung.
Daraufhin gab Kommissionschefin Ursula von der Leyen Anfang September an,
sie werde demnächst Mitteilungen an bestimmte EU-Staaten verschicken, mit
denen sie die Vorwürfe der EU-Kommission darlegt und Gelegenheit zur
Stellungnahme gibt. Noch wurden die Schreiben aber nicht verschickt.
Ein wirkungsvolleres Mittel besteht jedoch darin, dass Brüssel die Gelder
aus dem 750 Milliarden Euro starken Corona-Aufbaufonds bisher zurückhält.
Während die Investitionspläne der meisten EU-Staaten genehmigt sind und
manche Staaten wie Italien schon Geld erhalten haben, werden die Pläne von
Polen und Ungarn noch geprüft. Polen stehen rund 40 Milliarden Euro an
Zuschüssen und Krediten zu, Ungarn soll 7,5 Milliarden Euro erhalten.
Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourová sagte im September, die beiden
Regierungen müssten die Kommission erst überzeugen, dass sie ein
glaubhaftes Kontrollsystem für die Verwendung der EU-Mittel haben.
Finanziellen Druck macht die EU-Kommission auch im Rahmen der
Vertragsverletzungsverfahren, die gegen Polen laufen. So hat die Kommission
Anfang September beim EuGH ein tägliches Zwangsgeld beantragt, weil Polen
eine einstweilige Anordnung des EuGH vom 14. Juli nicht ausreichend
umgesetzt hat. Der EuGH hatte damals von Polen verlangt, dass die
umstrittene Disziplinarkammer für Richter ihre Tätigkeit sofort einstellt.
Die Disziplinarkammer arbeitet aber immer noch, [2][auch wenn sie keine
neuen Fälle mehr annimmt].
10 Oct 2021
## LINKS
[1] /Ungarn-und-die-Rechtsstaatlichkeit/!5780711
[2] /Polnische-Verfassung-und-EU-Recht/!5789375
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Europäische Union
Polen
Ungarn
EuGH
Rechtsstaatlichkeit
Sanktionen
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