# taz.de -- Sportnation Kuba im Niedergang: Absprung ins Exil | |
> Immer mehr Athlet:innen verlassen Kuba. In ökonomischen Krisenzeiten | |
> möchten sie nicht länger für das kubanische Gesellschaftsmodell werben. | |
Bild: Lester Lescay, bei Olympia 2021 in Tokio noch für Kuba am Start, trainie… | |
HAMBURG taz | Sie galt als Kandidatin für das Podest, als Versprechen für | |
die Zukunft im kubanischen Speerwurf: Yiselana Ballar. Die 19-Jährige aus | |
Cienfuegos mit der persönlichen Bestmarke von 60,84 Metern sollte Schritt | |
für Schritt aufgebaut werden und die Nachfolge von Osleidys Menéndez | |
antreten. Menéndez gilt in Kuba als Ikone des Speerwurfs, hält seit 2004 | |
den Olympischen Rekord, war zweimal Weltmeisterin. Ihr sollte Ballar bei | |
der laufenden Leichtathletik-WM im US-amerikanischen Eugene nacheifern. So | |
hatten es die kubanischen Offiziellen geplant. | |
Doch die 19-jährige Speerwurf-Hoffnung machte den kubanischen | |
Sportfunktionären einen Strich durch die Rechnung. Am 13. Juli nutze sie | |
eine Zwischenladung in Miami und setze sich im Gewühl des Flughafens von | |
Miami von der nur 15-köpfigen kubanischen WM-Equipe ab. | |
Ballar ist die vorerst letzte auf der Liste von mindestens 53 Athlet:innen, | |
die Kuba seit Jahresbeginn verlassen haben. Eine Quote, die die Zahlen der | |
vorangegangenen Jahre bei weitem übersteigt. Das hat einen einfachen Grund: | |
Bis zum 15. November 2021 waren die kubanischen Flughäfen geschlossen, die | |
Ausreise nur auf dem riskanten Weg über Wasser möglich. | |
Osleidys Menéndez, die hochdekorierte Speerwerferin hat ihn nicht gescheut. | |
Im Juni ist sie über Jamaika nach Nicaragua gereist und hat von dort den | |
Weg über Honduras und Guatemala nach Mexiko genommen, bis sie die US-Grenze | |
erreichte. Von dort ging es direkt nach Miami, der Latin-Metropole der USA, | |
wo die kubanischen Netzwerke wie geschmiert laufen. | |
Da könnte die ehemalige Weltklasse-Athletin bald schon ihrer designierten | |
Nachfolgerin über den Weg laufen. Es wäre ein Treffen mit Symbolcharakter | |
und eines, das Folgen nach sich ziehen könnte:, Menéndez möchte als | |
Trainerin arbeiten, während sich Yiselana Ballar als Athletin erst mal neu | |
orientieren muss. | |
## Training im spanischen Exil | |
Ob die beiden jedoch in den USA bleiben oder nach Europa gehen, ist offen. | |
Für Europa spricht die Tatsache, dass sich dort etliche kubanische | |
Leichtathlet:innen tummeln. Als Anlaufpunkt für talentierte kubanische | |
Sportler:innen gelten Spanien und das benachbarte Portugal, wo sich ein | |
knappes Dutzend kubanischer Cracks in Weit-, Drei-, Hochsprung und den | |
Sprintdisziplinen angesiedelt hat. Lester Lescay, 21-jähriger kubanischer | |
Weitspringer, ist seit März diesen Jahres in Spanien, Dreispringer Jordán | |
Díaz seit Juli des vergangenen Jahres und die 26-jährige kubanische | |
Speerwerferin Yulenmis Aguilar wird schon bei der nächsten WM für Spanien | |
starten. | |
Ihrem Beispiel wollen auch Jordán Díaz und Lester Lescay folgen, die sich | |
der Trainingsgruppe von Iván Pedroso im spanischen Guadalajara | |
angeschlossen haben. Der kubanische Ex-Weltmeister und Olympiasieger im | |
Weitsprung hat sich einen Ruf als versierter Coach aufgebaut. Er betreut | |
nicht nur die beste Dreispringerin der Gegenwart, Yulimar Rojas aus | |
Venezuela, die bei der WM in Eugene gerade zum dritten Mal Weltmeisterin | |
geworden ist. Auch Jordán Díaz trainiert bei ihm. Der 21-jährige Kubaner | |
gilt als Mega-Talent und folgte dem Rat seiner Eltern, ins Ausland zu | |
gehen. In Kuba habe er keine Chance, wenn er in die internationale Spitze | |
wolle. | |
Nun soll die Trainingsgruppe von Pedroso sein Sprungbrett in die | |
Weltspitze werden. Doch auch anderswo, in Italien, der Türkei oder | |
Portugal, sind Talente aus der traditionell erfolgreichen kubanischen | |
Medaillenschmiede willkommen. Kein Wunder – Kuba gilt mit seinem | |
Talentsichtungssystem und dank der reichlichen Medaillenernte bei | |
Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften als Sportgroßmacht. 15 | |
Medaillen bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 sind dafür ein Beleg. | |
Kubanische Sportler sind auch dann erfolgreich, wenn die ökonomische | |
Situation der Insel wieder einmal prekär ist. | |
## Ökonomische Krisensituation | |
Die wirtschaftliche Dauerkrise ist ein wesentlicher Grund für die | |
Abwanderung von Talenten, erfolgreichen Athlet:innen, aber auch | |
Trainer:innen von der Insel. Die entwickelte sich unter der Regie von | |
Revolutionsikone Fidel Castro in den 1980er- und 1990er- Jahren zur | |
Sport-Großmacht mit sozialistischem Sendungsbewusstsein. Unvergessen sind | |
Boxer wie Félix Savón, der Hochspringer Javier Sotomayor oder die 800 | |
Meter-Läuferin Ana Fidelia Quirot, die mit ihren Erfolgen für das | |
kubanische Sport- und Gesellschaftsmodell warben. | |
Doch Kuba befindet sich seit Beginn der 1990er-Jahre in einer latenten | |
ökonomischen Krise, die sich mit der Pandemie weiter zugespitzt hat. | |
Sichtbarster Ausdruck davon waren [1][die inselweiten Proteste vom 11. Juli | |
des vergangenen Jahres], die von Polizeieinheiten niedergeschlagen wurden. | |
Massive Polizeipräsenz, Prozesse gegen Demonstrierende mit langjährigen | |
Haftstrafen, sorgen seitdem für ein Klima der Einschüchterung, wie | |
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren. | |
Dieses Klima der Einschüchterung hat längst Auswirkungen auf den Sport. | |
Dramatisch ist die Situation im kubanischen Nationalsport Baseball sowie | |
beim Boxen. Da wirken die USA mit der potenten Major League Baseball und | |
die vier großen Profi-Boxverbände [2][wie ein Magnet auf die Sportler], so | |
Yovani Aragón Rodríguez, ehemaliger Chef des kubanischen Box-Verbandes. | |
„Wir verlieren unsere Konkurrenzfähigkeit bei internationalen Events“, | |
warnte der längst abgesetzte Funktionär schon vor vier Jahren. | |
Trainingslager, sowie regionale und internationale Meisterschaften dienen | |
als Weg zum Ausreiseticket von der Insel. Auf der werden die Bedingungen | |
für Leistungssport immer schlechter. Bröckelnde Stadien wie das legendäre | |
Panaméricano in Havanna, aber auch die Versorgungsengpässe auf der Insel | |
illustrieren das. Die Republikflucht von gleich zwölf Spielern der | |
kubanischen Baseball-Auswahl der unter 23-Jährigen im mexikanischen Ciudad | |
Obregón im Herbst letzten Jahres war einer der spektakulärsten Fälle von | |
Athlet:innen-Flucht. | |
Exemplarisch dafür steht auch der Fall von Andy Cruz, der Ende Juni bei der | |
Republikflucht gefasst wurde. Über Jamaika wollte der Ausnahmeboxer ins | |
US-Boxparadies auswandern. In Kuba sorgt sein Fall für Gesprächsstoff – aus | |
gutem Grund: Der Leichtgewichts-Champ, Olympiasieger von Tokio, ist auf | |
Konfrontationskurs zum System. Er beantragte bei den Offiziellen das Ende | |
seiner Anstellung als Dozent der Sportwissenschaft und erklärte via | |
Twitter dazu: „Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die nicht allen | |
gefallen“. | |
Keinen Zweifel ließ er zudem daran, dass er nur sich selbst und seiner | |
Familie verpflichtet sei und dass er professionell boxen wolle. Die klare | |
Absage an das kubanische Sport-Establishment quittierten die Offiziellen | |
mit dem Ausschluss des 26-Jährigen vom Sportbetrieb. Gut möglich, dass | |
Andy Cruz wieder versuchen wird, die Insel zu verlassen. Die Ausreise | |
scheint nicht nur für ihn die einzige Option zu sein. | |
24 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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