# taz.de -- Artrock-Legenden The Residents: Das letzte Rätsel der Popmusik | |
> Die US-Artrock-Band The Residents waren mit ihren schrillen Kostümen und | |
> Pop-Parodien ihrer Zeit voraus. Und heute? | |
Bild: Ihre Werke sind teilweise im New Yorker MoMa-Museum ausgestellt: The Resi… | |
Was wäre die Popmusik ohne Legenden? Wohl nicht viel mehr als eine | |
Ansammlung von Songs, von denen viele ihre Halbwertszeit nicht überstanden | |
hätten. Doch Kontext ist im Pop (fast) alles. Mit dem kalifornischen | |
Künstlerkollektiv [1][The Residents] spielt jetzt wieder eine Band auf, die | |
die Mythenbildung – und ihrem Zwilling, die Dekonstruktion – auf | |
mannigfaltige Art erfolgreich durchdekliniert hat. | |
Wo soll man anfangen, das eigenwillige Universum der Band zu beschreiben: | |
beim Tragen von Masken? Legendär und oft kopiert sind die blutunterlaufenen | |
Augapfel-Köpfe mit Zylinder, aktuell sind sie maskentechnisch bei | |
Pestärzten aus dem 17. Jahrhundert angekommen. Bei den Residents treffen | |
sich Avantgarde und Spektakel-Pop. | |
Einen großen Unterhaltungswert hatten auch ihre teils bitterbösen | |
Kommentare zum Popbetrieb, oft in Gestalt von Coverversionen. Der | |
US-Artrock, deren einzige Überlebende die Residents heute zu sein scheinen, | |
war immer ein bisschen fieser und abgründiger als ihr dem Pomp zugeneigtes | |
britisches Pendant. Das zweite Album „The Third Reich ’n Roll“ von 1976 w… | |
eine zynische Aufarbeitung der 1950er und 1960er Jahre. | |
Das Cover zeigte Fernsehmoderator Dick Clark, eine einflussreiche Figur in | |
der Rock-’n’-Roll-Szene, in SS-Uniform. Auch Songs von Elvis, den Beatles | |
und den Rolling Stones zerhackten sie, bis kaum mehr etwas vom Original | |
übrig war. Das „Commercial Album“ (1980) enthielt lauter jingleartige | |
Stücke von einer Minute Laufzeit, davon aber gleich 40. Das kann schon mal | |
anstrengend werden. | |
Schon mit ihrem Debütalbum „Meet The Residents“ (1974) parodierten sie das | |
Artwork von „Meet The Beatles“, dem zweiten US-Release der britischen Band. | |
Wohl nicht nur deshalb gab es in den 1970er Jahren Spekulationen, denen | |
zufolge sich hinter den Residents in Wirklichkeit die Beatles verbergen – | |
ein Verschwörungstheorie, über die sie Mitte der Nullerjahre nochmal | |
witzelten, als auf der Webseite der Band die Mitglieder als „John, Paul, | |
George and Reingold“ gelistet wurde. | |
## Eigenes Referenzsystem | |
The Residents waren eine Band, die seit den späten 60er Jahren so ziemlich | |
alles aufsaugte und verarbeitete, was durch den gesellschaftlichen Äther | |
schwirrte. Sie experimentierten viel mit neuen Technologien und drehten die | |
Resultate mit ihrer speziellen Ästhetik durch die Mangel, was sie wiederum | |
an die Popwelt zurückspiegelten. Damit schufen sie ihr ganz eigenes | |
Referenzsystem, das sehr einflussreich war. Sogar der Simpsons-Erfinder | |
Matt Groening ist ein großer Fan. | |
Vieles davon scheint aus heutiger Sicht redundant, im Kontext ihrer Zeit | |
waren sie aber durchaus richtungsweisend – etwa, indem sie früh alternative | |
Vertriebswege entwickelten. Etwas albern und schnell altbacken schienen | |
dagegen die Multimediaexperimente, an denen sie sich in den 1990er Jahren | |
versuchten. Überhaupt scheinen sie im Spätwerk Ideen, die einst für ein | |
Album reichten, über ein ganzes Jahrzehnt verteilt zu recyclen. | |
Dennoch, die Residents haben die Popkultur reichlich beschenkt. Die 70er | |
Jahre kann man als ihre klassische Periode bezeichnen, in den 80ern | |
begannen sie mit neuen Technologien zu spielen, ihre experimentellen | |
Trickfilme gehörten in der Frühphase von MTV zum Repertoire des Senders. | |
Ihr ausuferndes Referenzsystem schufen sie, ohne dass ihnen ihre Egos – die | |
bekanntlich vieles zerstören können, erst recht wenn eine Rockstarpersona | |
dranhängt – dazwischen funkten. Sie traten als Kollektiv auf, bis sie sich | |
2010 Aliase gaben, angeblich, um mit der Zeit zu gehen. Doch ihre Gesichter | |
blieben der Öffentlichkeit weiter unbekannt. | |
Mit ihnen gesprochen hat offiziell nie jemand, Interviews ließen sie nur | |
von ihren Management geben, der „Cryptic Cooperation“, wobei es | |
wahrscheinlich ist, dass die angeblichen Sprecher deckungsgleich mit den | |
Bandmitgliedern waren. Von der Originalbesetzung ist aktuell wohl nur der | |
Sänger Randy Rose übrig. Sein sich Chuck Bobuck nennender Mitstreiter stieg | |
2016 aus, vergangenes Jahr starb er an Krebs. | |
## Kein Zukunftsoptimismus mehr | |
Erste Homerecordings des Kunstkollektivs, dessen Mitglieder sich in den | |
frühen 1960er Jahren an der Highschool in Louisiana kennengelernt hatten, | |
entstanden bereits 1965. Ein Jahr später machten sie sich auf den Weg nach | |
San Francisco, um an das Epizentrum der Hippiekultur anzudocken und ihrem | |
Traum vom Filmemachen nachzugehen. | |
Als ihr Truck im kalifornischen San Mateo liegenblieb, verweilten sie erst | |
mal dort. Das war vermutlich ein Glücksfall, bastelten sie dort doch mit | |
einem kruden Gerätepark an ihrem künstlerischen Programm, fernab von dem | |
Zirkus, zu dem San Francisco schnell wurde. Irgendwann schafften sie es | |
aber doch in die Bay Area. | |
Ihren Namen fanden sie der Legende zufolge, als sie ein Tape an den Mann | |
beim Label Warner Music schickten, der auch den von ihnen bewunderten | |
Experimental Blues-Musiker Captain Beefheart unter Vertrag genommen hatte. | |
Der war allerdings nicht angetan. Da die Band keinen Ansprechpartner | |
genannt hatte, ging die Sendung zurück an die Absenderadresse: „The | |
Residents“. | |
Den Zeitgeist inspirieren sie dieser Tage wohl nicht mehr, aber immerhin | |
spiegeln sie ihn auch im sechsten Jahrzehnt ihrer Existenz noch. Womöglich | |
ist ihnen ihr einstiger technologischer Zukunftsoptimismus abhanden | |
gekommen. | |
Unter dem Titel „The Ghost of Hope“ hat die Band 2016 Songs über | |
Eisenbahnen und Zugunglücke herausgebracht, mit der sie die Diskrepanz | |
zwischen technologischer Entwicklung und der Entwicklung der Gesellschaft, | |
die sich dieser Technologie bedient, thematisierten. Es ist naheliegend, | |
dass das im Subtext ein kritischer Kommentar über unsere digitale Gegenwart | |
ist. | |
29 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.residents.com/ | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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