# taz.de -- Schwerpunktthema Ausbildung: Vom Flüchtling zum Lehrling | |
> Bei vielen Berliner Betrieben sind Geflüchtete als Azubis durchaus | |
> gefragt. Aber nicht selten scheitert ihre Ausbildung an der | |
> Ausländerbehörde. | |
Bild: Geflüchtete in einer Ausbildungsvorbereitungsmaßnahme in Berlin | |
Schon lange gibt es die Idee, dass Geflüchtete den Mangel an Fachkräften | |
und Azubis ausgleichen könnten. Der Senat hat Projekte wie „Arrivo“ | |
aufgelegt, die Wirtschaft und Flüchtlinge zusammenbringen sollen, der Bund | |
gesetzliche Vorschriften gelockert. Dennoch hält sich die Zahl der | |
Geflüchteten, die in Berlin und Brandenburg eine Lehre machen, in Grenzen. | |
Laut Arbeitsagentur waren zu Beginn des Ausbildungsjahres 2017 in Berlin | |
rund 800 Jugendliche aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern | |
(Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) | |
in Ausbildung, in Brandenburg 327. Und von den über 20.000 Betrieben in der | |
Region, die ausbilden, hatten nur 835 Azubis aus diesen Ländern. | |
Eine dieser Firmen ist Lundtauto Sportwagen Service in Zehlendorf. Vier | |
Geflüchtete arbeiten dort, zwei als Azubis, zwei als Gesellen. Mit ihrer | |
Arbeit sei er rundum zufrieden, erzählt Geschäftsführer Thomas Lundt: „Das | |
sind super Mitarbeiter.“ Nach seiner Erfahrung haben Geflüchtete eine | |
„besonders hohe Arbeitsmoral. Viele sehen, dass sie hier eine Chance haben, | |
etwas aus ihrem Leben zu machen – aber auch, dass sie etwas dafür tun | |
müssen.“ | |
Dennoch hat Lundt „Probleme ohne Ende“: mit den Behörden. Als der | |
Asylantrag seines Auszubildenden aus Libanon vor einigen Monaten abgelehnt | |
wurde, habe ihn die Ausländerbehörde aufgefordert, den Ausbildungsvertrag | |
sofort aufzulösen: „Andernfalls wurden mir 10.000 Euro Strafe angedroht.“ | |
## Bedingung ist der Pass | |
Der junge Mann habe wochenlang untätig zu Hause sitzen müssen – „vom Amt | |
bezahlt statt eigenes Geld zu verdienen“, regt sich Lundt noch immer auf – | |
nur um am Ende doch eine Duldung zu bekommen und die Ausbildung fortsetzen | |
zu können. „Das ist doch der Hammer!“, findet der Obermeister der Berliner | |
Kraftfahrzeuginnung. | |
Eigentlich sollte es so etwas nicht mehr geben. Um Betrieben, die | |
Geflüchtete ausbilden, Sicherheit zu geben, dass die Lehre beendet werden | |
und der neu ausgebildete Facharbeiter danach im Betrieb weiterarbeiten | |
kann, trat 2016 bundesweit die sogenannte 3+2-Regelung in Kraft. | |
Sie besagt, dass ein Ausländer, der ausreisepflichtig ist, etwa weil sein | |
Asylantrag abgelehnt wurde, eine Duldung bekommt, wenn er eine anerkannte | |
Ausbildung macht. Danach darf er noch zwei Jahre hier arbeiten. | |
Allerdings gibt es Bedingungen für diese „Ausbildungsduldung“. Eine davon: | |
Man braucht einen Pass – den viele Asylbewerber nicht haben und der für sie | |
oft nur schwer zu besorgen ist. Für Afghanen etwa, erklärt Christian Lüder | |
von Berlin hilft, sei es „teuer, langwierig und schwierig“, einen Pass zu | |
bekommen – für Afghanen, die lange im Exil in Iran lebten, sogar „so gut | |
wie unmöglich“. | |
Nicht selten scheitere die Ausbildung von Geflüchteten daher an der | |
Passfrage, so Lüder. Dass Unternehmen angesichts solcher Probleme eher | |
zurückhaltend sind bei der Einstellung von Flüchtlings-Azubis, wundert ihn | |
nicht: „Manche gehen dieses Risiko ein, aber viele eben nicht.“ | |
## Intensiv kümmern | |
So richtig gute Erfahrungen hat auch Dieter Mießen noch nicht gemacht mit | |
Geflüchteten als Azubis. Der erste, den der kaufmännische Leiter der | |
Tiefbau-Firma Frisch & Faust 2016 eingestellt hatte, kündigte nach drei | |
Monaten. „Warum, ist mir bis heute ein Rätsel“, so Mießen. Dem zweiten, w… | |
der erste aus Afghanistan, kündigte Mießen „aus disziplinarischen Gründen�… | |
sprich: häufiges Zuspätkommen und unentschuldigtes Fehlen gleich zu Beginn. | |
Dennoch hat die Firma auch in diesem Jahr wieder einen Geflüchteten | |
eingestellt: einen jungen Syrer, der am 1. August eine Ausbildung zum | |
Tiefbau-Facharbeiter angefangen hat. Er habe zwar noch sprachliche | |
Defizite, erklärt Mießen, aber sie sorgten zusammen mit dem Jobcenter | |
dafür, dass er entsprechende Förderung bekommt. „So intensiv können wir uns | |
nicht um jeden Azubi kümmern.“ | |
Wenn das alles so schwierig ist, warum macht eine Firma das? „Wir wollten | |
unseren Teil beitragen zur Integration“, erklärt Mießen. Man habe als | |
Arbeitgeber schließlich eine „soziale Verantwortung“. Ähnlich antwortet | |
Lundt: „Ich hatte gar nichts und bin weit gekommen. Jetzt will ich der | |
Gesellschaft was zurückgeben.“ | |
Zu Beginn des Ausbildungsjahrs stehen in Berlin noch 5.700 freie | |
Ausbildungsplätze 6.700 Lehrstellensuchenden gegenüber. Warum findet da | |
nicht zusammen, was zusammenfinden möchte? Unser Schwerpunktthema in der | |
gedruckten taz.berlin an diesem Wochenende. | |
15 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Ausbildung | |
Geflüchtete | |
Abschiebung | |
Elke Breitenbach | |
Schwerpunkt Flucht | |
Bremen | |
Ausbildung | |
Schwerpunkt Flucht | |
Lesestück Interview | |
Asylsuchende | |
Azubis | |
Fachkräftemangel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Fall Seth Darko: Plötzlich illegal | |
Ein 19-Jähriger wurde nach Ghana abgeschoben, obwohl seine Mutter in | |
Hamburg lebt und er eine Lehrstelle hat. Nun hofft er auf eine Rückkehr. | |
Flüchtlinge und Arbeit: Geflüchtete zu Fachkräften | |
Die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Flüchtlinge hat sich | |
fast vervierfacht. Die Betriebe sind dankbar für die Arbeitskräfte. | |
Ankunftszentrum Geflüchtete: Noch ein Jahr Hangar | |
Der Senat möchte ein neues Ankunftszentrum bauen: Doch das kann dauern. | |
Solange müssen Geflüchtete im menschenunwürdigem Hangar ankommen. | |
Azubis mit Fluchthintergrund: Arbeit ja, Unterhalt nein | |
Geflüchtete, die eine Ausbildung machen, haben laut Gesetzt keinen Anspruch | |
auf Sozialleistungen. In Bremen wird daran gearbeitet, das zu ändern. | |
Schwerpunkt Ausbildung: Im Azubi-Himmel? | |
Zu Beginn des Ausbildungsjahrs stehen 6.700 Lehrstellensuchern in Berlin | |
noch 5.700 freie Ausbildungsplätze gegenüber. Woran liegt das? | |
Positives Flüchtlingsbild in Deutschland: Eigentlich schaffen wir das ganz gut | |
Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist positiv in Deutschland, zeigt das | |
neue Integrationsbarometer. Männer und Ostdeutsche sind skeptischer. | |
Integrationspolitiker über Chemnitz & Co.: „Ich finde Deutschland richtig ge… | |
Das Integrationsparadoxon: Der Soziologe Aladin El-Mafaalani sagt, dass | |
Konflikte einfach zu einer funktionierenden Einwanderungsgesellschaft | |
gehören. | |
Der Fall Abadir M.: Zum Nichtstun verdammt | |
Ein Jahr hat Abadir M. bei der Hamburger Stadtreinigung gearbeitet. Seine | |
Chefs und Kollegen wollen, dass er das auch weiter tut, doch die | |
Ausländerbehörde stellt sich quer. | |
DGB-Report zur Situation der Azubis: Ausbilden und Einspannen | |
Regelmäßige unbezahlte Überstunden, Erreichbarkeit nach Dienstschluss: Das | |
ist Alltag für viele Lehrlinge in Deutschland, stellt der | |
DGB-Ausbildungsreport fest. | |
Fachkräfte dringend gesucht: Sei lieber nett zu mir, Chef! | |
Den Betrieben gehen die Fachkräfte aus: Friseure werben mit | |
Rhetorik-Kursen, Schreiner mit Work-Life-Balance. Doch die Ansprüche sind | |
hoch. |