# taz.de -- "Liebling"-Party zur Berliner Fashion Week: Von Ding zu Ding | |
> Anzug und Kostüm sind wieder zum modischen Imperativ geworden, Roxy Music | |
> zur Band der Stunde. Dahinter muss sich notwendigerweise ein grausiges | |
> Geheimnis verbergen. | |
Bild: Lieferte mit Roxy Music den Soundtrack der Stunde: Brian Ferry. | |
Es ging einigermaßen hysterisch zu, als die Zeitschrift Liebling des | |
Ex-Tempo-Machers Markus Peichl anlässlich der Berliner Fashion Week eine | |
Party veranstaltete. Massen schick angezogener junger Frauen stürmten auf | |
den Dancefloor, wo junge Herren in Anzügen schon auf sie warteten, als DJ | |
Fetisch ("Ich kaufe Purple, Kicker und Liebling - sonst nix!") Platten | |
auflegte. In diesem heißen Sommer ist bürgerliche Eleganz, wie man auch bei | |
anderen hippen Partys in der Hauptstadt beobachten konnte, endgültig zum | |
modischen Imperativ geworden. | |
Auch Fetischs Set glänzte durch Eleganz, viel House war zu hören, immer | |
wieder mit Roxy-Music-Samples angereichert. Höhepunkt aber war ein von ihm | |
selbst produzierter, derzeit nur auf MySpace abrufbarer Remix vom | |
vielleicht berühmtesten Stück von Roxy Music, "Love Is the Drug" von 1975, | |
das unter anderem vom Tanzen handelt: "Face to face, toe to toe, heart to | |
heart as we hit the floor." | |
Seit Roxy Music spielt intelligenter Pop gerne mit Zitaten und setzt auf | |
Künstlichkeit. Auf dem ersten Stück ihrer ersten Platte, "Re-Make/Re-Model" | |
von 1972, besang Ferry "the sweetest queen Ive ever seen", die sich | |
allerdings als Cyborg mit der Typennummer CPL 593H herausstellt, die | |
anzusprechen völlig sinnlos ist. | |
Das brachte Diedrich Diederichsen und Thomas Meinecke schon vor acht Jahren | |
auf die einleuchtende Idee, im Philosophikum der Universität zu Köln über | |
den Zusammenhang von Roxy Musics Idee des Re-Modelling und dem | |
popliterarischen Programm der "kompletten Ironisierung" zu diskutieren. | |
Diederichsen hatte bereits lange vorher in seinem inzwischen legendären | |
Buch "Sex Beat" die steile These aufgestellt, Roxy Music habe seine | |
Generation vom Joch befreit, an vorderster Front in eine bessere Zukunft | |
schreiten zu müssen. | |
Er verzichtete dort allerdings darauf, die dazu passenden Zeilen aus | |
"Re-Make/Re-Model" zu zitieren: "Next time is the best time we all know", | |
heißt es da, was sogleich die Frage provoziert: "But if there is no next | |
time where to go?" Ironie, so lehrte uns dagegen die Popliteratur, die sich | |
ebenfalls auf diese Zeilen berufen kann, sei der genuine Ausdruck einer | |
Generation, die alles kennt, alles schon gesehen hat und deswegen auch | |
nichts mehr erleben kann. | |
Dass Roxy Music und ihr Songwriter und Sänger Bryan Ferry tatsächlich zur | |
Identifikationsfigur für das Ironie- und Dekadenzprogramm der Popliteratur | |
auserkoren sind, zeigte sich unter anderem, als Alexander Gorkow und | |
Eckhart Nickel vor gut einem Jahr Bryan Ferry "als Stilikone des Pop" für | |
die Süddeutsche Zeitung interviewten. Der zeigte sich gut gelaunt und | |
parlierte über gute Hotels, edle Stoffe und sein Landhaus. Als er auch noch | |
nach seinen Hunden befragt wurde, fragte Ferry allerdings irritiert zurück, | |
ob das den Leser wohl interessiere? | |
Schließlich gipfelte das Gespräch in folgendem Dialog: "Reden Sie mit | |
Gegenständen, Mr. Ferry? - Oh, wie überaus großartig! Sie halten mich für | |
extrem sonderbar, nicht wahr? Aber nein. So sonderbar bin ich nicht, dass | |
ich mit Gegenständen in meinem Haus in Konversation trete." Die Idee, dass | |
Menschen das Bedürfnis haben könnten, mit Dingen zu sprechen, scheint | |
keineswegs mehr für abwegig gehalten zu werden. Das wiederum könnte für die | |
These sprechen, dass sich in der kapitalistischen Gesellschaft auch jede | |
Beziehung zwischen Personen durch eine "gespenstische Gegenständlichkeit" | |
auszeichnet. Das zumindest behauptet Georg Lukács im Rückgriff auf Marx in | |
"Geschichte und Klassenbewusstsein". | |
Sicher ist, dass "Love Is the Drug", das die Liebling-Party zum Tanzen | |
brachte, vom Problem der Verdinglichung handelt. Der Ich-Erzähler sucht | |
eine Single-Bar auf und tanzt dort mit einer Frau. Zwei Worte genügen, um | |
sich auf Sex zu einigen: "I say go, she say yes. Dim the lights, you can | |
guess the rest." Die Liebe ist hier keine Begegnung zweier Seelen, in der | |
sich der eine im anderen zu finden sucht, sondern ein Ding, das wie eine | |
Droge begehrt wird: "Oh oh, cant you see, love is the drug for me." | |
So kalt und präzise die Version von DJ Fetisch auf gegenwärtige | |
Konsumverhältnisse heruntergemischt ist, so humorvoll klingt das noch im | |
Original. Da glaubt man Ferrys Beschreibung der verdinglichten Verhältnisse | |
anzuhören, dass die Droge, nach der hier verlangt wird, ohne wahre | |
Sehnsucht nach dem Verlorengehen im anderen gar nicht gedacht werden kann. | |
Was für Roxy Music noch dunkle Sci-Fi-Satire war, ist für ihre späten Fans | |
womöglich zum schlimmen Verdacht geworden. Wenn Liebe nur das Verhältnis | |
des eigenen Dings zu anderen Dingen ist, dann steckt unter jedem Kostümchen | |
und in jedem Anzug tatsächlich nur ein Cyborg. Immerhin: Die | |
Wochenendbeilagen melden, dass der deutsche Mann sich endlich wieder | |
ordentlich anzieht. | |
3 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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