# taz.de -- Kulturaktivist über Demos in Kuba: „Ein Clan kontrolliert Kuba“ | |
> Yunior García Aguilera hatte einen „friedlichen Marsch für den Wandel“ … | |
> Kuba angemeldet. Der wurde verboten. Was bedeutet das? | |
Bild: Havannas beste Fahnenschwinger: Präsident Miguel Diaz-Canel und Raul Cas… | |
taz: Herr García Aguilera, am 12. Oktober wurde die erste friedliche | |
[1][regierungskritische Demonstration] in Kuba verboten. Was bedeutet das | |
für die Organisatoren des „friedlichen Marschs für den Wandel“? | |
Yunior García Aguilera: In 62 Jahren kubanischer Revolution wurde nie eine | |
regierungskritische Demonstration in Kuba erlaubt. Das steht im Widerspruch | |
zur Aussage des Präsidenten des höchsten kubanischen Gerichts, der nach den | |
[2][Protesten vom 11. Juli] öffentlich behauptet hatte, dass es in Kuba ein | |
Demonstrationsrecht und das Recht auf eine eigene Meinung gebe. Das Verbot | |
zerstört den Mythos vom kubanischen Rechtsstaat, der durch die 2019 | |
verabschiedete moderne [3][Verfassung] aufgekommen war. Es zeigt einmal | |
mehr die Strukturen der Macht: in Kuba herrscht eine Diktatur. | |
Die Behörden begründen ihr Verbot damit, dass Organisationen, die von den | |
USA finanziert werden, sich unter den Organisatoren des „friedlichen | |
Marsches“ befänden. Zudem wird auf den Artikel 4 der Verfassung verwiesen, | |
der das sozialistische System auf der Insel festschreibt. | |
Das ist eine diffamierende und manipulierende Argumentation. In unserem | |
Antrag ist nirgendwo die Rede davon, dass wir das sozialistische System | |
infrage stellen. Wir suchen nach zivilen, demokratischen Wegen, um unsere | |
Konflikte zu lösen, fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen | |
und das Respektieren der Grundrechte. Der Vorwurf, dass wir Verbindungen in | |
die USA haben, von dort finanziert werden, ist absolut falsch. Wir agieren | |
vollkommen autonom, wehren uns gegen jegliche Einmischung von außen. Kubas | |
Zukunft geht allein die kubanische Bevölkerung etwas an: die auf der Insel | |
und die im Exil. | |
Im Fernsehen und in den offiziellen Medien Kubas scheint eine Kampagne | |
gegen Sie anzulaufen, richtig? | |
Das ist ein typisches Vorgehen der Verantwortlichen: sie diskreditieren, | |
diffamieren, manipulieren Informationen und setzen auch bewusste | |
Falschdarstellungen in Umlauf. Noch schlimmer ist allerdings, dass sie uns | |
von der Kommunikation abschneiden, sodass wir uns nicht wehren können. Ich | |
und meine Familie haben derzeit keinen Internetzugang und kein Telefon. | |
Dieses Interview kann ich nur geben, weil ein Freund mir sein Telefon zur | |
Verfügung gestellt hat. | |
Ende September musste der kritische Künstler [4][Hamlet Lavastida] | |
gemeinsam mit seiner Freundin, der Schriftstellerin Katherine Bisquet, Kuba | |
in Richtung Polen verlassen. Gefängnis oder Ausbürgerung lautete das | |
Angebot der Sicherheitsbehörden laut Bisquet. Wie bewerten Sie das? | |
Für mich ist die Ausweisung der beiden ein Zeichen der Schwäche. Welches | |
Risiko geht von einem einzelnen kritischen Künstler, der mit seinem sehr | |
politischen Werk bewusst provoziert, für das ganze System aus? Hamlet | |
Lavastida hat keine Armee hinter sich, keine politische Partei. Wie kommt | |
es, dass ein Regime, das die Gerichte, die Armee, die Ordnungskräfte, die | |
Institutionen kontrolliert, so viel Angst vor einem einzelnen Künstler hat? | |
Offenbar weiß das Regime, dass es den Rückhalt großer Teile der Bevölkerung | |
verloren hat. | |
Droht auch Ihnen die Ausbürgerung? | |
Das weiß ich nicht. Ich weiß, dass ich mich schützen muss, und dazu gehört, | |
dass ich schon Tage vor dem friedlichen Marsch abtauchen muss, um nicht | |
unter Hausarrest gestellt zu werden. Zudem bin ich mir sicher, dass ich am | |
15. November im Gefängnis landen werde und dass es im Anschluss zu einem | |
Prozess kommen könnte. Sollte es so sein, werde ich nichts, aber auch gar | |
nichts sagen. Warum? Weil ich mir sicher bin, dass es in Kuba keine | |
unabhängige Justiz gibt. Kurz: Mein Urteil wird bereits vor meiner | |
Verhaftung feststehen. Auf all das ist meine Familie vorbereitet. Wir | |
wissen, dass die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung in Kuba einen | |
Preis hat. | |
Woher kommt diese Konsequenz? | |
Ich bin am 11. Juli mit Gleichgesinnten zum Rundfunkinstitut gegangen und | |
habe um Sendezeit gebeten. Unser Ziel war es, nach den ersten Protesten in | |
San Antonio de los Baños die zu erwartenden gewalttätigen Konflikte zu | |
verhindern – mit einem Appell in Radio und Fernsehen. Doch wir wurden | |
festgenommen, wie Müll auf einen Lastwagen der Stadtreinigung geworfen und | |
in eine Polizeistation gekarrt. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder | |
den Mund aufgemacht, den Dialog gesucht, kein Blatt vor den Mund genommen | |
und mich engagiert. Geändert hat sich nichts. Also versuchen wir jetzt, | |
unsere in der Verfassung fixierten demokratischen Rechte durchzusetzen. | |
Dazu gehört das Recht zu demonstrieren. | |
Bisher ist immer gegen eine Wand gelaufen, wer Rechte eingefordert hat: | |
[5][Oswaldo Payá] 2001 mit dem Versuch, ein Referendum über die politische | |
Zukunft der Insel zu initiieren, ist ein Beispiel; die Petition der Gruppe | |
27N zur Absetzung von Kulturminister Alpidio Alonso im Februar 2021 ein | |
anderes. Wird sich die Geschichte wiederholen? | |
Wir sind Teil der kubanischen Gesellschaft, haben das Recht, die Zukunft | |
der Insel mitzugestalten. Das fordere ich ein – auch für mein eigenes Kind. | |
Ich will nicht, dass es in zehn, fünfzehn Jahren auf eine totalitäre | |
Regierung trifft, die es nicht ernst nimmt, mit Gewalt auf einen Müllwagen | |
wirft und ins Gefängnis transportiert. Nur weil es anders denkt. Dieser | |
Teufelskreis muss endlich durchbrochen werden. | |
Welche Rolle spielt dabei die internationale Aufmerksamkeit? | |
Kuba braucht die Scheinwerfer der internationalen Medien, weil zu viele | |
Halbwahrheiten und zu viele extreme Positionen kursieren. Kuba ist weder | |
das Paradies, das die internationale Linke in uns sah, noch die absolute | |
Hölle, als die die Rechten uns darstellten. In Kuba regiert heute ein | |
staatsmonopolistischer Kapitalismus, die Insel erinnert an die Privatfarm | |
eines Clans. Dieser Clan kontrolliert Kuba seit 62 Jahren und will diese | |
Kontrolle auf Biegen und Brechen verteidigen. | |
28 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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