# taz.de -- Proteste in Kuba: Inselstaat am Wendepunkt | |
> Kubas Präsident Díaz-Canel enttäuscht mit seiner Politik der harten Hand | |
> die junge Bevölkerung. Sie fordert konstruktiven Dialog – und mehr | |
> Freiheit. | |
Bild: Geheimpolizisten gehen gegen einen Regierungsgegner vor | |
Mit dem Fahrrad war Miguel Díaz-Canel in Holguín gern unterwegs. Die Tür | |
zum Büro des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) in der | |
ganz im Osten der Insel liegenden Stadt Holguín war damals immer offen. Man | |
musste kein glühender Verfechter der kubanischen Revolution sein, um mit | |
ihm diskutieren zu können. Der Mann, der im April 2018 als Präsident und | |
drei Jahre später als [1][Vorsitzender der Kommunistischen Partei] die | |
Nachfolge von Raúl Castro antrat, stand für den Dialog. | |
Um einen Dialog mit der Regierung geht es den Demonstranten auf Kubas | |
Straßen. Sie verfolgen das Ziel, die einst revolutionäre Insel zu | |
verändern, Reformen auf den Weg zu bringen, um die Lebensbedingungen zu | |
verbessern, den Menschen eine Perspektive zu geben und zugleich an dem | |
festzuhalten, was als die „Errungenschaften der Revolution“ Kubas moderne | |
Geschichte auszeichnet. | |
Das kostenfreie Gesundheits- und Bildungssystem gehört definitiv dazu, aber | |
auch ein quirliges, kreatives Kultursystem. Eine Kultur, die immer wieder | |
die Politik herausgefordert hat, die gegängelt und zensiert wurde, und die | |
heute wieder ganz vorn an der Spitze der Proteste steht. | |
Fernando Pérez, Ikone des kubanischen Kinos, begleitet diese neue | |
Generation kubanischer Künstler*innen und Intellektueller aus der Nähe. | |
Der 77-jährige Regisseur hat enge Bekanntschaft gemacht mit staatlicher | |
Zensur. Trotzdem gehören seine Filme zur kulturellen Identität der Insel, | |
wie „Das Leben ist ein Pfeifen“. Die jungen Künstler*innen setzen seinen | |
Kampf fort. Sie treten für einen gesellschaftlichen Wandel ein. Sie weigern | |
sich, das Handtuch zu werfen und ins Ausland zu emigrieren. | |
## Bleiben, um zu verändern | |
Das ist das klassische Ventil in Kubas Geschichte und es ist kein Zufall, | |
dass bis zu drei Millionen Kubaner*innen im Ausland leben. Viele sind | |
hochqualifiziert, erfolgreich im Bereich der Kultur, aber auch in | |
Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Doch die lang etablierte Devise: | |
„Wer keine Perspektive mehr sieht, geht“, ist überholt. | |
Die neue Generation sucht den Dialog mit den Verantwortlichen, aber auch | |
mit Organisationen wie der katholischen Kirche. Sie diskutiert mit der | |
Generation der etablierten Künstler, wie Pérez oder auch der Liedermacher | |
Silvio Rodríguez. Rodríguez regte jüngst eine Amnestie an für all jene, die | |
am 11. Juli protestierten und dabei weder gewalttätig gegen die Polizei | |
vorgingen noch Geschäfte plünderten. Seine Initiative blieb unbeantwortet. | |
Dass die Regierung in Havanna solche Anliegen ignoriert, könnte den Unmut | |
schüren, genauso wie die Sammelklagen wegen „Störung der öffentlichen | |
Ordnung“, die sogar vor Minderjährigen nicht Halt machen. So wurde eine | |
17-Jährige zu acht Monaten Haft verurteilt. Dieser [2][repressive Stil], zu | |
dem auch die „Actos de Repudio“, die verbale und auch handgreifliche | |
Ausgrenzung Andersdenkender, gehören, muss ein Ende haben und einer neuen | |
politischen Sprache Platz machen. | |
Fernando Pérez gehört zur Künstlergruppe 27 N, Regimekritiker*innen, die | |
sich am 27. November 2020 zusammengeschlossen haben, als Hunderte | |
Künstler*innen vor dem Kulturministerium demonstrierten. Ein paar | |
Dutzend von ihnen wurden vorgelassen zum Gespräch mit Vizekultusminister | |
[3][Fernando Rojas]. Sie forderten, dass Andersdenkende auf der Insel nicht | |
weiter ausgegrenzt und kriminalisiert werden. | |
Es war eine riesige Chance, um einen Dialog über die politische Zukunft | |
Kubas in Gang zu bringen. Sie misslang. Viele Aktivist*innen der Gruppe | |
27 N stehen heute unter Hausarrest. Sie wurden Opfer einer beispiellosen | |
Diffamierungskampagne und fanden sich dem Vorwurf ausgesetzt, vermeintlich | |
aus den USA bezahlte Konterrevolutionäre und Umstürzler zu sein. Unter | |
diesem Verdacht stand auch die international bekannte Performancekünstlerin | |
Tania Bruguera. | |
Ihre Darbietung auf dem Platz der Revolution, die die politische Zukunft | |
der Insel zum Thema hatte, wurde bereits 2014 unterbunden. Bruguera gehört | |
zu den Künstler*innen, die nicht locker lassen. Ihr per Crowdfunding | |
finanziertes Zentrum für Kunstaktivismus Hannah Arendt ist den | |
Kulturverantwortlichen in Havanna ein Dorn im Auge. Dort wird kritische | |
Kunst gezeigt, diskutiert, Workshops werden veranstaltet, auch um kritische | |
Berichterstattung zu fördern. | |
## Externe Akteure sollen draußen bleiben | |
Es sind für Kuba revolutionäre Initiativen, die gesellschaftliche | |
Veränderung einfordern, die einen nationalen Dialog anschieben wollen, zu | |
dem auch die Exilgemeinde eingeladen ist. Nicht willkommen sind hingegen | |
externe Akteure, ob die [4][USA], China, Venezuela oder Russland. Adressat | |
der Aktivist*innen ist die Regierung in Havanna, die derzeit alles tut, | |
um die Kontrolle zu wahren. | |
Sie setzt dabei auf die Sicherheitsdienste, auf uniformierte und zivile | |
Polizei- und Militärpräsenz, auch wenn Präsident Miguel Díaz-Canel seinem | |
unsäglichen Aufruf vom 11. Juli zum Kampf zur Verteidigung der Revolution | |
mittlerweile moderatere Töne hat folgen lassen. Was fehlt, ist die | |
Bereitschaft, einen konstruktiven Dialog zu initiieren. Das ist nach den | |
massiven und flächendeckenden Protesten dringend nötig, will man nicht dem | |
Beispiel Nicaraguas folgen. | |
Überfällig ist auch, der seit nunmehr zehn Jahren stockenden ökonomischen | |
Reformagenda des früheren Präsidenten Raúl Castro neues Leben einzuhauchen. | |
Kuba steht an einem Wendepunkt und nun ist ein Präsident gefragt, der in | |
der Lage ist, einen Dialog zu moderieren. Miguel Díaz-Canel hat in seiner | |
politischen Karriere durchaus gezeigt, dass er dazu in der Lage ist. | |
Allerdings bedient er sich seit Amtsantritt in seinen Rede einer überholten | |
Rhetorik der 1980er Jahre. Höchste Zeit für den studierten Elektroingenieur | |
einen fortschrittlicheren Ton anzuschlagen und die Weichen auf Versöhnung | |
zu stellen. | |
27 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kubas-Kommunistische-Partei/!5767130 | |
[2] /Soziale-Unruhen-in-Kuba/!5784943 | |
[3] /Kubanischer-Kuenstler-ueber-Proteste/!5781464 | |
[4] /US-Sanktionen-gegen-Kuba/!5741783 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Miguel Díaz-Canel | |
Protest | |
Raul Castro | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Kuba | |
Havanna | |
Freiheit | |
Kuba | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
Miguel Díaz-Canel | |
[tazze]IG | |
Kuba | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Kuba | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
USA und Kuba sprechen wieder miteinander: Druck an der Grenze | |
Viele Tausend Kubaner versuchen jeden Monat, in die USA zu gelangen. Jetzt | |
reden die Regierungen erstmals seit vier Jahren wieder über Migration. | |
Internetzensur in Kuba: Regierungskritik ist nun strafbar | |
Ein neues Dekret in Kuba stellt die Kritik am Staat im Internet unter | |
Strafe. Die Regierung begründet das mit Cybersicherheit, Kritiker | |
befürchten Zensur. | |
Sportnation Kuba in der Krise: Unter anderer Flagge | |
Der Sport in Kuba leidet unter der ökonomische Krise. Viele kehren der | |
Insel den Rücken. 22 Kubaner*innen starten in Tokio für ihre neue | |
Heimat. | |
Pressefreiheit in Kuba: Kaltgestellt | |
In Kuba wird Journalist*innen Hausarrest auferlegt. Nach landesweiten | |
Protesten blockierte die Staatssicherheit auch den Internetzugang. | |
Prozesse nach Protesten auf Kuba: Den eigenen Gesetzen zum Trotz | |
Nach den Demonstrationen vom 11. Juli sitzen Minderjährige in Haft. In | |
Sammelprozessen finden Verurteilungen ohne Verteidigung statt. | |
Kubanischer Künstler über Proteste: „Kuba droht ein Bürgerkrieg“ | |
Der Protest markiert eine Zäsur, sagt Michel Matos von der | |
Künstler-Protestbewegung San Isidro. Dem Präsidenten wirft er Verbrechen | |
vor. | |
Proteste in Kuba: Regierung macht Zugeständnis | |
Kubas Präsident hat eine Mitverantwortung für die Proteste eingeräumt. In | |
Folge der Demos wurden laut Journalisten schon über 5.000 Menschen | |
festgenommen. | |
Proteste auf Kuba: Der Tabubruch | |
Fidel Castro suchte 1994 den Dialog mit unzufriedenen DemonstrantInnen. Der | |
neue Machthaber Miguel Díaz-Canel setzt auf Repressionen. | |
Soziale Unruhen in Kuba: Die Proteste gehen weiter | |
Menschenrechtsorganisationen berichten von 90 Verhafteten und vielen | |
Verletzten. Der Präsident verweigert den Dialog. |