# taz.de -- Azubis mit Fluchthintergrund: Arbeit ja, Unterhalt nein | |
> Geflüchtete, die eine Ausbildung machen, haben laut Gesetzt keinen | |
> Anspruch auf Sozialleistungen. In Bremen wird daran gearbeitet, das zu | |
> ändern. | |
Bild: Haben mitunter viel Ärger mit den Behörden: Geflüchtete, die eine Ausb… | |
BREMEN taz | Unter einem großen SUV in einer Werkstatt im Mittelshuchtinger | |
Gewerbegebiet liegt Farhad Arghandiwal und schraubt an einem Paar neuer | |
Winterreifen. Arghandiwal ist 25 Jahre alt und lebt seit gut zwei Jahren in | |
Deutschland, geboren wurde er in Afghanistan. Seine Ausbildung bei der | |
Autowerkstatt von Reinhard Schietke hat er erst vor Kurzem begonnen. Zuvor | |
hatte er in einer staatlich finanzierten Einstiegsqualifikation ein Jahr in | |
der Werkstatt gearbeitet. | |
Farhad Arghandiwal ist einer von wenigen Geflüchteten, die in Deutschland | |
eine Ausbildungsstelle gefunden haben. Laut deutscher Industrie- und | |
Handelskammer sind bundesweit gerade einmal knapp über 9.000 Auszubildende | |
Geflüchtete, 3.500 davon kommen laut DIHK wie Arghandiwal aus Afghanistan. | |
„Wir hatten bislang keine geflüchteten Auszubildenden bei uns im Betrieb“, | |
erzählt Schietke. Arghandiwal habe sich aber in der Einstiegsqualifizierung | |
so gut angestellt, dass er ihn übernehmen wollte. Mit dem was daraus | |
resultierte, hatte er allerdings nicht gerechnet: Arghandiwal bekam für die | |
Ausbildung eine Bleibeduldung. Und das bedeutete für Chef und Azubi einen | |
Behördenmarathon. Denn mit dem Beginn der Ausbildung und dem vorläufigen | |
Aufenthaltsstatus fällt Arghandiwal in eine schwerwiegende Gesetzeslücke. | |
„Ich habe mit der Ausbildung keinen Anspruch auf Sozialhilfen mehr“, | |
erzählt der Azubi. Ein Netto-Ausbildungsgehalt von rund 450 Euro soll | |
zunächst einmal alles sein, was er bekommt. Arbeits- und Sozialamt lehnen | |
jegliche Verantwortung für den jungen Mann ab – das Sozialgesetzbuch sieht | |
eine Unterstützung von Azubis und Studierenden nicht vor. | |
Arghandiwal ist in Bremen kein Einzelfall. Konkrete Zahlen dazu, wie viele | |
Menschen diese Gesetzeslücke derzeit betrifft lassen sich zwar nicht | |
finden, doch der Verein „FluchtRaum“ und das Bremer Integrationsnetz (BIN) | |
beraten zahlreiche von ihnen. „Die Zahl unserer Beratungsgespräche zu | |
diesem Thema liegt derzeit weit jenseits des bedauerlichen Einzelfalls“, | |
sagt Markus Saxinger, Projektleiter beim BIN. Die Zahl bewege sich allein | |
bei ihnen weit im zweistelligen Bereich. Auch Freunde Schietkes, die | |
Geflüchtete ausbilden, so erzählt er, erfahren die gleichen Probleme. | |
Er ärgert sich darüber, dass sich niemand für das Problem verantwortlich | |
fühlt. Makaber sei vor allem, dass bei einem Ausbildungsabbruch ein | |
erneuter Anspruch auf eine Sozialleistung für den Azubi bestehe. „Man | |
motiviert ja dazu, faul rumzusitzen. Farhad hätte mehr Geld, wenn er keine | |
Ausbildung machen würde.“ Dann allerdings könnte er jeden Tag abgeschoben | |
werden, seine Duldung gilt nur im Rahmen der Ausbildung. „Was ist das für | |
ein System, wo bleibt da der Ansporn?“, sagt Schietke, der sich mit BIN und | |
FluchtRaum einig ist: „Die Politik weiß von der Gesetzeslücke, kennt die | |
Probleme.“ Warum nicht gehandelt würde, sei nicht zu verstehen. | |
Dabei ist eine Verhandlung längst im Gange. Doch wie das in der Politik oft | |
so sei, sagt Bernd Schneider, Pressesprecher der Senatorin für Soziales und | |
Integration, sei der Prozess zeitlich nicht absteckbar. „Wir bemühen uns | |
auf Bundesebene darum, die Gesetzeslücke zu schließen. Das würde durch eine | |
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes möglich sein.“ | |
## Länderübergreifende Problemlösung | |
Derweil in Bremen Geld zu verteilen sei aber nicht möglich, sagt Schneider, | |
denn damit würde man sich über geltendes Recht hinwegsetzen. Dennoch gebe | |
es Ende November ein Plenum der Arbeitsgemeinschaft Flüchtlinge, in dem | |
länderübergreifend ein erster gemeinsamer Vorschlag zur Problemlösung | |
gemacht werden solle. | |
Arghandiwal nützt das vorerst wenig: Er kann von seinem jetzigen Gehalt | |
gerade einmal seine Miete zahlen. Busfahrkarte, Lebensmittel und | |
Nebenkosten sind finanziell noch nicht gedeckt. Sein Vermieter bietet an, | |
in seinen Bürokomplexen zu putzen – gegen eine Mietvergünstigung. Ein | |
weiterer Job neben der Vollzeitausbildung? „Das kann ich als Chef nicht | |
zulassen“ so Schietke. Wie solle der Azubi sich bei zwei Jobs auf | |
Ausbildungsinhalte konzentrieren und täglich fit sein? | |
## Hilfe durch die Caritas | |
Die Caritas Osnabrück leistet nun überbrückend Hilfe. Für drei Monate kann | |
Arghandiwal auf Fördergelder eines Spendentopfes zurückgreifen. Was danach | |
passieren soll? Azubi und Chef haben gemeinsam einen Anwalt eingeschaltet | |
und gegen die finanzielle Misslage geklagt. Jeden Monat hoffen sie, dass | |
sich seine Situation klärt und er doch einen Anspruch auf Sozialleistungen | |
erhält. | |
Über die Einstufung als Härtefall wäre das wohl möglich. Doch der | |
rechtliche Prozess ist langwierig und dauert nun schon seit August an. Ein | |
Ende scheint nicht in Sicht. „Die Behörden“, sagt Schietke, „arbeiten eb… | |
gegen uns“. | |
25 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Lea Schweckendiek | |
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