| # taz.de -- Elektro-Dancefloor von Mount Kimbie: Lieben, was übrig bleibt | |
| > Abschied vom Post-Dubstep: Das englische Duo Mount Kimbie wagt auf seinem | |
| > Album „Love What Survives“ einen Neuanfang. | |
| Bild: Angefangen bei Musik, die aus Computern kommt, hin zur Live-Band: eine ra… | |
| Treibende Schlagzeugschläge balancieren selbstsicher auf warmen, | |
| ausgreifenden Synthesizerspuren, geraten ins Wanken mit den zunehmenden | |
| Verzerrungen der Klänge. Das Stück „Four Years In One Day“ von Mount | |
| Kimbies neuem Album „Love What Survives“ schlingert, angeschlagen vom | |
| Leben, aber mit Zuversicht in den Nebel zwischen gestern und morgen. | |
| Ihr Sound wirkt durch die starke Präsenz analoger Instrumente wie | |
| Synthesizer, Drumcomputer, Bass, Gitarre und Schlagzeug unmittelbarer als | |
| in den Anfängen. Hatte das Elektronikduo das melancholische Rauschen des | |
| Vergangenen auf seinen beiden bisherigen Alben noch im Computer erzeugt, so | |
| lässt es der brüchigen Patina der Erinnerung heute in den Zwischenräumen | |
| der Tasten und Saiten Platz. Diese Entwicklung weg von Computermusik | |
| forcierten Dominic Maker und Kai Campos schon, direkt nachdem sie zur | |
| Personifikation eines Genres namens „Post-Dubstep“ gemacht wurden. | |
| Ihr Debütalbum, „Crooks & Lovers“ von 2010, wurde als Generalüberholung | |
| dieses Stils gefeiert. Ihre melodischen, an Songs orientierten und von | |
| Subbässen und schleppenden Beats angeschobenen Tracks sah man als | |
| abschließenden Gegenentwurf zur vermeintlich düsteren Krisenmusik. Dabei | |
| war und ist Dubstep genauso wenig einheitlich greifbar wie sein | |
| ausgerufener Nachkomme. | |
| „ ‚Post-Dubstep‘ ist ein nutzloser Begriff geworden, weil sich schon | |
| verändert hatte, was Dubstep bedeutete“, rekapituliert Maker. „Ende der | |
| nuller Jahre, als wir im Umfeld dieser Szene waren, konnte man auf einer | |
| Party fünf Dubstep-DJs hören, die höchst unterschiedliche Musik gespielt | |
| haben. Das war es, was uns daran so angezogen hat. Es war sehr | |
| abwechslungsreich und spannend. Dieses Verständnis von Dubstep als | |
| klangliche Vielfalt ist aber verschwunden.“ | |
| ## Die Geburt einer Band | |
| Nach dreijähriger Pause verabschiedeten sich Mount Kimbie mit dem zweiten | |
| Album, „Cold Spring Fault Less Youth“, von sämtlichen Vereinnahmungen durch | |
| Genre-Purist*innen. Mit verspielten, schrägen und rauen Popsounds, | |
| Klangelementen von Electronica über House bis zu Ambient, verschoben die | |
| Musiker, die sich beim Studium in London kennengelernt hatten, ihren Sound | |
| in Richtung Liveband. Sie bewegten sich auf Songstrukturen zu, sangen zum | |
| ersten Mal selbst und arbeiteten mit Archy Marshall alias King Krule | |
| zusammen. Mount Kimbie öffneten anschließend die Türen ihrer Schlafzimmer, | |
| in denen die Musik an Computern entstanden war. | |
| Maker und Campos sind nicht allein. Auch auf ihrem aktuellen Album „Love | |
| What Survives“ haben sie Unterstützung. Mit Andrea Balency am Keyboard und | |
| Marc Pell an den Drums wuchsen sie im Studio zu einer Band an und treten | |
| bei Konzerten zu viert auf die Bühne. Über Pell, der auch bei Micachu & The | |
| Shapes am Schlagzeug sitzt, stieß auch Mica Levi alias Micachu zu der Band | |
| und wirkte auf der Single „Marilyn“ bei Mount Kimbie mit. | |
| Zu schillernden Samples, Synthesizersequenzen, swingendem Schlagzeug und | |
| simplen Bassmelodien, die immer wieder durch die Songs von Mount Kimbie | |
| ziehen, intoniert Levi verhuschte Zeilen, die im Gedächtnis bleiben: „I’m | |
| looking up at you, yeah/Are you looking up at me, yeah?“ Auf „Blue Train | |
| Lines“ schwankt der Gesang von King Krule zwischen lyrischer Abgeklärtheit | |
| und dem Verlust der Contenance. Seine Stimme kippt ins Unbeherrschte, | |
| begleitet von stur voranpreschenden und scheppernden Drums. | |
| Nun dringen auch Einflüsse von Punk bei Mount Kimbie durch, was der Song | |
| „You Look Certain (I’m Not So Sure)“ mit Gesang von Balency und | |
| schrabbelnden Gitarrenriffs unterstreicht. | |
| ## Suicide und Timmy Thomas als Vorbilder | |
| Als Inspiration nennt Maker, der vor anderthalb Jahren nach Los Angeles | |
| gezogen ist, unter anderem das New Yorker Noise-Duo Suicide, das in den | |
| 1970er Jahren mit seiner düsteren Musik aus elektronisch produzierten | |
| Instrumentals und gemurmeltem Gesang den abgefuckten Alltag in seiner | |
| Heimatstadt zu großen Songs verarbeitet hat. | |
| Aber auch der US-Soulsänger Timmy Thomas inspiriert das britische Duo nun, | |
| dessen Stück „Why Can’t We Live Together“ vor zwei Jahren prominent von | |
| Drake in seinem Hit „Hotline Bling“ gesampelt wurde. Dass Mount Kimbie nun | |
| kopfüber in die Popgeschichte eingetaucht sind und sich das auch in den | |
| aktuellen Stücken des Duos niederschlägt, führt aber keineswegs dazu, dass | |
| die beiden Musiker in einer Retroschleife gefangen sind. | |
| Dafür bringen Mount Kimbie ihren zeitgenössischen Kolleg*innen viel zu | |
| große Wertschätzung entgegen. In ihre Radiosendung, die Maker in Los | |
| Angeles und Campos in London für das Internetradio NTS aufgenommen hat, | |
| luden sie Gäste wie den Londoner Produzenten Actress, die | |
| Elektronikvirtuosinnen Julia Holter und Kaitlyn Aurelia Smith und die | |
| Wassoulou-Musikerin Oumou Sangaré ein. Dass sie mehr Frauen als Männer zu | |
| Besuch hatten, war nicht geplant, sagt Maker. | |
| Eine Seltenheit, leider auch im Jahr 2017. Mount Kimbie sind sich der | |
| männlichen Dominanz bewusst. „Wir leben immer noch in einer sexistischen | |
| Welt und bewegen uns in der sexistischen Musikindustrie“, erklärt Maker. | |
| ## Reflektierter Umgang mit Intimität | |
| War die Instrumentalmusik von Maker und Campos, heute 30 und 31 Jahre alt, | |
| in ihrer digitalen Machart Ausdruck abstrakter Emotionalität, offenbart | |
| sich auf „Love What Survives“ gerade durch die Kollaboration mit anderen | |
| Künstlern ein reflektierter Umgang mit Intimität. | |
| Es ist zwar nur eine vage Botschaft, die in ihrer Musik und den Texten | |
| liegt, aber sie bleibt offen für Interpretationen und eigene Zugänge. „Auch | |
| wenn in dem Album eine gewisse emotionale Schwere liegt, hat es | |
| letztendlich eine positive Aussage“, meint Campos. | |
| „Wir versuchen weder künstlerisch noch persönlich, uns an die Vergangenheit | |
| zu klammern. Darin liegen viele Verluste, weil Veränderung bedeutet, etwas | |
| zu verlieren. Wir wollen die Krise aber als Chance sehen, das | |
| wertzuschätzen, was man hat, was um uns herum ist. Wir schauen nach vorne.“ | |
| Lieben, was übrig bleibt. Mount Kimbie bestreiten nicht, dass in der Losung | |
| des Albumtitels auch Schmerz liegt. Dabei bleibt es aber nicht. Verändern | |
| heißt verlieren. Aber eben auch gewinnen. | |
| 10 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Weichenrieder | |
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