# taz.de -- Musikdoku „The Sparks Brothers“: Computermädchen haben keine A… | |
> Der Dokumentarfilm „The Sparks Brothers“ ehrt eine der einflussreichsten | |
> und schrägsten Bands des Pop. Er tut dies mit würdig komischen Mitteln. | |
Bild: Russell und Ron Mael alias Sparks öffnen mit ihrem Pop Fenster, manchmal… | |
Ist jemand lange Zeit im Popgeschäft unterwegs, heißt das nicht | |
zwangsläufig, dass damit große Bekanntheit einhergeht. Erst recht nicht, | |
wenn man sich nicht auf reine Markenpflege auf Kosten der Kreativität | |
beschränkt, siehe die Rolling Stones. [1][Für die Brüder Ron und Russell | |
Mael, beruflich unter dem Namen Sparks aktiv], gilt sogar das Gegenteil. | |
Ihre Identität besteht nicht in einem bestimmten Stil oder Sound, was dazu | |
geführt hat, dass man sie über die Jahrzehnte in unterschiedlichem Gewand | |
mehrfach neu entdecken konnte. Dafür zeichnen sie sich durch eine Haltung | |
aus, der sie in ihrer Karriere treu geblieben sind. Selbstironie und | |
-reflexion spielen eine Rolle, was dem ganz großen Durchbruch im Weg | |
gestanden haben mag. | |
Die Liste prominenter Fans der Sparks ist lang, darunter der [2][britische | |
Regisseur Edgar Wright], der mit Filmen wie der Zombiekomödie „Shaun of the | |
Dead“ berühmt wurde. Er verneigt sich jetzt vor der US-amerikanischen Band | |
in seinem Dokumentarfilm „The Sparks Brothers“, in dem er der Geschichte | |
des bis heute aktiven Duos nachgeht. Im Sommer erschien ihr 25. Album, der | |
Soundtrack zum Musicalfilm „Annette“ unter der Regie von Leos Carax, mit | |
dem die Filmfestspiele von Cannes dieses Jahr eröffneten. Auch das Drehbuch | |
schrieben die Brüder Mael zusammen mit Carax. | |
Solche Künstlerporträts gehen gern mal daneben, weil die eigene | |
Begeisterung und Ehrfurcht dazu führen können, der Sache mit endlos | |
quatschenden Köpfen den Garaus zu machen, insbesondere, wenn reihum zu | |
Protokoll gegeben wird, wie einzigartig und toll die gewürdigten Künstler | |
sind. | |
Wright sammelt zwar ebenfalls viele lobende Stimmen ein, vor allem von | |
Kollegen wie Flea, dem Bassisten der Red Hot Chili Peppers, oder dem | |
musizierenden Scientologen Beck. Aber er bricht mit dem eigentlich | |
langweiligen Format, in dem aktuelle Statements mit Archivmaterial | |
abwechseln, und baut diverse Albereien in die Szenen ein, die mit der Idee | |
von „seriösen“ Aussagen vor der Kamera spielen. | |
## Verschrobener Humor | |
Auch die Sparks machen von der Gelegenheit, ihren verschrobenen Humor zur | |
Schau zu stellen, ausgiebig Gebrauch. Ein Beispiel: Vor der Kamera nennen | |
die Maels einige der Fragen, die ihnen oft von Journalisten gestellt | |
werden. Frage: „Seid ihr wirklich Brüder?“ Antwort: „Wir sind Brüder.“ | |
Nächste Frage: „Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Antwort: „Wir sind | |
Brüder.“ | |
Wright gelingt es, die Geschichte dieser sehr ungewöhnlichen und | |
unwahrscheinlichen Laufbahn ausführlich zu erzählen, ohne zu ermüden. Wie | |
zu erfahren ist, starb ihr Vater, als Ron und Russell noch Kinder waren, | |
was die Brüder zusammenschweißte. Ron bekam von der Mutter Klavierstunden | |
verordnet, was ihm, obwohl er es ungern zeigte, sehr viel Spaß machte. In | |
ihren ersten Bands begannen sie als Studenten zu spielen, wobei die Namen | |
kommerziell wenig vielversprechend gewählt waren. | |
Unter dem Namen Urban Renewal Project nahmen sie in den späten sechziger | |
Jahren immerhin die Single „Computer Girl“ auf und waren der Band Kraftwerk | |
mit dem Thema so mehr als zehn Jahre voraus. Selbst wenn sie damals gar | |
nicht wussten, was ein Computer ist. Dafür hieß es im Text über das | |
titelgebende Computermädchen zutreffend: „Sie hat keine Arme / Sie hat | |
keine Beine / Denn Computer haben keine Glieder“. | |
## Mit Bart und Brautkleid | |
Nach einem schwerfälligen Start der Sparks konnten sie ihre Plattenfirma | |
Mitte der Siebziger zu einem Umzug auf die britische Insel überreden. Dort | |
gelang ihnen 1974 ein erster Hit. „This Town Ain’t Big Enough for Both of | |
Us“, eine surreal-theatralische Glamrock-Nummer mit stark assoziativem | |
Text, war ein eher untypischer Kandidat für einen Top-Ten-Erfolg. | |
Geholfen hat ein Besuch bei der für Popfragen in England damals | |
maßgeblichen TV-Sendung „Top of the Pops“, der, so die Legende, den | |
Ex-Beatle John Lennon veranlasst haben soll, seinen früheren Bandkollegen | |
Ringo Starr anzurufen, um ihm mitzuteilen, dass im Fernsehen gerade „Marc | |
Bolan mit Adolf Hitler“ auftritt. | |
Der schmale Oberlippenbart von Ron Mael ist eine der optischen Signaturen | |
der Band. Mit diesem Bart, der auch an Charlie Chaplin erinnert, nahmen die | |
Sparks nebenbei den Look von Conchita Wurst vorweg. So ziert das Cover | |
ihres Albums „Angst in My Pants“ von 1982 ein Foto, in dem die Brüder als | |
Brautpaar zu sehen sind, Ron mit Bart und Brautkleid. | |
## Durchhalten gegen alle Widerstände | |
Die Pionierfunktion der Sparks ist ein Thema, das sich durch den Film | |
zieht. Etwa dass sie 1979 durch ihre Zusammenarbeit mit dem | |
Disco-Produzenten Giorgio Moroder auf dem Album „No. 1 in Heaven“ das | |
Format des Elektropop-Duos begründeten. Vince Clarke und Andy Bell vom Duo | |
Erasure bekennen sich wiederholt zum Einfluss der Sparks. Wie andererseits | |
zu erfahren ist, haben sich die Pet Shop Boys nie zu den Sparks als | |
Vorbildern bekannt. Sie kommen im Film konsequenterweise nicht vor. | |
Was „The Sparks Brothers“ zusätzlich interessant macht, ist die Geschichte | |
des Durchhaltens gegen alle Widerstände aus der Musikindustrie, die der | |
Film exemplarisch vorführt. Trotz vieler Hits spielten sie nie ganz vorn im | |
Pop mit, waren mehr eine Band, die von Kritikern und Musikern bewundert | |
wird, die ein großes Publikum jedoch kaum erreichten. Ihre | |
Kompromisslosigkeit bei kommerziellen Zugeständnissen führte dazu, dass sie | |
wiederholt von Labels fallen gelassen wurden. | |
Auch ihre ausgeprägte Neigung zum Kino, Ron nennt etwa Jean-Luc Godards | |
reflexiven Umgang mit dem Medium Film als eine Inspiration für ihre Musik, | |
führte sie zu Projekten, die vielversprechend begannen, dann allerdings | |
scheiterten. Mit Jacques Tati begannen sie eine Zusammenarbeit, mit Tim | |
Burton wollten sie einen Comic verfilmen, investierten Jahre in die Arbeit, | |
was sie fast ruinierte. Edgar Wrights Film ist daher, neben „Annette“, eine | |
Art späte Wiedergutmachung. | |
9 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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