| # taz.de -- Kuba – der Fall Lavastida: „Da wartet ein Taxi auf Sie“ | |
| > Von Berlin in den Knast. Der kubanische Künstler Hamlet Lavastida spricht | |
| > über seine Inhaftierung und Ausweisung aus Kuba. | |
| Bild: Hamlet Lavastida, Künstler und Dissident, vor der kubanischen Botschaft … | |
| Der Künstler Hamlet Lavastida gilt den kubanischen Behörden als Aufwiegler | |
| und Unruhestifter. Als jemand, der sich für die Demokratisierung Kubas | |
| einsetzt. Nach dreimonatiger Haft auf Kuba wurde der Künstler letzten | |
| Herbst zusammen mit seiner Partnerin Katherine Bisquet nach Polen | |
| abgeschoben und lebt heute im Exil in Berlin. | |
| taz am wochenende: Herr Lavastida, wo steht das kubanische Regime heute? | |
| Hamlet Lavastida: Kuba teilt das Problem aller sozialistischen | |
| Revolutionen. Sie wollten eine Gesellschaft errichten, mit neuen Idealen. | |
| Den neuen Menschen schaffen, wie in den sozialistischen Ländern in Europa | |
| im 20. Jahrhundert auch. Um den neuen Menschen zu schaffen, müssen Sie auch | |
| eine neue Vorstellung von Geschichte entwickeln. Neue Städte, neue | |
| Gesellschaften, eine ganz neue Geografie entwerfen. Kuba ist da kein | |
| Sonderfall, eher sehr europäisch. Schließlich war es fünf Jahrhunderte lang | |
| die reichste und wohlhabendste Provinz Spaniens, nicht einfach eine | |
| Kolonie. Das ist Teil unseres historischen Erbes. | |
| Was folgern Sie daraus? | |
| Den Kubanern wird von der kommunistischen Regierung eine andere Realität | |
| und Erinnerungskultur aufgezwungen. Zu Beginn war die kubanische Revolution | |
| gar nicht kommunistisch, eher radikaldemokratisch. Doch dann begannen sie | |
| eine andere Realität vorzutäuschen und mit ihr auch Geschichte und | |
| Erinnerung zu verfälschen. | |
| Sie beziehen sich in Ihrem Werk darauf? | |
| Für meine Ausstellung „Cultura Profiláctica“ im Bethanien in Berlin hatte | |
| ich ein Archiv verschiedener ikonografischer und sprachlicher Zeugnisse aus | |
| der Zeit der Institutionalisierung des Sozialismus zusammengetragen. Vor | |
| allem aus den 1960er bis 1980er Jahren Kubas, die ich in einer | |
| Wandinstallationen zeigte. Es war eine persönliche Auseinandersetzung mit | |
| der kulturellen Geschichte der kubanischen Gesellschaft. | |
| Bei Ihrer Rückkehr wurden Sie dann in Kuba verhaftet. Wie lief das ab? | |
| Nachdem Ausstellung und Stipendium am Bethanien beendet waren, reiste ich | |
| im Juni zurück nach Havanna. Ich hielt mich an die Bestimmungen und begab | |
| mich in ein Quarantänezentrum, da für uns Kubaner die Alternative in einem | |
| Hotel zumeist unbezahlbar ist. Ich war dort mit vielen Menschen mehrere | |
| Tage einquartiert. Die Zimmer haben nicht mal Türen. | |
| Was geschah dann? | |
| Die Menschen, auch die, die nach mir auf die Etage kamen, erhielten nach | |
| fünf Tagen ihr negatives Testergebnis und konnten gehen. Nur ich wartete | |
| immer noch. Ich war sehr besorgt. Ich fragte mich, ob das Gesundheitswesen | |
| hier mit dem Staatssicherheitsapparat kollaborierte. Mich befiel die | |
| allgegenwärtige kubanische Angst, dass etwas nicht stimmen könnte. Um neun | |
| Uhr morgens sah ich eines Tages dann ein Auto der Staatssicherheit | |
| vorfahren. Ein ziviles Fahrzeug, aber wenn du aus Kuba bist, hast du ein | |
| Gespür dafür. Geheimpolizei, die die Ordnung im Land aufrechterhält und die | |
| kommunistische Partei schützt, ähnlich der bis 1990 existierenden | |
| Securitate des Ceaușescu-Regimes in Rumänien. | |
| Was ging Ihnen da durch den Kopf? | |
| Ich rief meine Freundin Katherine Bisquet an und sagte: Sie kommen mich | |
| holen! Ich schicke dir Bilder von den Kerlen, die mich abholen, für den | |
| Fall, dass ich nicht wieder auftauche. Dann kam ein Arzt zu mir und sagte: | |
| „Wie fühlen Sie sich; geht es uns gut?“ Ich hatte ja immer noch kein | |
| Testergebnis. Der Arzt sagte dann: „Gehen Sie. Da wartet ein Taxi auf Sie.“ | |
| Ich nahm meinen Koffer und war sehr nervös. Es war klar, dass ich unten | |
| verhaftet würde. | |
| Wie kam Ihnen das vor? | |
| In dem Moment denkst du: Mir bleiben noch 50 Sekunden, um wichtige Dinge zu | |
| organisieren. Als Mensch fühlst du dich winzig. Sie tun so, als ob du eine | |
| Riesengefahr für die Gesellschaft darstellen würdest. Und Sie sagen aber | |
| nur: „Nehmen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit“. Nicht etwa: „Sie sind | |
| verhaftet.“ Es ist alles perfekt und geräuschlos organisiert. | |
| Wie ging es weiter? | |
| Sie nahmen mir mein Mobiltelefon ab. Sie setzten mich noch vor Ort in ein | |
| leeres Zimmer. Würden sie mich unter Zwang verhören? Ich musste mich | |
| ausziehen. Ich forderte eine legale Behandlung und meine Rechte. Sie sagten | |
| „Wir müssen erst der Sache nachgehen, bis dahin behalten wir Sie hier“. | |
| Und weiter? | |
| Im Jargon der Staatssicherheit ging es bloß um ein Interview. Aber in | |
| Handschellen. Vier Sicherheitspolizisten in Zivil führten mich später zu | |
| zwei parkenden Zivilfahrzeugen. Zwei von ihnen stiegen vorne ein, zwei | |
| hinten, und mich nahmen sie hinten in die Mitte. Das zweite Auto folgte. | |
| Sie befahlen mir, immer geradeaus zu gucken. Schaute ich zur Seite, | |
| schlugen sie mir mit ihren Waffen auf meine Knie. Wir fuhren zum | |
| Migrationsamt. Dort musste ich meinen Koffer abgeben und zwölf Stunden | |
| warten. | |
| Was wollte die Staatssicherheit von Ihnen wissen? | |
| Eine Frau unterhalb des Rangs eines Hauptmanns stellte mir Fragen über | |
| meine Freunde, meine Facebook-Kommentare, meine Ansichten, meine Positionen | |
| in der Kunst, ohne jegliches erkennbares eigenes Wissen. Auf Kuba, da | |
| befindest du dich in einer anderen Realität. Und als Andersdenkender | |
| schnell im Gefängnis. | |
| Was wirft man Ihnen konkret vor? | |
| Sie unterstellen mir, ich würde zu Gewalt und zivilem Ungehorsam aufrufen. | |
| Ich fragte: Warum halten Sie mich hier fest? Die Antwort: „Weil Sie der | |
| Anführer sind! Sie sind der Typ; Sie sind der Ideologe hinter allem!“ Elf | |
| Stunden dauerte das erste Verhör. Sie sprachen von einem | |
| Ermittlungsverfahren. In Wahrheit befindet man sich inmitten der | |
| kubanischen Inquisition. | |
| Auf das Verhör folgte das Gefängnis? | |
| Du fühlst dich wie tot in diesem repressiven Zustand. Die Zelle ist ein | |
| Raum von maximal fünfzehn Quadratmetern für drei oder mehr Personen. Sie | |
| sagen: „2239 – das ist ab sofort deine Nummer.“ Und diese ersetzt deinen | |
| Namen. Sie ließen mich im Ungewissen, wie lange ich inhaftiert bliebe und | |
| wie es weitergeht. Im Gefängnis bekam ich dann Covid. Mir ging es schlecht. | |
| Wie groß war die Verhaftungswelle im letzten Jahr? | |
| Nach den Massenprotesten begann eine Säuberungswelle. Mehr als 700 Personen | |
| sollen deswegen aktuell Gefängnisstrafen drohen. [1][Mich hat man mit | |
| meiner Freundin nach Polen ausgewiesen.] Sollte ich zurückkehren, drohten | |
| sie mir mit dem Gefängnis. Andere schoben sie nach El Salvador ab. Viele, | |
| darunter einige Künstler, blieben im Gefängnis, manche befinden sich im | |
| Hungerstreik. | |
| Wie geht es jetzt für Sie persönlich weiter? | |
| Ich versuche mich auf meine künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Geplant | |
| sind zwei Ausstellungen in der Galerie Crone in Berlin und Wien. Ich will | |
| diese und meine Teilnahme [2][an der Documenta in Kassel] dazu nutzen, um | |
| der Situation in Kuba größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Menschen | |
| müssen begreifen, dass das „Buena Vista Social Club“-Feeling auf Kuba | |
| längst tot ist. Stattdessen sterben dort Menschen wegen ihres Eintretens | |
| für die Freiheit. Wegen ihrer Kritik an dieser brutalen Diktatur, die außer | |
| Repression und Misswirtschaft wenig zu bieten hat. | |
| 31 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sebastian Strenger | |
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