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# taz.de -- Neues Album von Lali Puna: Nicht auf die Schnauze gefallen
> Valerie Trebeljahr mit einem hervorragenden Album: Zentral für „Two
> Windows“ sind Dancefloorsounds und eine Emanzipationsgeschichte.
Bild: Rockt jetzt ohne Markus Acher: Valerie Trebeljahr von Lali Puna
„You got two windows and a pillow – so what do you want?“, singt Valerie
Trebeljahr im ersten Song des neuen Albums von Lali Puna. Er heißt, genau
wie das dazugehörige Album, „Two Windows“. Sein Beat ist düster, leicht
metallisch, aber federnd. Trebeljahrs Stimme klingt – wie oft bei Lali Puna
– nach einem Mischwesen aus Geist und Roboter. Und doch ist da in ihrer
Stimme etwas deutlich vernehmbar: Trotz. „What do you want?“ – Was willst
du eigentlich?
„Two Windows“ hat das, was eigentlich alle Alben von Lali Puna ausmachen:
Sie enthalten formschöne elektronische Popsongs. Die Band spielt jetzt
öfter mit der Idee gerader Basslines als in ihren Frühzeit. Und die
Songtexte sind noch ein wenig mehr Texte zur Zeit: „Two Windows“ handelt
als Album über unsere Gegenwart, in den Lyrics driftet Trebeljahr zwischen
Poesie und Politik, wobei Erstere nie zum Instrument Letzterer wird.
Vielleicht ist „Two Windows“ daher sogar das beste Album von Lali Puna.
Und da wäre noch ein Alleinstellungsmerkmal, das „Two Windows“ hat: Es ist
das Ergebnis einer Emanzipationsgeschichte mit all ihren
Widersprüchlichkeiten. Sie zeigt, welchen Schwierigkeiten Musikerinnen im
Allgemeinen und Trebeljahr im Speziellen im nach wie vor männerdominierten
Indie-Deutschland begegnen. Die Geschichte beginnt mit zwei Fenstern und
einem Kinderbuch.
## Mehr vom Leben
„Du hast alles“, sagt die Topfpflanze zur Hündin, „Du hast zwei Fenster,
ich habe nur eins. Zwei Kissen, zwei Näpfe, einen roten Wollpullover,
Augentropfen, Ohrentropfen, zwei verschiedene Fläschchen mit Tabletten, ein
Thermometer – und dein Herrchen liebt dich sogar.“ Doch Jennie, die Hündin,
lässt sich nicht überzeugen: „Es muss doch mehr im Leben geben als das.“
Sagt sie und haut ab, um zum Theater zu gehen. Sie wird ein Star. Das ist
die Kurzfassung eines Kinderbuchs von Maurice Sendak, bekannt als Autor von
„Wo die wilden Kerle wohnen“. Nach den zwei Fenstern, die die Hündin
verlässt, hat Trebeljahr auch das Album benannt.
Wie die Hündin hat Trebeljahr, so erzählt sie es, zwei Fenster, ein Kissen,
ein gemütliches Zuhause, dazu Mann und Kind. Das Leben geht dahin, bis sie
sich fragt: Was willst du eigentlich? Bis sie das Buch ihrer Tochter zeigen
wollte, hatte Trebeljahr seinen Inhalt ganz anders in Erinnerung: „Ich
dachte die ganze Zeit: Es ist doch klar, die Hündin geht raus und fällt auf
die Schnauze. Dann geht sie wieder nach Hause zu ihren zwei Fenstern.“ Kein
Auszug in die Welt, kein Erfolg auf der Bühne.
Man kann eigentlich nicht sagen, dass Trebeljahr „auf die Schnauze
gefallen“ ist. Mit Lali Puna lief es schließlich von Anfang an gut.
Trebeljahr zieht in den 1990er Jahren aus Portugal, wo sie aufgewachsen
ist, nach Oberbayern. Sie tauscht die Metropole gegen das Provinznest,
Lissabon gegen Weilheim.
Von Lissabon nach Oberbayern
Musikalisch ist der Unterschied groß: In Lissabon geht Trebeljahr viel
aus, hört Musik im Club, mag Madonna und die Pet Shop Boys. In Weilheim
hört sie Post-Hardcore. Trotzdem findet sie schnell Anschluss an die
dortige Musikszene, passt sich an. Im Zentrum des Weilheimer Musikkosmos:
The Notwist, die später mit frickligem elektronischem Pop zum Flaggschiff
der Weilheimer Szene werden. Damals geht es bei ihnen noch hauptsächlich um
Gitarren.
Trebeljahr versteht sich als Riot Grrrl, singt in der Frauenband L.B. Page.
Nach Auflösung dieser Gruppe nimmt sie zunächst allein auf einem
Vierspurgerät als Lali Puna auf. Kurz darauf holt sie sich ein paar Musiker
in die Band. Es ist 1998. Unter diesen Musikern ist Markus Acher, Sänger
und Gitarrist bei The Notwist, bis heute Trebeljahrs Lebensgefährte. The
Notwist hatten da gerade „Shrink“ veröffentlicht, ihr erstes Werk, das
über den deutschsprachigen Raum hinaus für Aufsehen sorgen sollte.
Das bringt auch für Lali Puna Vorteile: „Es lief sehr schnell sehr gut, was
ich gar nicht gecheckt habe“, sagt Trebeljahr. Der Erfolg von The Notwist
bringt auch den anderen Projekten Aufmerksamkeit. Der Nachteil: „Lali Puna
war von Anfang an als Notwist-Nebenprojekt eingeordnet.“
Die Pop-Autorin und Musikerin Sandra Grether hat im vergangenen Jahr in der
Musikzeitschrift Spex einen „Weckruf“ an das männerdominierte „böse
Indie-Deutschland“ gerichtet. Dort steht: „Die Indie-Musikerin in
Deutschland ist der Fehler im System.“ Und: „Klar, deutsche Musikerinnen
können ihre Lieder auch auf Soundcloud stellen.
Die alles entscheidenden Fragen aber lauten, ob es für sie als weiblich
identifizierte Menschen theoretisch möglich wäre, sich innerhalb von
Indie-Deutschland Strukturen zu schaffen, die ihnen zum Beispiel Folgendes
ermöglichten: ein Album nach dem anderen rauszubringen, mit namhaften
Produzenten zu arbeiten, Artikel in den Musikmedien zu bekommen, und zwar
mit jedem Album immer größere.“
## Immer nur die Carejobs
Einen großen Teil dieser Probleme hat Trebeljahr nicht. Bei ihr liegen die
Dinge anders, sie hat Familie. Ein Schritt, der in Deutschland nicht nur
für viele Musikerinnen immer noch den Weg aus ihrer Künstlerinnenkarriere
bedeutet: „Es wird erwartet, dass eine Frau da ist, um die Care-Jobs zu
machen“, sagt Trebeljahr.
„Tridecoder“ (1999), „Scary World Theory“ (2001), „Faking The Books“
(2004), „Our Inventions“ (2010) und nun also „Two Windows“. Fixpunkte in
der Bandgeschichte von Lali Puna, eine Band, die im Ausland hochgeschätzt
wurde, die aber hierzulande immer etwas unter dem Radar lief. Was nun
anders ist beim aktuellen Album? Erst einmal, man muss diesen Bezug wohl
ein hoffentlich letztes Mal herstellen: Trebeljahr arbeitet jetzt ohne
Markus Acher. Die Assoziation „Nebenprojekt“ kann nun nicht mehr aufkommen.
Außerdem hat sich Trebeljahr auf das besonnen, das sie einst aufgeben
musste, als sie von Lissabon nach Weilheim kam: Ausgehen und Musik im Club.
Der Bass kickt nun etwas mehr als von Lali Puna gewohnt. Lissabon ist in
Weilheim angekommen.
Man muss nichts von Trebeljahrs Lebensgeschichte wissen, um das Album
goutieren zu können. Sie erzählt auch dann von Emanzipation wie im
Titelstück „Two Windows“. Sie fordert ein Recht auf Pause gegen die zügige
Rückkehr zum Alltag nach Terroranschlägen in „Her Daily Black“, um im
letzten Track mit der Aufforderung zu schließen: „Carry your Head up high!“
## Musik zur Gegenwart
Die Größe des Albums ist es, dass man mit ihm Trebeljahrs Geschichte
erzählen könnte, aber auch viele andere. Es ist ein Album über die
Gegenwart, Bedrohungen, den antifeministischen Backlash und den
Drei-Tage-Wach-Imperativ von Clubgängern, der Kurzfassung neoliberaler
Ideologie fürs Wochenende.
„Two Windows“ hat viele kleine Höhepunkte: Trebeljahr besingt die Flucht in
den Club in „The Frame“ in einer Kooperation mit dem
US-Elektronikproduzenten Dntel: „Turn up the Volume / ’Cause I don’t care…
Großartig auch eine Coverversion von „The Bucket“ der
Südstaaten-Bratzerocker Kings of Leon: „Ich habe das breitbeinigste Stück
aus meiner Plattensammlung gesucht“, sagt Trebeljahr. In einem Akt der
feindlichen Übernahme von rockistischer Männerkultur macht sie aus der
Macho-Hymne ein treibendes Stück Elektronik-Pop. Im Song „Two Windows“
heißt es: „Dinosaurs say freedom / the wolf says freedom / The alien says
freedom / The woman says freedom.“ Valerie Trebeljahr sagt: Freiheit.
3 Sep 2017
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
## TAGS
Indietronic
The Notwist
HipHop
Spotify
Elektropop
München
Techno
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