| # taz.de -- Berliner Ausstellung zur Judenverfolgung: Lüge der „großmütige… | |
| > Wie aus Bürgern eine zum Tode verurteilte Minderheit wurde: Eine Schau | |
| > widmet sich „Fotografien der Verfolgung von Juden“ in den Niederlanden. | |
| Bild: Gruppenfoto jüdischer Kinder und Jugendlicher, Deventer, 1942 | |
| BERLIN taz | Ein Schwarz-Weiß-Foto, darauf 22 Mädchen und Jungen. Es sind | |
| Kinder der jüdischen Schule im niederländischen Deventer. Das Bild entstand | |
| am 12. oder 13. September 1942 im Innenhof der Großen Synagoge. Alle tragen | |
| sie, bis auf die ganz Kleinen, einen „Judenstern“. | |
| Drei Wochen später waren die Jungen in das Durchgangslager Westerbork | |
| deportiert. Von dort ging es weiter, nach Auschwitz oder Sobibor. Von den | |
| 22 abgebildeten Kindern hat nur ein einziges überlebt: Felice Polak, die, | |
| mit einem weißen Band im Haar, in der Bildmitte erscheint, ging mit ihrer | |
| Familie in den Untergrund. | |
| Das Foto aber tauchte erst 1998 durch einen Zufall wieder auf, berichtet | |
| Erik Somers vom Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozidstudien in | |
| Amsterdam. Es war als zweites Bild in einem Rahmen versteckt worden. | |
| Dieses Bild steht am Beginn einer bemerkenswerten Sonderausstellung in der | |
| Topographie des Terrors: „Fotografien der Verfolgung der Juden. Die | |
| Niederlande 1940–1945“ lautet ihr Titel. In konzentrischen Kreisen nähert | |
| sich die Schau Verfolgung und Mord an den Juden während der deutschen | |
| Besatzung an. | |
| Das Foto der Kinder von Deventer steht dabei fast repräsentativ für das | |
| Schicksal der Minderheit. Von den in den Niederlanden ansässigen Juden – zu | |
| ihnen zählten auch viele Flüchtlinge aus Deutschland wie die Familie von | |
| [1][Anne Frank] – wurden 75 Prozent ermordet, insgesamt etwa 102.000 | |
| Menschen. Es ist die höchste Todesrate in einem westeuropäischen Land unter | |
| Kontrolle der Nazis. | |
| Am Beginn der in 12 Kapitel aufgeteilten Schau stehen unbeschwerte Bilder | |
| aus dem Alltag vor der Besatzung, etwa vom Strandvergnügen im Badeort | |
| Scheveningen. Aber sie mischen sich mit den Fotos der Flüchtlinge aus dem | |
| Nazi-Reich, die in Zügen und Bussen das neutrale Land erreichen. | |
| Zu Beginn der Besatzung wiegten die Nazis die Niederländer zunächst in | |
| Sicherheit. Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart versprach eine „großmütige… | |
| Behandlung. Dass dies eine Lüge war und schon gar nicht für Juden galt, | |
| erfuhren diese schon bald. | |
| ## Untergrundblatt „Heet Parool“ | |
| Mit den erprobten Methoden der Isolation und Registrierung, gefolgt von | |
| Berufsverboten, Kennzeichnungen, Zwangsarbeit und Verboten ohne Zahl schuf | |
| die Zivilverwaltung, unterstützt durch niederländische Beamte, die | |
| Grundlagen für den Ausschluss der Juden aus der Gesellschaft – Basis für | |
| die Mitte 1942 einsetzende Deportation und Ermordung der jüdischen | |
| Bevölkerung. | |
| „Januar 1943“ steht handschriftlich unter einem Bild, das ein freundlich | |
| lächelndes junges Paar auf dem Hauptplatz von Amsterdam zeigt. Es könnte | |
| ein nette Alltagsszene sein. Doch Ralph Pollak und Miep Krant tragen große | |
| „Judensterne“ an ihrer Kleidung. Beide überleben in getrennten Verstecken. | |
| Ein Mann auf einem aufgebockten Fahrrad, eine Zeitung lesend. Das Foto, | |
| entstanden 1944 in Haarlem, trägt komische Züge. Doch Juda Tas lädt mit dem | |
| Rad einen Akku auf, mit dem er die Sender der Alliierten abhören kann. Die | |
| Zeitung Heet Parool ist ein Untergrundblatt. Tas lebte als untergetauchter | |
| Jude selbst im Untergrund. Er überlebte, so wie rund 14.000 der 28.000 | |
| Juden, die in die Illegalität gingen. | |
| Der zuerst in Amsterdam gezeigten Ausstellung gelingt die Visualisierung | |
| von Geschichte. Die Fotos, teils Propagandabilder, teils von Fotografen | |
| erstellt, häufig von Privatleuten gemacht, lassen nachvollziehen, wie aus | |
| ganz normalen Bürgern innerhalb weniger Jahre eine entrechtete und zum Tode | |
| verurteilte Minderheit wurde. | |
| 31 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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