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# taz.de -- Künstlerin über Biennale: „Kunst in Kuba ist Luxus“
> Das Festival Bienal de La Habana wird von vielen Künstler:innen
> boykottiert. Eileen Almarales Noy nimmt teil, kritisiert aber die Zensur
> in Kuba.
Bild: Kurz nach den Massenprotesten im Juli 2021: Polizisten patrouillieren dur…
Seit 1984 findet in Havanna alle zwei Jahre die Bienal de La Habana statt.
Die 14. Ausgabe des Festivals läuft noch bis zum 30. April. Einen Monat vor
Beginn wurde [1][online auf der Plattform e-flux] ein offener Brief
veröffentlicht: Mehr als 400 kubanische und internationale
Künstler:innen riefen zum internationalen Boykott der Biennale auf, um
gegen die kubanische Regierung zu protestieren. Seit den Massenprotesten
gegen die Coronapolitik der Regierung Kubas am 11. Juli 2021 [2][befinden
sich Hunderte Demonstrierende im Gefängnis, darunter auch
Kulturschaffende.]
taz: Frau Almarales Noy, Sie sind Künstlerin in einem Land, in dem die
Kulturpolitik fast vollständig von der Regierung kontrolliert wird. Jetzt
wird der Schrei nach Kunstfreiheit größer. Was muss sich ändern?
Eileen Almarales Noy: Ich war Teil dieses Schreis, ich halte ihn für
notwendig. Leider haben wir hier in Kuba sehr traurige Zeiten erlebt,
unsere Kunstinstitutionen sind mittelmäßig geworden. Es fehlt ihnen an
Frische. Ich selbst protestierte mit der „27N-Bewegung“, die nach dem Tag
des öffentlichen Protests vor dem Kulturministerium am 27. November 2020
benannt ist.
Es darf keine weiteren Vorstöße wie das Dekret 349 mehr geben, mit dem die
Regierung die Arbeit von Kulturschaffenden zensiert. Und keine
Inhaftierungen von Künstler:innen. Ich glaube, dass sich die Kulturpolitik
des Landes komplett ändern muss. Diese Biennale ist ein totaler Fehlschlag.
Warum nehmen Sie dann trotzdem teil?
Weil ich der Meinung bin, dass die Kunst über den politischen Heucheleien
und Streitigkeiten stehen muss. Die Biennale ist mehr als all die
politischen Fanfaren, die man ihr anheften möchte. Für mich ist sie ein
Ort, an dem wir Künstler:innen unsere Arbeiten präsentieren können. Sie
ist ein lokaler Raum und ein lokales Ereignis, das uns ermöglicht, dies zu
tun.
Ich konnte zum Beispiel im Atelier von René Rodríguez, dem Künstler, mit
dem ich zusammengearbeitet habe, ausstellen. Das war eine sehr glückliche
Erfahrung, weil ich wirklich einen großen Teil von dem, was ich in den zwei
Jahren der Pandemie gemacht habe, zeigen konnte.
Haben Sie Sorge, mit Ihrer Teilnahme die Kulturpolitik der Regierung zu
stützen?
Meine Teilnahme an der Biennale bedeutet nicht, dass ich Partei für
jemanden ergreife. Künstler:innen haben das Recht, sich frei zu fühlen.
Wir werden einerseits von der Regierung unterdrückt und andererseits von
den Künstler:innen, die angeblich für die künstlerische Freiheit kämpfen.
Diese Leute sagen, dass man hier keine Kunst machen könne, ohne Kunst für
die Regierung zu machen.
Aber es gibt zahlreiche Biennale-Projekte, die nicht in die Kategorie
politische Propaganda fallen. Und diesen sollte man eine Chance geben. Auch
meine Kunst hat politische Untertöne. Und dennoch kann ich an der Biennale
teilnehmen. Natürlich darf ich mich trotzdem nicht zum Spielball der
Institutionen machen lassen.
Das sehen viele Kulturschaffende anders. Mehr als 400 kubanische und
internationale Künstler:innen haben sogar zum Boykott der 14. Biennale
aufgerufen.
Kritik zu äußern, darf nicht verboten sein. Weder vonseiten der Regierung,
noch vonseiten internationaler Künstler:innen, internationaler
Institutionen oder von Menschen, die die Regierungspolitik in Kuba nicht
befürworten. Trotzdem schließe ich mich dem Boykott der Biennale nicht an.
[3][Die Regierung unterdrückt uns und versucht, unsere Kunst zu
manipulieren,] aber dieser Boykott macht uns kubanischen Künstler:innen
Druck.
Denn die Biennale ist eine der wenigen Gelegenheiten für uns, im Land
auszustellen. Zum Teil sind es Kulturschaffende aus anderen Ländern, die
ganz andere Möglichkeiten haben als wir, und die mit ihrem Boykott der
Biennale einen eisernen Krieg gegen die Regierung und den Kunstbetrieb
Kubas führen.
In Kuba wehren sich immer mehr Intellektuelle und Künstler:innen gegen
die Zensur, zum Beispiel mit der 2018 gegründeten Bewegung Movimiento San
Isidro. Gib es Aussicht auf einen politischen und kulturellen Wandel?
Ich kenne die Bewegung. Sie haben viel versucht, viel geopfert. Sie haben
einen Funken der Hoffnung im Volk entfacht, das war notwendig und wichtig.
Aber ich glaube nicht, dass sie viel erreicht haben, dass es politische und
kulturelle Veränderungen in Kuba geben wird. Unsere Institutionen, wie das
Kulturministerium, sind unnachgiebig. Sie stecken in überholten
Gepflogenheiten fest.
Im Februar 2019 stimmten die Kubaner:innen für eine neue Verfassung.
Ändert das für Kunst- und Kulturschaffende etwas?
Ich glaube nicht, dass die neue Verfassung und alles andere, was in den
letzten Jahren an Veränderungen stattgefunden hat, der Kunst von Nutzen
sein wird. Vielmehr sucht die Regierung nach Mechanismen der Unterdrückung,
um zu verhindern, dass sich der gesellschaftliche Diskurs gegen das System
richtet. Sie hat große Angst vor dem, was Künstler:innen tun könnten,
weil sie erkannt haben, dass Künstler:innen in Kuba sehr viel Macht
haben.
Trotz der schwierigen Situation haben Sie bereits in zahlreichen Galerien
ausgestellt. Können Sie von Ihrer Kunst leben?
Das stimmt, ich habe in verschiedenen Ländern ausgestellt, aber das reicht
nicht aus, um von der Kunst leben zu können. In Kuba haben wir ein großes
Problem: Wir haben keinen Binnenmarkt. Daher sind alle Künstler:innen
Kubas von Kurator:innen, Sammler:innen, Käufer:innen und Museen und
Kunstsammlungen anderer Länder abhängig.
Es gibt keine Kubaner:innen, die Kunst kaufen. Meine Kunst ist keine
Einnahmequelle, im Gegenteil. Kunst in Kuba ist ziemlich teuer, sie ist ein
Luxus, den ich mir gönne, weil ich sie gerne mache und weil ich sie
genieße. Vor allem den Moment, in dem ich ein Werk beende und es irgendwo
ausstellen kann, wo die Leute es sehen und sich darin einfühlen können.
Gibt es in Kuba überhaupt ausreichend Stifte, Leinwände, Radiergummis?
Wie alles andere sind Materialien für meine Kunst teuer, knapp und schwer
zu beschaffen. Es gibt sie hier nur, weil sie aus dem Ausland mitgebracht
werden. „Mulas“ nennen wir Menschen, die in andere Länder reisen, um dort
Materialien, Lebensmittel, Medikamente, Kleidung und alles Mögliche zu
kaufen. Sie bringen sie zurück nach Kuba und verkaufen sie zu
astronomischen Preisen weiter.
Das alles hängt mit der Wirtschaftskrise zusammen, mit der hohen Nachfrage
und der Tatsache, dass es eine Währungsreform gegeben hat, die die Preise
auf das 10- bis 20-fache erhöhte. Das gilt auch für Leinwände oder für
Bleistifte. Und dennoch: Wenn man Kunst machen will, muss man das Geld
dafür auftreiben.
Sie verwenden in Ihrer Kunst gerne natürliche Materialien, Sie malen mit
Erde oder pflanzlicher Tinte, fertigen Installationen aus Stroh oder Holz
an. Suchen Sie Ihre Inspiration hauptsächlich in der Natur?
Meine Wurzeln auf dem Land haben mich sehr geprägt, ich suche Inspiration
in meiner Herkunft. Seit meiner Diplomarbeit befasse ich mich mit meiner
Verbindung zur Erde, stelle ich mir existenzialistische Fragen in Bezug auf
unseren Planeten. Von dort aus begann ich, globalere Ideen zu entwickeln,
über Zugehörigkeit und die Verteilung von Territorien.
Ich glaube, dass wir alle frei auf diesem Planeten geboren wurden und dass
wir frei sein sollten – ohne Mauern, ohne Grenzen, ohne so viel Raub, so
viel Bürokratie und Papierkram. Und wir sollten uns über unsere Erde
bewusster werden, diesen wunderbaren Ort, den wir haben und den wir nicht
zu schätzen wissen. Wir sind eine intelligente Spezies, die alles um sich
herum schützen und nicht zerstören sollte.
4 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.e-flux.com/announcements/426144/open-letter-why-we-say-no-to-th…
[2] /Politischer-Starrsinn-in-Kuba/!5812243
[3] /Kuba--der-Fall-Lavastida/!5828857
## AUTOREN
Vera Dünninger
## TAGS
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