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# taz.de -- Porträt der US-Musikerin Holly Herndon: Es wird ein AI-Baby
> US-Musikerin Holly Herndon arbeitet an einem Album über künstliche
> Intelligenz. Ihre Kunst ist immer auch Kritik am Digitalzeitalter.
Bild: Holly Herndon (Mitte) und Mitglieder ihres Ensembles
Holly Herndon hat keine Angst vor der Zukunft. „Ich neige nicht zum
dunklen, nihilistischen Denken. Ich bin zwar ein ernster, aber auch ein
optimistischer Mensch“, sagt die US-Künstlerin, die an einem Januarabend in
ihrer Wahlheimat Kreuzberg in einer Kneipe sitzt und von der Arbeit an
ihrem neuen Album berichtet.
Dabei stecke doch in dem Thema, das sie für das im Herbst erscheinende Werk
gewählt hat, „dystopisches und utopisches Potenzial zugleich“, sagt die
37-Jährige. Denn sie beschäftigt sich mit Künstlicher Intelligenz (KI bzw.
AI), also mit all den Bots und Robots, die uns in Zukunft die Arbeit
abnehmen und uns Gesellschaft leisten sollen. Eigens für das Album, sagt
sie, kreiere sie ein „AI-Baby“.
Es ist ein für Holly Herndon typisches Thema. Seit ihrem Debütalbum
„Movement“ (2012) verbindet die in Tennessee aufgewachsene Musikerin
experimentelle elektronische Musik mit dem Thema der digitalen
Transformation der Gesellschaft, mit der Verschmelzung des Menschen mit
Laptop und Smartphone.
Auf ihrem gefeierten Album „Platform“ (2015) hat sie sich unter anderem mit
der NSA-Überwachung befasst („Home“). In ihren Videoclips sieht man in
3D-Ästhetik Motive wie einen bis ins Mark vermessenen und durchleuchteten
Menschen.
Welche Macht wir Künstlicher Intelligenz zugestehen und wie wir sie
programmieren, ist für Herndon eine der aktuell dringlichsten
gesellschaftlichen Fragen – und dazu eine hochpolitische. „Google, Facebook
und Apple haben wahrscheinlich die größten Ressourcen und die meisten
Daten, um zu Künstlicher Intelligenz zu forschen.
Dass solche Technologien, die die Gesellschaft umkrempeln könnten,
privatisiert sind, ist erschreckend.“ Zumal niemand mehr leugnen könne,
welche riesigen Probleme diese Unternehmen verursacht hätten. „Wir sehen
einer vollautomatisierten Zukunft entgegen“, sagt sie. „Und die große Frage
ist: Wie schaffen wir es, sie menschlicher zu gestalten?“
Dass Herndon an Humanität gelegen ist, spiegelt sich in ihrer Kunst wider.
Die menschliche Stimme soll bei den neuen Stücken im Vordergrund stehen.
Zusammen mit neun Vokalist_innen, die zum Teil aus Folk-Traditionen kommen,
sowie ihrem Ehemann und künstlerischen Mitstreiter Mat Dryhurst bildet sie
das Holly Herndon Ensemble.
## Menschliches im Maschinenzeitalter
Seit etwa einem Jahr arbeitet sie mit dem international zusammengewürfelten
Chor zusammen, es sei viel darum gegangen, die spezifischen stimmlichen
Talente jedes und jeder Einzelnen zu erkennen. Ihr ist es wichtig, dies nun
auch auf die Bühne zu bringen: „Es gibt bei den Festivals in der
elektronischen Musikszene eine Tendenz, auf die menschliche Stimme, auf das
Lebendige mehr und mehr zu verzichten. Dabei ist mir gerade die menschliche
Performance sehr wichtig.“
Man darf durchaus gespannt sein, inwieweit dies das Klangbild ihrer Musik
verändert. Zwar hat Herndon auch bislang schon mit Stimmen gearbeitet, aber
sie stand in erster Linie für einen Sound, der wie ein Cut-Up
elektronischer Versatzstücke klang, rhythmisch kaum noch zu fassen war und
bei dem sie sehr viele gesampelte Geräusche übereinanderschichtete.
„Hypersampled“, wie sie es treffend nennt.
Wenn sie nun das Menschliche ins Maschinenzeitalter hinüberretten will, so
wendet sie sich auch gegen eine streng durchgetaktete Digitalgesellschaft,
in der das Spontane keinen Platz mehr hat: „Auf Spotify etwa gleiten wir
lückenlos durch den Tag, es gibt eine Workout-Playlist, dann eine
U-Bahn-Playlist und so weiter. Alles geht perfekt ineinander über. Man will
das durchbrechen und etwas Chaotisch-Menschliches reinbringen. Etwas, das
wirklich emotional ist.“
Im Übrigen sei es höchste Zeit, das System Spotify mit der miesen Bezahlung
der Künstler nicht weiter zu stützen. „Ehrlich, wir alle sollten Spotify
verlassen. Es ist schrecklich, es macht keinen Sinn, es ist nicht
funktional. Eigentlich will ich persönlich nichts zu einem solchen Dienst
beisteuern. Aber die meisten Künstler sind nun mal vertraglich dazu
verpflichtet, ihre Musik für Streamingdienste zur Verfügung zu stellen.“
All diese Phänomene stehen für sie pars pro toto für die digitale
Gesellschaft der Zukunft. Im Musikbusiness nervt sie der Imperativ des
Ständig-Präsent-Seins, ebenso die Release-Release-Release-Logik. Herndon,
deren Erkennungszeichen ein gerader rotblonder Pony und ein stets akkurat
geflochtener Zopf sind, bezeichnet ihren konzeptuellen Ansatz im Gespräch
gar als „veraltet“.
Die US-Künstlerin ist eine Mutmacherin in einer Zeit, in der der Alarmismus
eine gewisse Berechtigung hat, aber eben auch nichts bringt. Sie sieht in
all den „KI-Babys“, die wir uns heranzüchten, immer auch eine Chance. Die
Voraussetzung dafür ist allerdings ein mündiges Subjekt im digitalen
Zeitalter; die Bedingung ist, dass sich nicht die Menschen immer mehr den
Maschinen angleichen, sondern umgekehrt.
18 Feb 2018
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Spotify
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