# taz.de -- Grüne Jarasch über Berliner Wahlkampf: „Klimaschutz radikal ang… | |
> Bettina Jarasch will für die Berliner Grünen das Rathaus erobern. Ein | |
> Gespräch über die Klimakrise im Wahlkampf – und das frühe Werben um die | |
> SPD als Partnerin. | |
Bild: Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Berliner Grünen | |
taz: Frau Jarasch, was müssen die Grünen – was müssen Sie – tun, damit d… | |
Klimakrise endlich im Wahlkampf ankommt? | |
Bettina Jarasch: Es geht am 26. September darum, ob hier alles so bleiben | |
soll, wie es ist – oder ob wir die Veränderungen angehen, zu denen der | |
Klimawandel uns nötigt. | |
Obwohl es die Flutkatastrophe in Deutschland gab und es rund ums Mittelmeer | |
brennt, scheint sich bisher kaum eine Berliner*in für die Klimakrise zu | |
interessieren. | |
Das ist nicht mein Eindruck. Wenn ich unterwegs bin in der Stadt sehe ich, | |
dass sehr viele Menschen am Thema Klimaschutz dran sind – und es schon | |
waren, lange bevor es [1][Starkregen in Nordrhein-Westfalen] gab. Diese | |
Menschen haben sich darum gekümmert, dass die Stadt grüner und damit | |
klimafreundlicher wird; dass hier weniger Autos unterwegs sind; dass es | |
Verkehrsberuhigung gibt. | |
Anfang der Woche haben die Klimaaktivist*innen von Extinction | |
Rebellion bei ihren Aktionen deutlich weniger Zulauf bekommen als erwartet. | |
Da zeigt sich doch: Die Klimakrise wird weitgehend ignoriert. | |
Das liegt wohl eher an den Organisationsformen – deren Protest ist nicht | |
unbedingt jedermanns Sache. Aber das Thema ist angekommen. Das sehe ich | |
auch, wenn ich bei Nachbarschaftsinitiativen zu Gast bin, die einfach nur | |
ihren Kiez schöner machen wollten, also Müll wegräumen oder Bänke | |
aufstellen. Auch die reden drüber, wie die Stadt grüner wird. Aber jene | |
Menschen werden Sie nicht unbedingt bei Extinction Rebellion finden. | |
Sie gehen aber – trotz aller Feuer und Überschwemmungen – auch nicht mit | |
anderen Gruppen auf die Straße, anders als zum Beispiel 2011 nach der | |
Atomkatastrophe in Fukushima, als plötzlich Menschen demonstriert haben, | |
die nie zuvor auf Demos waren. Warum passiert das jetzt nicht? Die Bilder | |
sind doch ähnlich erschreckend. | |
Vielleicht muss eines noch klarer werden: Klimaschutz, so wie wir ihn jetzt | |
brauchen, funktioniert nur, wenn man ihn wirklich radikal angeht. Er | |
funktioniert nicht mit dem üblichen Greenwashing, mit dem CDU und SPD das | |
Thema abmoderieren wollen, wenn der Weltklimarat plötzlich dramatischere | |
Zahlen nennt oder es eben diese Katastrophen gibt. Dann sind für kurze Zeit | |
immer alle Parteien ganz betroffen und die allerbesten Klimaschützer. | |
„Den Klimaschutz radikal angehen“: Was heißt das für Sie? | |
Dass sich in Berlin alle damit beschäftigen müssen: Alle | |
Senatsverwaltungen, alle Bezirksämter, alle Bürgerämter! Alle öffentlichen | |
Stellen müssen einen Beitrag leisten. Das ist kein Thema, das man einfach | |
bei der Klimaschutzsenatorin abladen kann. Deswegen wollen wir ein | |
Klimaschutz-Budget einführen: Das klassische Budget, also der | |
Landeshaushalt, wird nur verabschiedet, wenn wir auch genügend | |
Sparvorschläge für CO2-Einsparung haben. | |
Brauchen Sie Proteste wie jene von Extinction Rebellion, um etwas | |
durchzusetzen? Oder sagen Sie: Das ist mir zu extrem? | |
Wir brauchen [2][jede Form von Druck, auch von der Straße]. Aber das Thema | |
ist in den letzten 10 Jahren auch in ganz andere Kreise eingesickert. | |
Inzwischen wissen nicht nur innovative Startups, sondern auch größere | |
Unternehmen und die Gewerkschaften, dass wir Klimaschutz machen müssen, | |
dass es eine Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft braucht. | |
Und die Unternehmen warten eigentlich nur darauf, dass man das gemeinsam | |
mit aller Entschlossenheit angeht. Auch weil sie wissen, dass nur das am | |
Ende ihren Umsatz sichern wird. | |
Wenn Klimaschutz richtig durchdringen würde, dann müssten die Umfragewerte | |
der Grünen gerade durch die Decke gehen. Statt dessen sind in der neuesten | |
Erhebung Ihre Berliner Grünen erstmals seit Ende 2018 nicht mehr allein | |
stärkste Partei, sondern nur noch gleichauf mit der SPD. Was sagen Sie | |
dazu? | |
Ich sage nur, die Wahl bleibt spannend. Auf jeden Fall. Aber wir Grünen | |
haben eine echte Chance. Und ich bin überzeugt, dass das Klima ein | |
wahlentscheidendes Thema sein wird. | |
Das würden wir gerne noch ein bisschen genauer hören. | |
Die Entscheidung wird am Ende sein: Wollen wir eine Regierende | |
Bürgermeisterin, die nichts verändern will, weil sie eigentlich findet, | |
dass alles gut so ist, wie es ist… | |
… womit Sie SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey meinen … | |
… oder haben wir eine Regierende Bürgermeisterin, die Veränderungen | |
anpackt, die wegen Klimaschutz, aber auch wegen der großen sozialen Fragen | |
in dieser Stadt einfach sein müssen? | |
Sie sind ja auch Abgeordnete. Ist Ihrer Wahrnehmung nach die SPD noch Teil | |
der rot-rot-grünen Koalition? | |
Ich finde, dass die bisherige Koalition, die ich unter grüner Führung | |
fortsetzen möchte, gut zu dieser Stadt passt. Wir brauchen eine | |
Berlin-Koalition und keine Deutschland-Koalition.... | |
… womit Sie nahelegen, dass Franziska Giffey ein solches Bündnis von CDU, | |
SPD und FDP nach der Wahl anstrebt. Aber nochmal: Haben Sie das Gefühl, | |
dass die aktuelle Koalition noch steht? | |
Immerhin haben wir zu meiner Freude gerade trotz Wahlkampfs noch eine ganze | |
Reihe von Gesetzen durchgekriegt, gerade erst am Donnerstag das | |
[3][Energiewende-Gesetz]. Die spaltenden Kräfte sind nicht in den | |
Koalitionsfraktionen, sondern außerhalb in Teilen der SPD zu finden. | |
Giffey macht teilweise Wahlkampf auf Kosten der Koalition, als hätte es die | |
Arbeit von Rot-Rot-Grün nicht gegeben. | |
Das muss vor allem für die Sozialdemokraten selbst irritierend sein, die in | |
den letzten Jahren ernsthaft fürs Wohl der Stadt gearbeitet haben. Wenn die | |
SPD ihre eigene Programmatik, ihre Ziele und Wahlversprechen ernstnimmt, | |
wird sie sich schon überlegen müssen, mit wem sie diese umsetzen können. | |
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD am Ende findet, dass sie | |
das am besten mit CDU und FDP schaffen. | |
Sie hoffen, mit dem Thema Klimawandel durchzudringen. Die Linkspartei | |
hingegen, mit der Sie gerne weiter regieren wollen, setzt voll und ganz auf | |
das Mietenthema und stellt sich hinter das Enteignungsvolksbegehren. | |
Das Thema bezahlbares Wohnen und Mieten ist die große soziale Frage in | |
dieser Stadt. Und da kann ich nur sagen: Ich bin die einzige, die eine | |
echte Lösung präsentiert hat. Franziska Giffey ignoriert diese soziale | |
Frage. Ihre Antwort ist dieselbe wie die der CDU, nämlich bloß: Bauen, | |
bauen, bauen. Und zwar 20.000 Wohnungen pro Jahr. Klar, das wollen wir | |
auch. Nur: Im Unterschied zu CDU und SPD behaupte ich nicht, dass sich | |
damit das Problem der hohen Mieten lösen lässt. | |
Von der SPD bekommt man eine klare Positionierung zum Volksentscheid, | |
nämlich ein „Nein“ zur Enteignung großer Immobilienkonzerne. Die Linke | |
wiederum hat sich klar dafür positioniert. Sie selbst haben auch | |
angekündigt, [4][persönlich mit „Ja“ anzukreuzen] – aber es gibt keine | |
Festlegung Ihrer Partei. | |
Ich habe eine sehr klare Position: Der Mietenschutzschirm, den ich | |
vorgestellt habe, ist die einzige Lösung, die uns wirklich etwas bringen | |
kann. Und zwar rechtssicher und schneller, als es durch die Umsetzung des | |
Volksentscheids durch eine Vergesellschaftung gehen würde. Ich möchte den | |
Druck dieses Volksentscheids nutzen, um einen Pakt mit den | |
Wohnungsunternehmen zu schließen. | |
Damit haben sie sich zwischen alle Lager gestellt. Für die CDU war Ihr „Ja“ | |
samt Schutzschirm mit Enteignungsdrohung der endgültige Beleg für grünen | |
Sozialismus; die Linkspartei zweifelt an Ihrem Demokratieverständnis, weil | |
für Sie auch ein erfolgreicher Volksentscheid nicht zwingend zu | |
Enteignungen führt. | |
Ich habe gezeigt, wie das Problem gelöst werden könnte. Ich habe sowohl mit | |
der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ geredet, als auch mit | |
der Deutsche Wohnen selbst. Und beiden habe ich nicht nach dem Mund | |
geredet, sondern einen Lösungsweg vorgeschlagen. | |
Gibt es von Immobilienkonzernen Signale, dass sie sich auf diesen Pakt | |
einlassen würden? | |
Bei der Deutsche Wohnen haben sie sich sehr bedeckt gehalten. Von der | |
Vonovia gab es Signale, dass man reden müsse – auch wenn sie natürlich | |
gegen Vergesellschaftung sind. | |
Nochmal zur fehlenden Festlegung der Grünen: Zu allen möglichen Themen | |
beschließt die Partei Positionen – bloß nicht bei diesem so zentralen | |
Thema. | |
Das ist erst mal eine Initiative. Wir machen unsere eigene Politik, und das | |
ist der Mietenschutzschirm. | |
Ein anderes großes soziales Thema ist spätestens seit Corona die | |
Ausstattung des Gesundheitswesens. Der Tarifstreit an den beiden | |
landeseigenen Klinikkonzernen Charité und Vivantes eskaliert, [5][ab diesem | |
Montag wird gestreikt]. Wieso musste es dazu kommen, gerade nach den | |
Erfahrungen der Pandemie? | |
Das liegt daran, dass von den zuständigen Senator*innen keine konkreten | |
Gespräche mit den Vertreter*innen der Beschäftigten geführt wurden… | |
… also vom Finanzsenator als Aufsichtsratschef und von der | |
Gesundheitssenatorin, die beides SPDler sind. | |
Es ist leider so. Deswegen haben wir das jetzt im Koalitionsausschuss | |
diskutiert. Es nützt ja nichts, einfach nur zu sagen „Wir sind irgendwie | |
für euch“. Wir müssen mal konkret drüber reden, wie sich welche Forderungen | |
umsetzen lassen. | |
Erwarten Sie angesichts der Streiks eine schnelle Einigung? | |
Ich bin skeptisch, dass die jetzige Koalition das noch befriedigend zu | |
einem Ende führt. Solche Gespräche gehören zu den ersten Dingen, die ich | |
als Regierende Bürgermeisterin angehen werde. | |
Dieses Gespräch dreht sich viel um die Rolle von Initiativen. Jene richten | |
sich gegen die Politik der Regierung, an der auch Ihre Partei beteiligt | |
ist. Sind diese Initiativen für Sie ein notwendiges Korrektiv oder eher | |
Unterstützung, auch gegen die Koalitionspartner? | |
Es gibt in dieser Stadt sehr viele Initiativen, die ich als unterstützend | |
empfinde, wenn sie Druck machen für Themen, für die wir auch stehen. Das | |
gilt übrigens auch für „Berlin autofrei“: Das finde ich grundsätzlich gut | |
und sorgt für Rückenwind für uns. Aber wir Grünen sagen eben nicht, dass | |
Berlin komplett autofrei werden soll, sondern, dass es so wenig wie möglich | |
eigene Autos in der Stadt geben soll und nur welche mit erneuerbarer | |
Energie. | |
Zum Abschluss noch einige Fragen konkret zu Ihrem Wahlkampf: Wieso haben | |
Sie nicht verhindert, dass Sie auf Ihren Wahlplakaten in ein grässliches – | |
oder sagen wir es etwas netter: [6][äußerst fahles – Grün] getaucht sind? | |
Das ist Geschmackssache. Ich bekomme viele positive Rückmeldungen. | |
Naja, außerhalb der Grünen ist es schwer, Menschen zu finden, denen der | |
Farbton gefällt. | |
Ganz ehrlich, ich kenne keine Plakatkampagne, bei der alle Leute gesagt | |
haben: Das ist jetzt aber toll. | |
Bei Ihrer Vorstellung als designierte Spitzenkandidatin im Oktober haben | |
Sie sich als Brückenbauerin vorgestellt. Doch als Sie nun Wohnungskonzernen | |
in letzter Konsequenz mit Enteignung drohten, wirkte das anders. Hat Ihre | |
Partei Sie gedrängt, offensiver aufzutreten? | |
Ich tue genau das was ich immer angekündigt habe. Ich rede mit der | |
Deutschen Wohnen und ich rede mit Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Und | |
ich glaube, ich bin die einzige, die das tut. Ich rede beiden nicht nach | |
dem Mund und suche dann eine Lösung. Das ist Brückenbauen. Das ist nicht | |
einfach – vielleicht stellen Sie sich darunter etwas zu Harmonisches vor. | |
Die CDU hat Sie schon „die nette Frau Jarasch“ genannt, hinter der finstere | |
Mächte agieren. Die könnten Sie jetzt mal schocken und ankündigen, dass | |
Florian Schmidt, Stadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg und das rote Tuch für | |
die CDU, unter Ihnen Stadtentwicklungssenator wird. | |
Ihren Vorschlag lasse ich mal unkommentiert. Aber zu Ihrem ersten Satz sage | |
ich: Ich bin die, die hier die Entscheidungen trifft, und die Partei folgt | |
mir. Das hat der Mietenschutzschirm doch gezeigt. | |
23 Aug 2021 | |
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