| # taz.de -- Abschiebung von Christophe Cissé: Machtlos gegenüber der Bürokra… | |
| > Christophe Cissé hat in Hamburg Freunde, Arbeit und eine Zukunft. Doch | |
| > dann lief sein Pass ab. Nun soll er nach Mali abgeschoben werden. | |
| Bild: Freiheit für Cissé: Freunde und Unterstützer demonstrieren für seinen… | |
| Hamburg taz | Christophe Cissé soll abgeschoben werden, aber noch kann man | |
| ihn besuchen. Es ist ein kalter Morgen, das Nieselwetter passt zur | |
| Tristesse der zusammengewürfelten Container am Hamburger Flughafen, in | |
| denen das sogenannte Rückführungszentrum untergebracht ist. Hier werden | |
| aktuell zwölf Menschen festgehalten. Zwei Beamte arbeiten an diesem Morgen | |
| dort, außerdem noch Sicherheitskräfte einer privaten Firma. | |
| Nach einer Durchsuchung geht es in einen Aufenthaltsraum. Christophe Cissé | |
| hat einen lockeren Gang, kurze Rastalocken und freut sich sichtlich | |
| darüber, dass jemand mit ihm sprechen möchte. | |
| Cissé war in Mali Schulleiter und lernte dort eine Deutsche kennen, die ein | |
| Auslandspraktikum an seiner Schule machte. „Ich half ihr bei Übersetzungen | |
| und im Arbeitsalltag“, sagt er. Sie wurden Freunde und später ein Paar. Als | |
| sie wieder zurück nach Deutschland ging, wollte sie, dass er mitkommt. Sie | |
| heirateten in Mali und Cissé ging mit ihr nach Berlin. Das war 2012. | |
| Cissé besuchte einen Deutschkurs, engagierte sich als Dolmetscher und | |
| Ansprechpartner für Geflohene sowie in der offenen Fahrradwerkstatt Flicken | |
| e.V. in Kreuzberg, gab Asylsuchenden Obdach und wurde Vater. Da er über den | |
| Familiennachzug einreiste, hatte der überzeugte Christ einen | |
| Aufenthaltstitel und eine Arbeitsberechtigung. „Der war hier gut | |
| integriert“, meint Taina Gärtner, die Sozialberatung für Flüchtlinge in | |
| Berlin macht. Auch Lars Kriener vom Flicken e. V. erinnert sich gut an die | |
| gemeinsame Zeit: „Er war hilfsbereit, hat Ideen eingebracht und für uns | |
| Elektrogeräte repariert.“ | |
| Cissés Ehe lief allerdings nicht gut. Es gab häufig Streit und er erfuhr, | |
| dass das gemeinsame Kind nicht von ihm ist. Mit der Aberkennung der | |
| Vaterschaft und der Scheidung verlor Cissé 2015 seinen rechtmäßigen | |
| Aufenthalt, den er durch den Familiennachzug bekommen hatte. Er rutschte | |
| in den Status der Duldung ab. Die hing jedoch von einem gültigen Reisepass | |
| ab. Als dieser 2017 ablief, benötigte die malische Botschaft in Berlin neun | |
| Monate, bis sie ihm einen neuen ausstellen konnte. „Der Pass musste in Mali | |
| bearbeitet werden. Das ging nicht schneller, weil da Chaos ist“, sagt | |
| Cissé. | |
| Nach seiner Scheidung war er Ende 2015 nach Hamburg gezogen, um unter | |
| anderem für Airbus zu arbeiten. Ohne gültigen Pass konnte er jedoch seine | |
| Duldung nicht verlängern. Airbus musste ihm kündigen, Cissé wurde | |
| arbeitslos und war auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Er | |
| pendelte viel zwischen Berlin und Hamburg. | |
| Ohne Pass hatte er auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe und bekam Probleme | |
| mit der Krankenversicherung, die ihm die Beiträge persönlich in Rechnung | |
| stellte. Am Ende hatte er 11.000 Euro Schulden bei der AOK. | |
| Als er mit einem gültigen Pass Anfang 2018 eine Verlängerung seines | |
| Aufenthalts beantragen wollte, sagte ihm die Ausländerbehörde, dass er | |
| dafür eine Krankenversicherung braucht. Die AOK stellte ihm diese jedoch | |
| wegen der Schulden nicht aus. Dadurch konnte er auch Ansprüche auf | |
| Sozialhilfe, mit der er die Krankenkasse hätte bezahlen können, nicht | |
| geltend machen. | |
| „Ich habe mich gefühlt, als würden die mich verarschen“, sagt Cissé | |
| resigniert. „Die AOK hat mir eine Bescheinigung über die Schulden gegeben, | |
| die habe ich dem Sozialamt vorgelegt. Aber die machen gar nichts.“ | |
| Auch die Ausländerbehörde beriet ihn anscheinend nicht richtig. Über die | |
| sogenannte 3+2-Regelung hätte er eine Ausbildung beginnen und einen eigenen | |
| Aufenthaltstitel für fünf Jahre bekommen können. Cissé sagt, dass ihm das | |
| nicht erklärt wurde. Selbst mit der Aussicht auf eine Stelle bei Makita | |
| Engineering in Hamburg wollte die Ausländerbehörde ihm keinen Aufenthalt | |
| gewähren. | |
| Als er seine Duldung am 14. Februar verlängern wollte, wurde er in der | |
| Zentralen Ausländerbehörde in der Hammer Straße festgenommen und in | |
| Abschiebehaft gebracht, weil er sich weigerte, freiwillig auszureisen. | |
| „Dann kamen die Sicherheitsleute und nahmen mich fest.“ | |
| Die Ausländerbehörde in Hamburg möchte sich mit dem Verweis auf den | |
| Datenschutz zu dem Fall nicht äußern. Sie weist aber darauf hin, dass Cissé | |
| seiner Inhaftierung hätte zuvorkommen können, wenn er freiwillig ausgereist | |
| wäre. Nach Mali möchte er jedoch nicht zurück. „Da ist Krieg“, sagt er. | |
| ## Asylantrag mit geringen Erfolgsaussichten | |
| Am Samstag vor einer Woche hatten Freunde von Christophe Cissé zu einer | |
| Demonstration aufgerufen. Bei starkem Regen versammelten sich bis zu 100 | |
| Menschen am Lampedusa-Zelt am Steindamm, unweit des Hauptbahnhofes. Es | |
| wehte eine Antifa-Flagge, Menschen hielten ein Transparent mit der | |
| Aufschrift „Free Christophe“ hoch, es kamen Freunde und Leute, denen Cissé | |
| bei Amtsgängen oder Übersetzungen geholfen hat. | |
| Cissé sagt, es habe ihm Kraft gegeben, dass so viele Menschen für seinen | |
| Verbleib demonstrierten: „Das hat mich sehr stolz gemacht. Es bedeutet mir | |
| viel, dass so viele kamen.“ | |
| Wie es weitergeht, weiß Christophe Cissé noch nicht. Ob er wieder als | |
| Lehrer in Mali arbeiten kann, ist ungewiss. Zudem macht er sich Sorgen über | |
| die Sicherheit im Land. Frankreich ist seit 2014 mit circa 1.000 Soldaten | |
| in Mali, sie sind Teil einer größeren Antiterroroffensive in den | |
| Sahel-Staaten. Auch die Bundeswehr hat ein Mandat für bis zu 1.100 Soldaten | |
| als Beitrag zur UN-Mission Minusma im Land. Das Auswärtige Amt warnt vor | |
| Reisen in Mali. Abschiebungen dorthin sind trotzdem möglich. | |
| Die letzte Möglichkeit für Cissé, hier zu bleiben, ist ein Asylantrag. Den | |
| stellte er spontan, als er in der Nacht zum 26. Februar früher als geplant | |
| von der Polizei zum Flieger gebracht werden sollte. Die Aussichten auf | |
| Erfolg sind jedoch gering. | |
| 2 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Steffens | |
| ## TAGS | |
| Abschiebung | |
| Hamburg | |
| Asylpolitik | |
| Ausländerbehörde | |
| Bürokratie | |
| Kolumne Alles getürkt | |
| Duldung | |
| Pass | |
| Flüchtlinge | |
| Asylsuchende | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Deutsche Bürokratie: Die 7-Cent-Katastrophe | |
| Ich dachte, der Brief von den Stadtwerken mit der Jahresabrechnung wäre | |
| nicht weiter wichtig. Aber da habe ich mich gründlich geirrt. | |
| Bleiberecht in Bremen: Das Warten soll ein Ende haben | |
| Mit zwei Erlassen will die Bremer Koalition Geflüchtete aus der | |
| Kettenduldung holen. Ob das mit Bundesrecht vereinbar ist, ist noch unklar. | |
| Passbeschaffung bei Geflüchteten: In der Zwickmühle | |
| Ein Ägypter verliert Wohnung und Job, weil Hamburgs Behörden ihm keine | |
| Arbeitserlaubnis erteilen. Ihm fehlt der vor Monaten beantragte Pass. | |
| Geflüchtete müssen Schlangestehen: Warten auf dunklen Fluren | |
| Im Bezirksamt Wandsbek müssen Flüchtlinge, die zur Ausländerabteilung | |
| möchten, nachts im Flur warten. Dort gibt es weder Licht noch Security. | |
| Der Fall Abadir M.: Zum Nichtstun verdammt | |
| Ein Jahr hat Abadir M. bei der Hamburger Stadtreinigung gearbeitet. Seine | |
| Chefs und Kollegen wollen, dass er das auch weiter tut, doch die | |
| Ausländerbehörde stellt sich quer. |