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# taz.de -- Holocaust-Mahnmal in den Niederlanden: 102.162 Lebensgeschichten
> Jahrelang gab es Streit über den Standort. Jetzt wurde in Amsterdam das
> Nationale Holocaust-Denkmal der Niederlande eingeweiht.
Bild: Eröffnet: Das von Daniel Libeskind entworfene Holocaust-Mahnmal in Amste…
Amsterdam taz | Die Niederlande haben ein Nationales Holocaust-Monument. In
Anwesenheit von Überlebenden und Angehörigen ermordeter niederländischer
Juden, Sinti und Roma eröffneten König Willem-Alexander und Jacques
Grishaver, Vorsitzender des Auschwitz-Komitees, am Sonntag das Denkmal. Das
Komitee setzte sich seit 15 Jahren für ein Mahnmal ein, das die Namen aller
niederländischen Holocaust- Opfer trägt. Der Entwurf stammt von dem
US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind.
Das Denkmal besteht aus zwei Meter hohen labyrinthartigen Mauern, die sich
zu vier hebräischen Buchstaben fügen und „In Erinnerung“ bedeuten. Sie
bestehen aus 102.162 hellen Backsteinen, von denen jeder den Namen eines
Opfers, Geburtsdatum und Alter zum Zeitpunkt seiner Ermordung enthält.
Ein Teil der Finanzierung geht auf private Spender zurück, die für 50 Euro
einen Stein „adoptieren“ konnten. Für über 70.000 Namen wurden auf diese
Weise Patenschaften übernommen. Insgesamt kostete der Bau des Denkmals
knapp 15 Millionen Euro, von denen der niederländische Staat für 8,3
Millionen aufkommt.
„Ein besonders origineller Entwurf von Libeskind“, findet Jacques
Grishaver, der als Kleinkind den Holocaust überlebte und den Großteil
seiner Familie in [1][Sobibor] verlor. „Das Monument zeigt auf einen Blick
den Umfang der Ermordung der niederländischen Juden.“ Tatsächlich wurden in
keinem Land Westeuropas während der deutschen Besetzung prozentual mehr
Juden deportiert und ermordet als in den Niederlanden – drei Viertel.
Darüber sinnierte auch der Architekt, als er am Tag vor der Eröffnung das
Denkmal in Augenschein nahm. „Das Schicksal [2][Anne Franks] ist überall
bekannt, doch dahinter stehen 102.000 solcher Schicksale“, so Libeskind.
Diese Namen wolle er mit seinem Entwurf in die Stadt und ins öffentliche
Leben zurückholen. Grishaver stimmt dem zu: „Die Geschichten dieser Leben
müssen erzählt werden, das ist die Seele des Monuments.“
## Für manche zu viel Erinnerung im Alltag
Um dessen Standort gab es in den letzten Jahren heftige Diskussionen.
Zuerst sollte es in einem nahe gelegenen Park errichtet werden. Nach
Anwohnerprotesten kam der heutige Standort an einer Ausfallstraße in den
Fokus, die auf dem Gebiet des einstigen jüdischen Viertels verläuft.
Doch auch hier wehrten sich Nachbarn: zu groß, zu monumental, zu wenig
Einspruchmöglichkeiten hätten sie gehabt. Manche fühlten sich im Alltag mit
zu viel Erinnerung konfrontiert, andere führten die gefällten Bäume an, die
dem Denkmal weichen mussten. Der Streit ging bis vor das höchste
Verwaltungsgericht. Erst 2019 wurde entschieden, dass der Bau beginnen
kann.
Die Einweihung des Denkmals fand schließlich unter hohen
Sicherheitsvorkehrungen statt, was nicht nur an der Anwesenheit des Königs
lag, sondern auch an der latenten Bedrohung jüdischer Einrichtungen in den
Niederlanden. Antisemitische Vorfälle haben stark zugenommen. So ist ein
Koscherrestaurant in Amsterdam immer wieder Ziel von Angriffen.
Bürgermeisterin Femke Halsema kritisierte zuletzt noch die Judensterne, die
regelmäßig von Impfgegnern auf [3][Coronademonstrationen] getragen werden.
„Antisemitische Äußerungen sind weitgehend normalisiert. Sie sind reduziert
zu einer Meinung“, kritisierte Eddo Verdoner, seit dem Frühjahr Nationaler
Koordinator der Antisemitismusbekämpfung, am Wochenende in der Tageszeitung
Volkskrant.
Mattie Tugendhaft, ein Überlebender, der gemeinsam mit seiner Frau Myrna
kurz vor der Einweihung des Monuments vom Rundfunksender NOS interviewt
wurde, sagte, angesichts des Desinteresses nachfolgender Generationen werde
ihm „schrecklich bang“.
19 Sep 2021
## LINKS
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[3] /Antisemitismus-unter-Coronaleugnern/!5734818
## AUTOREN
Tobias Müller
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Niederlande
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
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