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# taz.de -- Dresdner auf Kuba im Gefängnis: Im Wettlauf gegen den Hungerstreik
> Luis Frómeta Compte wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt, weil er ein
> Smartphone-Video von einer Demo in Havanna drehte. Er verzweifelt
> zunehmend.
Bild: Innenhof des Gefängnisses Combinado del Este in Havanna
Berlin taz | Ein Gefängniswärter führte sie in einen separaten Raum, so
erzählt es Silke Frómeta Compte. Darin standen zwei Ledersessel, eine
Couch, ein Tisch. Wenigstens ein bisschen Privatsphäre, auch wenn ihr klar
war, dass sie abgehört werden. Auf der Couch saß ihr Mann, mager und
erschöpft, den Blick auf den Boden gerichtet. „Er war alleine dort, sonst
hätte ich ihn nicht erkannt. Vielleicht nur an den Augen.“ Vergangene Woche
durfte die Dresdnerin ihren Mann erstmals im Hochsicherheitsgefängnis
Combinado del Este nahe Havanna besuchen.
Luis Frómeta Compte sitzt seit Juli in Haft, weil er bei Protesten gegen
die Regierung in Havanna ein Handyvideo drehte. Kurz vor Weihnachten
verurteilte ihn die Kubanische Justiz wegen Anstiftung zum Aufruhr [1][zu
einer Gefängnisstrafe von 25 Jahren]. „Er hat gesagt, es ist die Hölle für
ihn“, sagt seine Frau. Ihr Mann überlege jetzt, in Hungerstreik zu treten,
wegen der Haftbedingungen und der unverhältnismäßig hohen Strafe. Seine
Frau und seine beiden Töchter versuchen, ihn von dem lebensgefährlichen
Hungerstreik abzuhalten.
Als Frómeta Compte am [2][11. Juli vergangenen Jahres] festgenommen wird,
ist der 58-Jährige gerade zu Besuch bei seiner Familie auf Kuba. Er kam
1985 als Gastarbeiter in die DDR und machte eine Ausbildung zum
Forstfacharbeiter, gründete eine Familie und lebt seither in Dresden. Am
Tag der [3][landesweiten Proteste] gegen die wirtschaftliche Lage und die
Corona-Politik auf Kuba ist er mit seinem Schwager unterwegs, „etwas
einkaufen“, erzählt seine Tochter, Janie Frómeta Compte. Sie hätten die
Demonstration gesehen, auch, wie brutal die Polizei in die Masse ging. „Das
hat mein Papa gefilmt und ist, anstatt wieder nach Hause zu gehen, einfach
mal mitgelaufen. Die haben sich da ein Stück weit mitreißen lassen, mein
Papa kennt die bessere Welt ja hier in Deutschland.“
Bei den Protesten nimmt die Polizei nach Angaben der Nachrichtenagentur afp
1.300 Menschen fest, dutzende werden verletzt, einer von ihnen tödlich.
Mehr als [4][700 Menschen werden verurteilt] – manche zu Haftstrafen von
sechs Jahren, andere zu bis zu 30 Jahren.
## Compte ist politischer Gefangener
„Angesichts der Proteste will die Kubanische Regierung ein Exempel
statuieren“, sagt Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der Internationalen
Gesellschaft für Menschenrechte.
Die Organisation unterstützt Luis Frómeta Comptes Töchter beim Engagement
für ihren Vater; sie stellt Kontakt zur Botschaft und zum Auswärtigen Amt
her, organisiert eine politische Patenschaft durch den
CDU-Bundestagsabgeordneten Lars Rohwer und verbreitet eine Petition vor dem
Europa-Parlament, die auf den Fall aufmerksam machen soll. Aus Sicht der
Organisation ist Frómeta Compte unschuldig und aus politischen Gründen
inhaftiert.
„Aus der Tatsache, dass er ein Video bei den Protesten gedreht hat, wird
ein staatsfeindlicher Angriff konstruiert und er als ausländischer Agent
behandelt“, sagt Lessenthin. Da er sowohl die deutsche als auch die
kubanische Staatsbürgerschaft hat, werde Frómeta Compte zum Spielball der
internationalen Politik, seine unverhältnismäßig hohe Haftstrafe zum
Druckmittel, um eine wohlwollendere Haltung Deutschlands und der EU
gegenüber dem Kommunistischen Regime zu erzwingen. „Kuba möchte
Wirtschaftshilfen und sieht im Moment wenig Entgegenkommen von Deutschland.
Indem man einen Gefangenen so behandelt, kann man versuchen, das zu
erpressen.“
Für Janie Frómeta Compte wäre ein solches Vorgehen Kubas nicht
nachvollziehbar. „Mein Papa ist null politisch. Das ist bei uns nie ein
Thema gewesen, dass wir über irgendwelche Systeme sprechen.“ Ihr Vater sei
ein ruhiger, eher zurückhaltender Mensch und ein liebevoller Vater und
Großvater. Dass er in den Protest geraten sei, sei „für die Kubanische
Regierung gefundenes Fressen.“
## Warnung an Exil-Kubaner*innen
Gabriele Stein von Amnesty International widerspricht der Erklärung der
Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. „Ich glaube nicht, dass
die Kubanische Regierung mit Einzelfällen die Deutsche Regierung erpressen
will. Uns scheint das eine nicht nachvollziehbare Behauptung zu sein.“
Vielmehr gehe es um Abschreckung gegenüber anderen Exil-Kubaner*innen. Dass
Frómeta Compte keinen Besuch von Repräsentant*innen der Deutschen
Botschaft empfangen darf, sei keine Ausnahme in Kubanischen Gefängnissen –
dass zumindest seine Familie vor Ort ihn regelmäßig sprechen darf, hingegen
Glück.
Die Kubanische Regierung sei [5][in den vergangenen Jahren repressiver]
geworden, sagt Stein, die mit ihrem Team die Menschenrechtssituation in dem
Land schon seit Jahren beobachtet. Vor einiger Zeit noch habe die Justiz
politische Gefangene mittelfristig frei- oder zumindest in den Hausarrest
entlassen, wenn mehrere Staaten wie Deutschland gegen ihre Haft
protestierten. Das geschehe mittlerweile nicht mehr, auch die Haftstrafen
seien so hoch wie lange nicht. „Die Situation auf Kuba ist nicht ganz so
schlimm wie unter Fidel Castro, aber wir sind nicht weit davon entfernt.“
Kuba [6][verfolge Oppositionelle und Kulturschaffende], weil die Regierung
um ihre Macht bange, vermutet Stein. So traurig es für die Frómeta Comptes
sei, ihr Schicksal sei kein Einzelfall. Kuba zeige kein Entgegenkommen,
auch nicht bei einem Hungerstreik. „Die Regierung lässt es darauf
ankommen.“
Janie Frómeta Compte ist skeptisch, dass sie den Hungerstreik ihres Vaters
verhindern kann. „Unsere Familie auf Kuba hat ihn bisher davon abhalten
können, aber ich kenne meinen Papa, wenn er sich sowas in den Kopf setzt.
Das ist wirklich eine grenzwertige Situation, es ist nur noch eine Frage
der Zeit.“ Beim Besuch im Gefängnis habe sie etwas Essen mitgebracht, sagt
Silke Frómeta Compte. Frittiertes Hühnchen und Salat, dazu ein paar Kekse,
Marmelade und Eukalyptusbonbons. „Aber er wollte es erst nicht nehmen.“
Fast drei Wochen habe sie auf Kuba verbracht und versucht, ihren Mann zu
besuchen. Erst am vorletzten Tag genehmigten die Behörden, dass sie ihn
sehen dürfe.
Es sei schlimm gewesen, sagt sie, ihre Stimme stockt. „Ich habe meinen Mann
zwei Mal weinen sehen. Das eine Mal war, als seine Mama gestorben war, und
das andere jetzt im Gefängnis. Der hat so bitterlich geweint.“ Sie selbst
habe sich zusammengerissen, habe versucht, ihn aufzumuntern, ihm von den
Kindern erzählt, von Freunden und von ihrem Garten. „Ich hoffe, dass ich es
geschafft habe, ihn vom Hungerstreik abzubringen“, sagt sie. Das
mitgebrachte Essen zumindest habe er schließlich mitgenommen.
14 Apr 2022
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## AUTOREN
Jette Wiese
## TAGS
Kuba
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