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# taz.de -- Album und Konzert der Sparks: Lob der Missionarsstellung
> Nun erscheint mit „Hippopotamus“ ein neues Album der Sparks. Ron und
> Russell Mael reklamieren wieder ihre Ausnahmeposition als
> Pop-Exzentriker.
Bild: Spleenige Dandys unter kalifornischer Sonne: Ron und Russell Mael alias t…
Ron Mael sitzt in einem Londoner Café, aber gerade klingt er wie einer
dieser konservativen Wutbürger, die aus gesicherten Umständen heraus im
teutonischen Feuilleton lamentieren, sie seien gesellschaftliche Paria,
Außenseiter in einem Diskurs, der jeden provokanten Gedanken der
moralischen Anpassung preisgegeben habe.
„Wir wollten definitiv dem gegenwärtigen Zeitgeist im Pop entgegentreten.
Dem ist jedweder Sinn für Abenteuer flöten gegangen. Wir stehen in
Opposition zum Status quo. Wir sagen nein zu Denkfaulheit!“, deklamiert
Mael, Keyboarder und gemeinsam mit seinem Bruder Russell Songwriter. 1971
haben die Gebrüder die Sparks gegründet, deren einzige beide ständige
Mitglieder sie bis heute geblieben sind.
Damals galten die Sparks als neue Glam-Sensation, beeinflussten mit
überdrehten Sounds und ausgestellter Irre immer mal wieder die Welt des
Pop. Bis sie in den Neunzigern schließlich mit exaltiertem Techno-Pop
Charthits landeten. Und heute veröffentlichen sie ein neues Album.
„Hippopotamus“, heißt es.
## Gebrochener Glamour
Im Titeltrack sitzt ein Flusspferd mit im Swimmingpool der Band: Spleeniger
Alltag am Rande des Biz. Der aktuelle Sound der Sparks scheint mit seinen
klaviergetriebenen Glam-Pop-Arrangements fast an die klassische Phase der
frühen 1970er anzuschließen. „Ich weiß gar nicht, was der klassische Sound
sein soll“, meckert Mael schon wieder los. Da hat er ausnahmsweise recht.
Die Sparks klangen auf jedem Album anders.
Durchgezogen hat sich ihre Theatralität, eine gebrochene Form von Glamour,
Dadaismus als Grundhaltung – und der Gedanke, dass Pop, der sich als
massenkompatibel versteht und auf Powerplay im Hitradio läuft, irgendwo
zwischen Kunst und Masse, nicht einfach nur ein netter Begleiter durch das
Leben sein muss, sondern größer ist als das Leben selbst.
Verlässliche Begleiter sind dabei die Songtexte, die den früheren Studenten
der Film- (Ron) beziehungsweise Theaterwissenschaften (Russell) nie ohne
drei Pirouetten denkbar scheinen, ohne Verweise auf Pop- und Hochkultur,
ohne Witz und ohne Sex.
## Hippies im VW-Bus
Und auf dem neuen Album ist dieser Humor in Beziehung gesetzt zu
Vivaldi-Streichern: Im Titeltrack findet sich nicht nur ein Flusspferd im
Pool, dazu schwimmt auch ein VW-Bus („a hippy is driving, a drippy ol’
hippy, poor, poor guy“), mit von der Partie ist auch Shakespeare-Antiheld
Titus Andronicus („excellent swimmer“) und eine Frau mit Abakus („she loo…
Chinese – not that I’m prejudiced“).
In weiteren Songs besingen die Maels Edith Piaf und das Attentat auf
Abraham Lincoln, preisen die Missionarsstellung, trotz ihrer fehlenden
Fancyness, zeigen Verständnis für einen von den ständig betenden Menschen
entnervten Gott und seufzen: „In every other way I find you amazing but one
/ I wish you were fun.“
Kurz: „Hippopotamus“ ist vor allem die Sparks being Sparks, kurzweilig,
überschäumend, schillernd – ein Versuch, die Vergangenheit zu wiederholen:
Künstlerischer Höhepunkt der Maels ist nach wie vor ihr Glam-Album „Kimono
My House“ (1974), ihr drittes Werk: Wie David Bowie und Roxy Music wählten
die Maels, kurz zuvor aus Kalifornien nach London gezogen, den Umweg über
den Sound-Exzess, um herrlich exzentrische Popsongs zu entwerfen –
Vorarbeit für das, was Queen wenig später als zahmeren Bombastrock in den
Mainstream tragen würden.
Dargeboten wurden die Songs von einer skurrilen Ansammlung irrer
Künstlertypen, von denen Russell den mutwillig over the top gestylten
Sänger mimte und Ron den stoischen Keyboarder mit Hitlerbärtchen, das
genaue Gegenteil eines Glamrockers. Später verwarfen die Sparks diese
Maskerade zugunsten von Swing, um Ende der Siebziger, produziert von
Giorgio Moroder, mit dem Synthiepop-Album „No. 1 in Heaven“ eine
Pole-Position im Disco-Universum zu beanspruchen.
## Sax and violins
1994 erschien ihr in Deutschland erfolgreichstes Album „Gratuitous Sax &
Senseless Violins“, das mit „When Do I Get To Sing ‚My Way‘ “ einen
Megahit abwarf: überdrehter Techno-Pop von solcher Würde, wie ihn sonst
allenfalls die Pet Shop Boys hinkriegen. In den Nullerjahren spielten sie
dann wieder glamourösen Artrock. Ihr letztes Lebenszeichen: ein Album mit
den schottischen Neopostpunkern und Brüdern im Geiste Franz Ferdinand,
erschienen 2015 unter dem Titel „FFS“.
Ist die Dadaversion von den Sparks nach 40 Jahren reine Routine? „Unsere
Routine ist es, provokant zu sein, wir ahmen nie den Status quo nach.
Unsere Routine ist das Gegenteil von Routine“, erklärt Mael. Und die
Theatralität, die das neue Album auszeichnet, das sei im Grunde eine
Antwort auf die Absurdität der Gegenwart – es soll Spaß machen, temporäre
Erlösung von der Stressfaktoren des Lebens in der neuen Weltordnung nach
Trump bieten. Als könnte Barock da helfen.
Als gäbe es nicht innovative elektronische Klangentwürfe von Jlin bis
Arca, die keineswegs den Status quo untermauern, den die Sparks im
gegenwärtigen Pop erkennen. Es zeichnet die beiden Künstler aber aus, dass
sie entlang einer klassischen Konfliktlinie balancieren: Dass Pop immer
zugleich für die Ewigkeit, allgemeingültig ist und doch auch Konsumprodukt
sein sollte, mit kurzer Haltbarkeit. „Das stimmt für unsere Musik auch und
doch nicht. Wenn man zurückschaut, sieht man, dass da eine Substanz ist,
die unsere Musik letztendlich, als Gesamtkunstwerk, zum Gegenteil von
Wegwerf-Pop macht“, überlegt Mael.
## Relevanz und Konstanz
Die Relevanz der Sparks scheint dann eher in ihrer Konstanz zu liegen,
nicht in einer wegweisenden pophistorischen Bewegung. Das ist vielleicht
das eigentlich traurige an dieser lustigen Band: Dass sich ausgerechnet für
die beiden Cineasten nie ein Drehbuch entspann, dass sich in Albumlänge
erzählen ließe.
Dass sie seit 45 Jahren in Los Angeles etwas machen, was man flapsig „ihr
Ding“ nennen könnte, mal hysterisch wie Russell, mal stoisch wie Ron. Aber
niemand würde sie wohl vermissen, wenn sie ihre fixe Idee einfach aufgäben.
Dass es aber dann doch schade wäre, wenn sie nicht noch ihr 24. Album
aufnehmen würden oder das Filmmusical fertigstellten, das gerade produziert
wird.
Irgendwann einigte man sich darauf, die Sparks als exotische Paradiesvögel
zu feiern, als spleenige Pop-Preziosen. Und die Kalifornier erfüllten diese
Rolle nicht nur gern, sie legen auch beständig nach. Aber wer weiß schon,
wie diese Karriere noch gekrönt wird: „Der Soundtrack zum Weltuntergang,
das würde uns schon reizen. Ob Mister Trump oder dieser Kim Jong Un uns
wohl anstellen würden? Beides große Mäzene, hört man!“
9 Sep 2017
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Glamrock
Apokalypse
Dokumentarfilm
The Residents
Indierock
Elektropop
Festival
Pop
New Orleans
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