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# taz.de -- Neues Album der Popband Sparks: Bittere Tränen im Milchkaffee
> Die kalifornischen Popdandies Sparks nennen ihr neues Album „The Girl Is
> Crying in Her Latte“. Dort gibt es reichlich doppelte Böden und
> Cabernetpunk.
Bild: Latte trinken, Zeitung lesen, vlnr Ron und Russell Mael
Vor Kurzem gab die britische Sängerin Siouxsie ihr Comebackkonzert in
Brüssel. Wie besteht man fern aller Jugend in einer Welt der Popkultur? Gut
sah die 66-Jährige aus! In ihrem weißen Hosenanzug mit Trompetenärmeln und
Culotte-Beinen kickte der Popstar in die Luft. Niemand fragte, ob die
[1][Gothic-Ikone] das darf in ihrem Alter, sehr wohl aber, ob ihre
weiß-roten Sneaker angemessen seien. Ihre Coverversion des großen
Sparks-Hits aus dem Jahr 1974, „This Town Ain’t Big Enough for Both of Us�…
gab sie in Brüssel nicht zum Besten, bloß Iggy Pops untoten „Passenger“.
[2][Die Sparks benötigen im sechsten Jahr ihres zweiten Comebacks] eh
keiner neuerlichen Ehrerbietungen. Denn die kalifornischen Popstars wissen
sehr genau, wer von ihrer Musik gelernt und profitiert hat. Nun machen sie
sich auf ihrem aktuellen Album „The Girl Is Crying in Her Latte“ wiederum
eine Freude daraus, ihre Schüler zu zitieren.
Da klingt ein Song wie Buzzcocks von einer soliden Studioband
interpretiert, ein anderer wie die belgische Elektrodiscoband Telex, wenn
die schon jene Klangerzeuger zur Verfügung gehabt hätten, die es heute als
App fürs Handy gibt. Und immer wieder fragen sie, ob die Pet Shop Boys in
dem Versuch, die Persönlichkeit des Performers zu transzendieren, wirklich
der Zeit ein Schnippchen schlagen konnten.
Überall doppelter Boden – Ehrensache, da lassen die Brüder Ron und Russell
Mael ihre Fans nicht hängen. Manche sind ihnen seit den frühen 1970ern
treu. Die Sparks waren für jene, die einst der authentitätsversessenen
Rocksache nicht so ganz über den Weg trauten, aber anders als Zappa dennoch
Songs liebten, die schlaue Songtexte lieber fern eines Nobelpreisanspruchs
goutieren, aber sich ihre Helden etwas glamouröser wünschten, als es Steely
Dan waren.
So fanden jene zum Groucho-Marx-Lookalike Ron und zum lockenprächtigen Beau
Russell, die [3][Bowie], [4][Roxy Music] oder T-Rex liebten, und folgten
ihnen über operettenhaften Poprock und Disco zum purem Pop des 1990er Hits
„When Do I Get to Sing ‚My Way‘“.
## Die Welt ist schuld
Nach acht Jahren der Pause bereiten die Sparks seit 2017 wieder regelmäßig
freudigen Verdruss, meist im seit Mitte der 1990er kultivierten
Elder-Statesmen-Stil des glitzernden Schlaumeiersongs. Doch nun hämmert ein
stoischer Beat durch ein albtraumhaft nachhallendes Szenario, um das
intensive Sinnbild des eröffnenden Titelsongs zur apokalyptischen Version
auszudehnen: Überall weinen junge Damen in ihren Latte. Wer ist schuld? –
Die Welt!
Im folgenden Stück ist es die Regierung der USA, bat diese doch die
Schauspielerin Veronica Lake während des Zweiten Weltkriegs, ihre
charakteristische wie charismatische Peekaboo-Haartracht zusammenzustecken:
Kein verdecktes Auge, keine offenen Haare, mit denen sich ihre
Nachahmerinnen in den Industriemaschinen am Fließband der Waffenproduktion
verfingen.
So opferte Veronica Lake ihre Schauspielkarriere der guten Sache, glücklich
machte sie das indes nicht. Auch diese Ironie bleibt bitter, derweil der
Beat, nun im Marimbastakkato der Minimal Music, das Empfinden hektischer
Ausweglosigkeit zusammenklöppelt.
## Noch jenseits der 70 irre gut aussendend
Was ist es eigentlich, wozu uns diese beiden nicht ganz vertrauenswürdig
freundlichen, auch jenseits der 70 irre gut aussendenden, vitalen Herren
einladen? Was sollen wir betrachten? Nur keine Bange, kommen Sie mit, wir
finden es heraus. In Song Nummer drei bittet ein Neugeborenes, wieder in
den Schoß der Mutter zurückkehren zu können, das mit dem Leben, befindet
es, bekommt es nicht hin. Es hat bereits genug gesehen, um sich dessen im
Klaren zu sein.
Hier erklingen erstmals E-Gitarren, 1977er Cabernet-Punk. Heißt das nicht
Kabarett? – Nein, die Sparks – ganz Dandies – haben gar kein Interesse
daran, dass wir uns lächelnd aus der Affäre ziehen. Na, wo bleiben Sie, wir
wollen weiter zu Stück 4 von 14! Gemütlich machen können wir es uns später.
Vielleicht bei „When You Leave“, da sind sie auf eine Party eingeladen und
alle harren auf ihren Aufbruch, damit endlich der Spaß losgehen kann. Aber
sie bleiben! In ihren so auffällig rhythmisch akzentuierten Songs vertonen
die Sparks ein wenig freudvolles Leben und behaupten sich zugleich in ihrer
eigenen kreativen Lebendigkeit. Niemand muss als Methusalem versiegen,
dessen Liebenswürdigkeit proportional zur Bedauernswürdigkeit steigt. Wo
die Sparks Tribut ans Alter zahlen müssen, geben sie den als Regelbruch
aus.
Das war übrigens auch Siouxsies Trick. Ich habe mir jetzt auch ein Paar
Sneaker gekauft, es fühlte sich fast gar nicht nach Selbstaufgabe an. Und
morgen sage ich jemandem höflich, grausame Wahrheiten. Für „früh übt sich…
ist es ja schon zu spät. Oh, weh.
1 Jun 2023
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## AUTOREN
Oliver Tepel
## TAGS
Apokalypse
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