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# taz.de -- Militäreinsatz im Sahel: Das zweite Afghanistan?
> In Sahelstaaten wie Mali und Niger ist die Regierung vielerorts abwesend.
> Um jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen, braucht es langfristige
> Strategien.
Bild: Eine Frau wurde in Burkina Faso verschleppt, ihr gelang die Flucht; 19.11…
Es ist unklar, wie viele Menschen täglich in den Sahelstaaten Mali, Burkina
Faso und Niger durch Angriffe und Überfälle ums Leben kommen. An manchen
dürften es Dutzende sein. In die internationalen Nachrichten schaffen es
nur die [1][ganz großen Attacken wie jene in Burkina Faso von Mitte August,
als mehr als 80 Menschen bei dem Anschlag auf einen Konvoi] aus Militär,
Zivilist*innen und Selbstverteidigungsmilizen ermordet wurden.
Mutmaßlich Dschihadisten überfielen ihn 25 Kilometer entfernt von der Stadt
Gorgadji, die im Norden und in der Nähe der Grenzen zu Niger und Mali
liegt. Präsident Roch Marc Christian Kaboré ordnete eine dreitägige
Staatstrauer an. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit bis zum nächsten
Anschlag.
Eine Staatstrauer ist zwar ein wichtiges Symbol. Doch sie hilft weder, den
Konflikt zu lösen, noch den Opfern und deren Familien. Deshalb ist es
höchste Zeit, langfristige Strategien zu entwickeln, damit die Region nicht
komplett verloren geht.
Wie rasend schnell die Kontrolle entgleiten kann, zeigt ein kurzer Blick
zurück: Noch vor sechs Jahren war es kein Problem, Burkina Faso mit dem Bus
zu bereisen. Heute birgt jede Überlandfahrt ein enormes Risiko. Nach dem
Putsch in Mali 2012 war man in Mopti, im Zentrum des Landes, sicher. Heute
leben besonders dort die Menschen in Angst und beschreiben, wie
Dschihadisten in den umliegenden Dörfern auf sie lauern.
## Die abwesende Staatsmacht
Einer der Gründe: Die Staatsmacht ist in ländlichen Regionen de facto
abwesend – und genau das muss sich dringend ändern, so schwer es auch sein
mag. Weit weg von den Hauptstädten, häufig in Grenznähe, haben die Angriffe
einst begonnen. Hier staatliche Präsenz zu zeigen, verhindert nicht jeden
Anschlag, setzt aber für die Bevölkerung ein Zeichen: Wir sind da und auf
eurer Seite, gegen den Terror.
Vielerorts versucht die örtliche Bevölkerung, sich ohne Unterstützung –
meist erfolglos – gegen Terroristen zu wehren. Aus der Region Tillabéri im
Südwesten des Niger wird berichtet, dass es den Dörfern mitunter gelinge,
eine kleine Zahl von Terroristen und Banditen zu vertreiben, wenn diese
Vieh, Nahrungsmittel oder Benzin stehlen wollen. Doch die Angreifer kommen
zurück und verüben aus Rache oft Massaker.
Doch staatliche Präsenz allein reicht nicht. Vor allem auf dem Land braucht
es Infrastruktur wie Straßen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen sowie
Perspektiven für die junge Generation. Letztere zu schaffen, wird die
größte Herausforderung sein. Auch in weitaus stabileren Nachbarländern
südlich des Sahels gelingt das häufig nicht. [2][Sehr viele Menschen fühlen
sich abgehängt.] Mali, wo die Sahel-Krise vor knapp zehn Jahren begann, ist
das Paradebeispiel dafür, dass eine rein militärische Lösung nicht
funktioniert.
## Dschihadisten dringen immer weiter in den Süden vor
Seit 2013 sind dort Zehntausende internationale Soldat*innen
stationiert, auch deutsche, die das Land stabilisieren, die malischen
Streitkräfte (FAMa) ausbilden und die Terroristen bekämpfen sollen. Aus Gao
und Timbuktu heißt es zwar, dass die Städte sicherer geworden sind,
[3][nicht aber das Umland]. Andernorts hat sich die Lage sogar
verschlechtert.
Bewaffnete dringen immer weiter nach Süden vor. Gut möglich, dass die
Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (Jnim) weniger
Kämpfer hat als die französische Antiterrorismuseinheit Barkhane. Trotzdem
ist Jnim derzeit für die Mehrzahl der Anschläge in Mali und Burkina Faso
verantwortlich.
Aus all diesen Gründen ist Mali in den vergangenen Wochen häufig als neues
Afghanistan bezeichnet worden. Der Vergleich klingt plausibel und trifft
doch nicht zu. In Mali operieren zwar Terroristen, die Dörfer besetzen,
Männern das Rauchen verbieten und Frauen dazu zwingen, sich zu
verschleiern. Doch in der ganzen Region sind viele Mitglieder der
Bewegungen eher Söldner, die weniger ideologische und religiöse, sondern
starke finanzielle Motive haben. Alle drei Länder liegen auf den untersten
zehn Plätzen des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen.
Anders ist außerdem die religiöse Komponente. International bekannt
geworden ist im vergangenen Jahr Imam Mahmoud Dicko, der zu Protesten gegen
Malis Regierung unter Ibrahim Boubacar Keïta aufgerufen und Tausende
Menschen mobilisiert hatte. Sie sind seinem Ruf allerdings nicht unbedingt
deshalb gefolgt, weil er Imam ist, sondern aus der Frustration über ein
korruptes System, steigende Unsicherheit und weil Dicko sich als starke
Führungspersönlichkeit präsentieren kann.
## Eine andere islamische Tradition als in Afghanistan
Der konservative Dicko studierte in Saudi-Arabien und kam dort mit dem
Wahhabismus in Kontakt. Das Interesse des Landes, seine Auslegung des Islam
nach Westafrika zu exportieren, ist groß. Doch in Mali bekennt sich die
große Mehrheit der Muslime*innen, die zwischen 85 bis 90 Prozent der
Bevölkerung ausmachen, zum Sufismus und betont eine Trennung zwischen Staat
und Religion. Der Islam existiert seit vielen hundert Jahren neben
Animismus und Christentum und ist regional gefärbt.
Noch deutlicher wird es in Burkina Faso, wo sich anders als in den übrigen
Sahelstaaten nur knapp zwei Drittel der Bewohner*innen zum Islam
bekennen. Familien sind fast ausnahmslos gemischt. So spricht der
katholische Erzbischof von Ouagadougou, Kardinal Philippe Ouédraogo, etwa
völlig selbstverständlich darüber, dass eine seiner Schwestern Muslimin
sei. Durch gezielte Anschläge auf Kirchen, aber auch durch geschürte
ethnische Konflikte, wird der Zusammenhalt zwar brüchiger. Doch er ist noch
nicht verloren.
Genau diesen gilt es nun zu stärken, um Dörfer und Gemeinschaften
widerstandsfähiger zu machen. Dafür muss der Staat Präsenz zeigen und
glaubwürdig sein. Ebenso ist es notwendig, Terroristen zu bekämpfen und
nicht wie bei der Serval-Mission der Franzosen bloß zu verscheuchen. Das
wird den malischen Streitkräften alleine nicht gelingen, weshalb der
Einsatz internationaler Streitkräfte weiterhin wichtig ist. So könnte sich
ein neues Afghanistan vermeiden lassen.
2 Sep 2021
## LINKS
[1] /47-Tote-in-Burkina-Faso/!5794638
[2] /Frankreichs-Strategie-fuer-die-Sahelzone/!5785884
[3] /Angriffe-in-der-Sahelzone/!5792210
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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