# taz.de -- Sportnation Kuba in der Krise: Unter anderer Flagge | |
> Der Sport in Kuba leidet unter der ökonomische Krise. Viele kehren der | |
> Insel den Rücken. 22 Kubaner*innen starten in Tokio für ihre neue | |
> Heimat. | |
Bild: Unter kubanischer Flagge: Roniel Iglesias (r.) schlägt den Briten Pat Mc… | |
Julio César la Cruz hat alles richtig gemacht aus Sicht der kubanischen | |
Sportfunktionäre. Der 91 Kilogramm schwere Modellathlet von der | |
revolutionären Insel besiegte im Viertelfinale des olympischen Boxturniers | |
nicht nur seinen spanischen Kontrahenten, Emmanuel Reyes Pla, sondern rief | |
auch noch in dessen Ringecke „Vaterland und Leben – nein! Vaterland oder | |
Tod – Wir werden siegen!“. | |
Der Satz ist brisant, denn in Kuba kam es am 11. Juli [1][zu massiven | |
sozialen Protesten] unter dem Slogan „Patria y Vida“ (Vaterland und Leben). | |
Eine Absage an die alte Revolutionsparole von Fidel Castro und für mehr | |
politische und ökonomische Freiheiten. Für die hatte sich auch Emmanuel | |
Reyes Pla, Kubaner mit spanischem Pass, in einem Interview vor dem | |
olympischen Boxkampf stark gemacht. Seine Niederlage wurde danach in der | |
kubanischen Parteizeitung Granma, der wichtigsten offiziellen Zeitung der | |
Insel, bejubelt. | |
Es war wieder einmal ein sportlicher Sieg des Systems. La Cruz, | |
Titelverteidiger in Tokio, ist auf dem besten Wege in die Fußstapfen von | |
Félix Savón zu treten, dem dreifachen Olympiachampion, der eine Art | |
Sprachrohr des offiziellen Kubas der 1990er Jahre war. Er rühmte damals das | |
kubanische Modell bei jeder Gelegenheit. Nur gibt es 30 Jahre später wenig | |
zu rühmen. Die Insel befindet sich nicht nur in einer latenten ökonomischen | |
Krise, sondern auch in einer politischen. | |
Die macht auch vor dem Sport nicht halt, was in Tokio kaum zu übersehen | |
ist. Mit gerade einmal 69 Athlet*innen, so wenig wie zuletzt 1968, ist die | |
einst so erfolgreiche Sportnation in Tokio angereist. Das ist nicht nur den | |
chronisch leeren Kassen und dem auf ein historisches Maximum verschärften | |
US-Embargo geschuldet, sondern auch der Tatsache, dass Abwanderung seit | |
Jahrzehnten eine Konstante in der Sportgeschichte des Landes ist. 22 | |
Athlet*innen kubanischer Herkunft treten in Tokio unter neuer Flagge an. | |
## Das verhinderte Volleyballteam | |
Emmanuel Reyes Pla ist nur einer von ihnen und nicht der bekannteste. Das | |
könnte Wilfredo León sein. Der Volleyballer aus Santiago de Cuba tritt in | |
den polnischen Farben an und gilt derzeit als der beste Spieler weltweit. | |
Aufschläge mit einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern sind eine | |
seiner Spezialitäten, die auch die Italiener, immerhin Olympiazweiter von | |
Río de Janeiro, in der Vorrunde zermürbten. | |
Für die spielte Osmany Juantorena, der Sohn von Alberto Juantorena, dem | |
Sportfunktionär und Doppelolympiasieger von 1976 über 400 und 800 Meter. | |
Die beiden Cracks galten zusammen mit anderen begabten Spielern einst als | |
die Zukunft des kubanischen Volleyballs. Dazu zählt auch Yoandy Leal, der | |
die brasilianischen Farben trägt, und mit dem Ziel antritt, wie 2016 Gold | |
zu gewinnen. Mit dem Trio könnte Kubas Nationalequipe sicherlich mithalten | |
unter den besten Nationen der Welt. Doch Kuba ist im Volleyball gar erst | |
qualifiziert. | |
Die Volleyballer, die die Insel zu Beginn der 2010er Jahre verließen sind | |
nur drei von Hunderten von Athlet*innen, die der Insel den Rücken gekehrt | |
haben, weil sie keine Perspektive mehr sahen. Mal lag es daran, dass sie | |
nicht in einer Profiliga ihrer Wahl aktiv werden durften, mal haben sie | |
sich wie Wilfredo León schlicht verliebt und für das Leben in einem anderen | |
Land mit besseren Bedingungen entschieden. | |
Einige haben sich ihren sportlichen Traum von der Teilnahme an Olympischen | |
Spielen erfüllt wie die drei Handballer, die für Portugal auflaufen. Laufen | |
würde auch Hürdensprinter Orlando Ortega gerne. Er geht für Spanien auf | |
Medaillenjagd und galt als turmhoher Favorit, muss aber wegen einer | |
Verletzung passen. | |
Die Erwartungen wieder einmal erfüllt hat hingegen Mijaín López, Kubas | |
130-Kilogramm-Monument im Ringen. Zum vierten Mal in Folge ließ sich der | |
38-jährige Olympiagold umhängen. Am Dienstag gewann Roniel Iglesias dann | |
noch [2][Boxgold] im Weltergewicht und sorgte dafür, dass sich die | |
Medaillenbilanz der Insel mit derzeit vier Goldmedaillen, drei Silbernen | |
und drei Bronzenen sehen lassen kann. Das ist weniger als in den | |
strahlenden 1990er Jahren, aber damals waren auch nicht 22 kubanische | |
Athlet*innen für andere Nationen im Einsatz. | |
4 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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