# taz.de -- Prozesse nach Protesten auf Kuba: Den eigenen Gesetzen zum Trotz | |
> Nach den Demonstrationen vom 11. Juli sitzen Minderjährige in Haft. In | |
> Sammelprozessen finden Verurteilungen ohne Verteidigung statt. | |
Bild: Heissy Celaya mit dem Porträt ihrer verhafteten Tochter Amanda in Havann… | |
Hamburg taz | Für Kubas Außenminister Bruno Rodríguez Parrilla ist Kuba | |
einmal wieder Opfer einer internationalen Diskreditierungskampagne. Die | |
[1][breiten Proteste] vom 11. Juli waren in seinen Augen keineswegs eine | |
„soziale Explosion“. Es seien auch „keine Minderjährigen verhaftet“ wo… | |
und die Behörden würden „alle rechtlichen Garantien der Gesetze erfüllen�… | |
Doch genau das scheint nicht in vollem Umfang der Fall zu sein, wie selbst | |
die Generalstaatsanwältin der Insel, Yamila Peña, bereits am Samstag | |
gegenüber der Presse einräumte. Demnach seien einige wenige Minderjährige | |
inhaftiert worden. | |
Elf sind es laut den Recherchen von [2][Cubalex], einer juristischen | |
Beratungsorganisation, die seit 2017 aus Pennsylvania in den USA arbeitet. | |
Geleitet wird die in Kuba 2010 gegründete Organisation, die Ende 2016 nach | |
der Beschlagnahme von Computern und Akten in Havanna in die USA emigrierte, | |
von Laritza Diversent. „Unter den elf Fällen von Minderjährigen, die | |
unseren Recherchen zufolge von den kubanischen Sicherheitskräften | |
festgenommen wurden, sind zwei 15-Jährige, die auch in Kuba noch nicht | |
strafmündig sind.“ | |
Hintergrund ist, dass im kubanischen Strafgesetzbuch die Strafmündigkeit ab | |
16 Jahren fixiert ist, wonach rein formell die Verhaftung der neun anderen | |
Jugendlichen gesetzlich gedeckt ist. So wie die von Gabriela Zequeira, | |
einer 17-Jährigen, die am 22. Juli in einem Sammelprozess zu einer | |
Haftstrafe von acht Monaten verurteilt wurde. „Störung der öffentlichen | |
Ordnung“ lautete die Anklage gegen die junge Frau, deren Fall [3][die | |
britische BBC] publik gemacht hat. Anders als es die kubanischen Gesetze | |
vorschreiben, wurde der 17-Jährigen kein juristischer Beistand gewährt. | |
## Aufenthaltsort unbekannt | |
„Kein Einzelfall“, so kritisiert Laritza Diversent, die auf das Beispiel | |
des kubanischen Fotografen Anyelo Troya verweist. „Er wurde am 20. Juli | |
ebenfalls in einem Sammelprozess zu einer Haftstrafe von einem Jahr | |
verurteilt, und auch in diesem Verfahren war kein Anwalt zugegen“, | |
kritisiert die Juristin. | |
Das verstoße gegen kubanische Gesetze. Zudem sei es auch nicht mit dem | |
kubanischen Strafgesetzbuch vereinbar, dass Familienangehörige in vielen | |
Fällen nicht über den Aufenthaltsort ihrer Angehörigen informiert werden. | |
„Wir recherchieren derzeit noch in 36 Fällen, in denen die Familien nicht | |
wissen, wo ihre Angehörigen sind. Sie wurden nicht über deren Festnahme | |
informiert und erhielten in vielen Fällen auch keine Information auf | |
Polizeirevieren oder von Haftanstalten, ob ihre Angehörigen dort | |
festgehalten werden“, so Laritza Diversent. | |
Das erfülle den Tatbestand des gewaltsamen Verschwindenlassens und sie | |
weist darauf hin, dass Kuba zu den Unterzeichnern der internationalen | |
Konvention gehört, die das gewaltsame Verschwindenlassen ächtet. | |
Dem widersprach die kubanische Regierung bereits vor einer Woche. „In Kuba | |
gibt es keine Verschwundenen“, so Regierungssprecher Humberto López. Und | |
Víctor Álvarez Valle vom Innenministerium ergänzte, dass es in Kuba auch | |
keine geheimen Gefängnisse gäbe. | |
## Havanna ignoriert Strafgesetzbuch | |
Dem gegenüber stehen die Recherchen von Cubalex, die weitgehend von | |
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights | |
Watch bestätigt werden. 707 Festnahmen hat die Rechtsberatungsorganisation | |
bisher registriert, 236 davon werden noch überprüft und in 260 Fällen | |
wurden die Menschen wieder freigelassen. Meist sind es die | |
Familienangehörigen, die sich über ein Notruftelefon bei dem Team um | |
Laritza Diversent melden und deren Aussagen aufgenommen werden. | |
Zudem wird im Internet zu den einzelnen Verhaftungen recherchiert, | |
Verbindungen zu anderen Fällen in der gleichen Stadt und zu Anwält*innen | |
aufgenommen. So hat die Organisation, die sich über Spenden finanziert, | |
auch international auf sich aufmerksam gemacht. Existentiell sind jedoch | |
die guten Kontakte auf der Insel und in die kritische Zivilgesellschaft. Zu | |
Organisationen wie den [4][Künstlergruppen Movimiento San Isidro] oder 27N, | |
von denen mehrere Aktivist*innen wie Luis Manuel Otero Alcántara | |
inhaftiert oder unter Hausarrest stehen. | |
Rein rechtlich, so erklärt Laritza Diversent, sei auch die Verhängung von | |
Hausarrest gegenüber Aktivist*innen der Zivilgesellschaft juristisch | |
nicht haltbar. „Ein Polizist, der einen daran hindert, die eigene Wohnung | |
zu verlassen, ist im kubanischen Strafgesetzbuch nicht vorgesehen. Hier | |
wird im rechtsfreien Raum agiert und das seit Monaten“, kritisiert | |
Diversent. | |
Alarmierend sei auch, dass rund um den 11. Juli das Strafgesetzbuch nur | |
selektiv angewandt werde. „Wir wissen von keinem Fall, in dem gegen die | |
Sicherheitskräfte wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung ermittelt | |
wird.“ | |
30 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Soziale-Unruhen-in-Kuba/!5784943 | |
[2] https://cubalex.org/ | |
[3] https://www.bbc.com/mundo/noticias-america-latina-57965429 | |
[4] /Kubanischer-Kuenstler-ueber-Proteste/!5781464 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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