| # taz.de -- Kubanischer Journalist über Unabhängigkeit: „Alles ist geheim“ | |
| > In Kuba gibt es eine eigens für die Überwachung von Journalisten | |
| > zuständige Polizeiabteilung, berichtet Augusto César San Martín Albistur. | |
| Bild: Verblassender Che Guevara in Havanna | |
| taz Panter Stiftung: Seit den 90er Jahren arbeiten Sie in Kuba als | |
| Journalist. Seitdem haben Sie Probleme mit der Regierung. Sie haben sogar | |
| schon mehrere Jahre im Gefängnis gesessen. Warum? | |
| Augusto César San Martín Albistur: Die Gründe, die unsere Führung nennt, | |
| sind immer die Gleichen: Du bist ein Spion der USA, du hast | |
| Staatsgeheimnisse verraten oder du hast die Stabilität gefährdet. Ich habe | |
| für Cuba Free Press und andere Zeitungen und Webseiten gearbeitet. Immer | |
| bin ich überwacht worden. Derzeit berichte ich für Cubanet.org. Es hat | |
| seinen Sitz in Miami. | |
| Es hat sich nichts geändert? | |
| Als Fidel Castro noch lebte, wurden viele Journalisten gleichzeitig | |
| bestraft. Unter seinem Bruder Raúl ging es toleranter zu. Der Grund: Raúl | |
| Castro und US-Präsident Barack Obama kamen sich näher. Nun hat sich Raúl | |
| Castro verabschiedet und [1][der neue Präsident] … | |
| … Miguel Díaz-Canel … | |
| die Leute kennen ihn nicht. Sie wissen nichts mit ihm anzufangen. Die | |
| Menschen werden ungeduldig. Seit 63 Jahren hören sie Versprechungen, dass | |
| alles besser wird. Aber nichts passiert. Er selbst sieht in den | |
| Journalisten ein großes Problem. Er pickt sich Einzelne heraus und setzt | |
| sie unter Druck. | |
| Womit genau haben Sie die Führung geärgert? | |
| Kuba hat einen eigenen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt: | |
| [2][Abdala]. Ich werfe der Regierung vor, die Menschen schon geimpft zu | |
| haben, als noch gar nicht sicher war, ob das Medikament wirkt. Die | |
| Bevölkerung wurde Teil eines Experiments. Die Polizei hat mir prompt mit | |
| Gefängnis gedroht. | |
| Gab es andere Probleme? | |
| Wir haben über das Vermögen von KP-Funktionären geschrieben. Ich war schon | |
| in Berlin, aber meine Frau wurde einbestellt. Sie haben sogar mit meiner | |
| Schwiegermutter gesprochen. Sie versuchen, uns alle psychisch unter Druck | |
| zu setzen. Alle wissen: Die Regierung kann dein Leben und das deiner | |
| Familie zerstören … Die Regierung hat nun eine Polizeiabteilung, die nur | |
| für uns Journalisten zuständig ist. Sie lassen gerne Berichterstatter in | |
| einem geschlossenen Auto stundenlang in der Sonne stehen. Die vergangenen | |
| fünf Jahre waren sehr schwierig für die KollegInnen und mich. | |
| Wurden Sie wieder eingesperrt? | |
| Immer nur kurz. Aber sie beschlagnahmten meine Kameras, Mikrofone, den | |
| Computer. Wenn man sie zurückverlangt, schicken sie einen fort. Leute haben | |
| sogar meine Frau vor unserer Haustür bedrängt. Die Polizei aber legte den | |
| Fall zu den Akten, obwohl es Videoaufnahmen von einem Täter gab. | |
| 2019 wurde Kubas Verfassung geändert, viele Menschen verbanden damit | |
| Hoffnung auf Besserung … | |
| Die neue Verfassung bedeutet gar nichts. Die Justiz ist nicht unabhängig, | |
| sie soll ausschließlich der Revolution dienen. Wer nicht als „Revolutionär�… | |
| eingestuft ist, hat keine Rechte. | |
| Wie kommen Sie denn an Informationen, haben Sie überhaupt Kontakte? | |
| Das ist überaus schwierig. Alles ist geheim, selbst wie man Kaffee kocht. | |
| (lacht) Der Vorteil: Die Menschen trauen den offiziellen Journalisten | |
| nicht, also versorgen sie uns mit Informationen oder rücken zurecht, was | |
| die Staatspresse sagt. Das geschieht selbstverständlich anonym. Sogar in | |
| Berlin wollten die Exilkubaner mir nicht ihre Namen sagen, als ich etwas | |
| über Medikamententransporte nach Kuba erfahren wollte. | |
| Gibt es Hoffnung, dass sich unter US-Präsident Joe Biden [3][die | |
| Beziehungen zu den USA verbessern] und sich so die Lage auch im Innern | |
| Kubas lockert? | |
| Ich bin pessimistisch für die nächsten fünf Jahre. Das Problem ist doch das | |
| politische System. Im Jahr 2018 gab es Proteste auf den Straßen. Die | |
| Regierung sah die CIA hinter den Demonstrationen. Seither ist diese | |
| Bewegung tot, viele Menschen sitzen im Gefängnis. | |
| Wie war für Sie die Auszeit in Berlin? | |
| Zuerst wollte ich sofort wieder zurück, die ersten Tage bin ich gar nicht | |
| vor die Tür gegangen. Es war alles so ungewohnt. Dann interviewte ich einen | |
| Kubaner, und eine Polizeisirene ertönte. Plötzlich merkte ich: Du musst | |
| keine Angst vor ihnen haben. Interviewen wir in Kuba jemanden auf der | |
| Straße, brauchen wir stets einen Aufpasser, der vor der Polizei warnt. Muss | |
| ich wieder mal aufs Revier, nehme ich immer meine Zahnbürste mit – falls es | |
| länger dauert. | |
| 4 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Lorenz | |
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