# taz.de -- Der Fall Seth Darko: Plötzlich illegal | |
> Ein 19-Jähriger wurde nach Ghana abgeschoben, obwohl seine Mutter in | |
> Hamburg lebt und er eine Lehrstelle hat. Nun hofft er auf eine Rückkehr. | |
Bild: Wurde direkt in der Hamburger Ausländerbehörde festgenommen und abgesch… | |
HAMBURG taz | Der 19-jährige Seth Darko wurde am frühen Morgen des 2. | |
September mit den Flugzeug nach Ghana abgeschoben. Dort kam er in Accra bei | |
einer Bekannten seiner in Deutschland lebenden Mutter unter – fast 5.000 | |
Kilometer entfernt. „Ich habe kein Leben hier“, sagt Seth Darko am Telefon. | |
„Ich muss unbedingt zu meiner Familie zurück.“ Auch seine Mutter Cynthia | |
Konadu, die in Hamburg-Rahlstedt wohnt und Deutsche Staatsbürgerin ist, | |
sagt: „Ich bin traurig. Er hat keinen in Ghana und kann dort nicht leben.“ | |
Für Seth Darko liegt eine Eingabe im Eingabenausschuss der Bürgerschaft | |
vor. Damit hatte die Jura-Studentin Miriam Tormin in der Nacht zuvor die | |
Abschiebung zu verhindern versucht. „Diese Abschiebung wäre nicht nötig | |
gewesen, er wäre auch freiwillig ausgereist“, sagt Miriam Tormin, die in | |
der Abschiebehaftberatung tätig ist. Schon das in Haft nehmen für die | |
Abschiebung sei bei einem 19-Jährigen, der nicht straffällig wurde und | |
allen Meldeauflagen nachkam, äußerst fragwürdig. | |
Seth Darko lebte ursprünglich bei seiner Großmutter in Ghana, die aber | |
starb, als er 16 Jahre alt war. Weil zu seinem Vater nie Kontakt bestand, | |
reiste Darko nach Deutschland zu seiner Mutter und seinen beiden jüngeren | |
Geschwistern. „Ich wollte bei meiner Familie sein“, sagt er. Er besuchte | |
die Schule, machte den ersten Abschluss, Deutschkurse und Praktika, und | |
bekam schließlich bei einer Firma für Gebäudereinigung eine | |
Ausbildungsstelle angeboten. | |
Der Schulleiter von Darkos Berufsschule bat die Ausländerbehörde noch im | |
März um eine „[1][Ausbildungsduldung]“. Doch das hat nicht geklappt. Als | |
Seth Darko am 30. August zur Ausländerbehörde ging, um seine Duldung zu | |
verlängern, „kamen plötzlich neun, zehn Polizisten rein“, erzählt er am | |
Telefon: „Ich wurde in ein Polizeiauto gesperrt und zum | |
Untersuchungsgefängnis gebracht.“ | |
Er verbrachte die nächsten Tage in einer Einzelzelle im | |
„Ausreisegewahrsam“, dem 2018 eröffneten Containerbau am Flughafen | |
Fuhlsbüttel. Der Flug sollte am 2. September starten. Über Google fand er | |
die Adresse der „Abschiebehaftberatung“, einem gemeinsamen Projekt von | |
Studierenden der [2][Universität Hamburg] und der [3][Bucerius Law School], | |
wo er um Hilfe bat. | |
Nachdem sich Miriam Tormin und ihre Mitstreiter in den Fall eingearbeitet | |
hatten, reichten sie am 1. September kurz vor Mitternacht besagte Petition | |
an die Bürgerschaft ein und schickten auch ein Fax mit Betreff „Eilt! | |
Abschiebung morgen“ an die Ausländerbehörde. Denn nach einer politischen | |
Vereinbarung zwischen Senat und Parlament kommt derartigen Eingaben | |
„aufschiebende Wirkung“ zu. „Die Abschiebung ist somit unverzüglich zu | |
stoppen“, schrieb Tormin. | |
Auch sei spätestens ab diesem Zeitpunkt das Abschiebegewahrsam rechtswidrig | |
gewesen. Auch in der Hafteinrichtung rief Tormin an und schickte ein Fax, | |
um über die Petition zu informieren. Doch unmittelbar nach dem Anruf wurde | |
Seth Darko das Handy weggenommen, sodass die Beraterinnen ihm nicht mehr | |
erklären konnten, dass er die Abschiebung noch am Flughafen mit dem Hinweis | |
auf die vorliegende Eingabe hätte verhindern können. Wo die Abschiebung | |
aber nun passiert ist, wird im Eingabenausschuss weiter beraten: | |
Üblicherweise haben Abgeschobene eine Einreisesperre von zwei Jahren. Die | |
könnte verkürzt werden. | |
Die Innenbehörde erklärt auf taz-Nachfrage, Darko sei abgeschoben worden, | |
weil er unerlaubt eingereist sei und „die ihm gewährte Ausreisefrist | |
abgelaufen war“. Die Eingabe habe die Bürgerschaftskanzlei der Behörde erst | |
am Morgen des 2. September um 7.29 Uhr übermittelt. „Zu diesem Zeitpunkt | |
war die Maschine nach Ghana bereits gestartet“, so Sprecher Matthias Krumm. | |
Die Handy-Abnahme sei aufgrund von Vorgaben der Bundespolizei erfolgt. | |
Miriam Tormin leuchtet das Vorgehen nicht ein. Die Behörde habe selber | |
nachts ein Fax an Darkos Anwalt verschickt, hätte also gearbeitet. Auch war | |
das tagelange Eingesperrtsein und die Abschiebung selbst für Darko | |
psychisch stark belastend. | |
„Unser Zusenden der Eingabe an die Behörde hätte genügen müssen. So aber | |
wurde deren aufschiebende Wirkung vereitelt“, sagt sie. Auch hätte es | |
keinen Grund gegeben, Stunden vor dem Abflug das Handy einzukassieren. | |
Michael Gwosdz, für die Grünen-Fraktion zuständiger Vertreter im | |
Eingabenausschus, darf sich zu konkreten Fällen nicht äußern. Grundsätzlich | |
sei es aber ein Problem, dass die sogenannte „[4][Ausbildungsduldung]“, die | |
seit 2016 vielen einst unbegleitet eingereisten Minderjährigen und anderen | |
jungen Menschen Perspektiven eröffnete, seit 2020 nicht mehr für Menschen | |
aus den acht als sicher eingestuften Herkunftsländern erteilt werde. „Ghana | |
gehört dazu.“ | |
Aber was dann? Gwosdz sagt, es sei möglich, dass junge Menschen, die eine | |
Ausbildungsstelle haben, beim „[5][Hamburg Welcome Center]“ über das | |
sogenannte „beschleunigte Fachkräfteverfahren“ ein Visum beantragen. Wenn | |
sie dann freiwillig für ein paar Wochen in ihr Heimatland reisen, können | |
sie das Visum dort bei der Deutschen Botschaft abholen. „Der | |
Eingabenausschuss in Hamburg hat dies in ähnlichen Fällen schon mehrfach | |
ermöglicht, sodass eine Abschiebung vermieden und eine Ausbildung | |
ermöglicht wurde“, sagt Gwosdz. Zudem könne Hamburg grundsätzlich auch auf | |
eine Verkürzung der Wiedereinreisesperre hinwirken. | |
## Die Arbeitsagentur entscheidet mit | |
Voraussetzung ist aber auch, dass die Arbeitsagentur für den jeweiligen | |
Beruf – also hier des Gebäudereinigers – einen Fachkräftebedarf sieht. | |
Danach gefragt, sagt Arbeitsagenturspecher Knut Böhrnsen, man werde zu | |
gegebener Zeit dazu Stellung nehmen. Generell droht Deutschland ein | |
Fachkräftemangel. | |
Michael Gwosdz stellt derweil die Frage, warum die Ausländerbehörde nicht | |
auch immer über die geschilderten Möglichkeiten berate? „Hamburg hat zur | |
Förderung der Fachkräfte Einwanderung doch extra ein 'Welcome’-Center | |
geschaffen“. | |
„Es wäre sehr wünschenswert, dass die Wiedereinreisesperre massiv verkürzt | |
wird“, sagt Miriam Tormin, die mit Darko täglich im Kontakt ist. Sie weist | |
darauf hin, dass er bereits mit 16 Jahren ins Land kam und Anspruch auf | |
regulären Familiennachzug gehabt hätte. Diese Paragrafen seien Verwandten | |
aber nicht bekannt gewesen. „Seth Darko war minderjährig und wollte nicht | |
illegal einreisen“, sagt sie. Das dürfte ihm nun nicht zur Last gelegt | |
werden. | |
Die Firma Kind-Gebäudereinigung will ihren Azubi auf jeden Fall gern haben | |
und sich um ein Visum bemühen. „Der war so fleißig hier als Praktikant“, | |
sagt Personalbearbeiterin Daniela Dussau. „Ich verstehe nicht, warum der | |
abgeschoben wurde. Er hat niemandem etwas getan.“ | |
14 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/yourchance/8413680/umsetzung-ausbildungsduldung/ | |
[2] https://www.jura.uni-hamburg.de/lehrprojekte/law-clinics/refugee-law-clinic… | |
[3] https://www.law-school.de/services/law-clinic | |
[4] /Schwerpunktthema-Ausbildung/!5535441 | |
[5] https://welcome.hamburg.de/auslaenderbehoerden-kundenzentren/2072756/hambur… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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