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# taz.de -- Der Fall Abadir M.: Zum Nichtstun verdammt
> Ein Jahr hat Abadir M. bei der Hamburger Stadtreinigung gearbeitet. Seine
> Chefs und Kollegen wollen, dass er das auch weiter tut, doch die
> Ausländerbehörde stellt sich quer.
Bild: Würde gerne weiter bei der Stadtreinigung arbeiten, darf aber nicht: Aba…
HAMBURG taz | Viel wird gerade über den sogenannten Spurwechsel in der
Asylpolitik gesprochen. Geflüchtete, die einen Job haben, aber nicht als
Flüchtlinge anerkannt wurden, sollen so die Möglichkeit bekommen, trotzdem
in Deutschland bleiben zu dürfen. Unternehmerverbände und Politiker
befürworten diese Lösung, denn es fehlen Arbeitskräfte, während viele
Geflüchtete von Gesetzes wegen zum Nichtstun verdammt sind – sie dürfen
nicht arbeiten, obwohl sie wollen und könnten. Ein aktueller Fall in
Hamburg zeigt, wie absurd das deutsche Asylsystem häufig mit
arbeitswilligen Flüchtlingen umgeht.
Abadir M. ist 29 Jahre alt und lebt seit vier Jahren in Hamburg. Er ist in
Eritrea geboren, aber in Äthiopien aufgewachsen. Über Stationen im Sudan
und in Libyen kam er 2014 über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa.
Im Mai 2017 begann er als Entsorger bei der Stadtreinigung Hamburg zu
arbeiten – und machte seinen Job so gut, dass der Betrieb seinen
Arbeitsvertrag ein Jahr später in ein unbefristetes
Beschäftigungsverhältnis umwandelte.
Doch keine zwei Monate später, im Juli dieses Jahres, entzog ihm die
Hamburger Ausländerbehörde unerwartet die Arbeitserlaubnis. „Die Behörde
hat gesagt, ich habe keinen Pass und darf nicht mehr arbeiten“, sagt M.
„Aber vorher hatte ich auch keinen Pass.“ In seinen Duldungspapieren ist
die Arbeitserlaubnis seitdem durchgestrichen, handschriftlich ist daneben
vermerkt: „Die Arbeitsaufnahme ist nicht gestattet.“
Abadir M. hat nach eigener Aussage nie einen Pass oder eine Geburtsurkunde
besessen. Sein Vater fiel im Krieg in Eritrea, seine Mutter, die mit Abadir
und seinen Geschwistern nach Äthiopien geflohen war, ist ebenfalls tot.
Eine Bestätigung des Dorfvorstehers seines Heimatdorfes über seine
Identität haben die deutschen Behörden nicht akzeptiert. Eine Schule, auf
die er in Äthiopien gegangen ist und die womöglich hätte bestätigen können,
dass es sich bei Abadir M. um Abadir M. handelt, existiert nicht mehr. Die
Botschaften von Eritrea und Äthiopien haben die Ausstellung von
Passdokumenten verweigert, sagt er. Es gibt niemanden, der seine Identität
bezeugen könnte. „In Afrika ist das anders als hier, da gibt es sowas nicht
immer“, sagt M.
Ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde soll gesagt haben „Ich weiß doch
nicht, ob das kein Terrorist ist“, sagt eine Unterstützerin M.s, Ruth
Winterfeldt.
## Fehlender Pass
„Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so stolz erzählt, wie er in
Billstedt die Straßen sauber hält“, sagt Winterfeldt. Die pensionierte
Sozialarbeiterin ist Anwohnerin des Containerdorfes in Hummelsbüttel, in
dem M. lebte. Als Freiwillige gab sie von 2015 bis 2017 Deutschunterricht,
kochte und begleitete Ausflüge mit den Bewohnern nach Berlin und Lübeck.
M. ist abgelehnter Asylbewerber, sein Asylantrag sei wegen des fehlenden
Passes abgelehnt worden, berichtet Winterfeldt. In Deutschland geduldet
wird der junge Mann – bittere Ironie – laut Ausländerbehörde nur, weil er
ohne Papiere nicht abgeschoben werden könne, „was er selbst zu vertreten
hat“, wie es in einem Schreiben der Behörde heißt. Damit verweigert ihm die
Behörde eine Aufenthaltserlaubnis, auf die er rechtmäßig Anspruch hätte,
wenn er zum Beispiel unverschuldet passlos wäre.
Doch aus Sicht der Bürokratie ist er seinen gesetzlichen
Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, weshalb ihm gemäß
Aufenthaltsgesetz auch die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Warum er zuvor
aber arbeiten durfte, hat man weder ihm noch Winterfeldt erklärt, sagen
beide.
## Perspektive bei der Stadtreinigung
Aus Behördensicht müsse M. zur Not eben einen Vertrauensanwalt in Eritrea
oder Äthiopien beauftragen, die fehlenden Dokumente zu beschaffen.
Abgesehen davon, dass das Geld kostet, das Abadir nicht hat, würde ihm bei
erfolgreicher Suche nach den Papieren womöglich die Abschiebung drohen,
denn dann wäre das „Abschiebungshindernis“ beseitigt.
Die Hamburger Stadtreinigung hat in einem Brief an die Ausländerbehörde ihr
„außerordentliches“ Bedauern darüber ausgedrückt, dass sie M. als
Mitarbeiter verlieren. Ob die Behörde reagiert hat, ist unklar. Der junge
Mann hatte eine Perspektive in dem Unternehmen. Sobald er seine
Autofahrerlaubnis gemacht hätte, hätte ihm die Stadtreinigung den
Lkw-Führerschein bezahlt, erzählt er. Zudem hätte er in Zukunft seine
Ausbildung absolvieren können. Seinen Hauptschulabschluss und die
B1-Deutschprüfung hat er schon gemacht, sagt er stolz.
Auch jetzt noch gibt es Kollegen der Stadtreinigung, die M. bei Gängen zu
seiner Anwältin oder den Behörden unterstützen. Selbst seinen Schlüssel zu
den Firmengebäuden hat er noch.
10 Sep 2018
## AUTOREN
Hannes Stepputat
## TAGS
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Eritrea
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Sami A.
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