# taz.de -- Kuba legalisiert Ehe für alle: Ein kluger Schachzug des Regimes | |
> Das Referendum macht das Leben auf Kuba für queere Personen ein bisschen | |
> besser. Ein billiger Punkt für das Regime – ein Tiefpunkt für die | |
> Opposition. | |
Bild: Die Pro-Kampagne für das Referendum in Havanna, Kuba | |
Egal, wie das [1][Referendum] am Sonntag ausgegangen wäre, einen Sieger | |
hätte es immer gegeben: Das kubanische Regime. Hätte eine Mehrheit der | |
Bevölkerung das von der Regierung vorgeschlagene neue Familiengesetz | |
abgelehnt, hätte die Diktatur einen Beweis dafür gehabt, gar keine zu sein. | |
Schade drum, aber wenn das Volk es so will? | |
Dem Machtanspruch der kubanischen KP und ihrer Führung hätte es jedenfalls | |
keinerlei Abbruch getan, die Bürgerrechte der LGBTQi*-Community und der | |
Frauen in Familien nicht auszuweiten. [2][Kubas Regierung] hat ein | |
Referendum anberaumt, dessen Ergebnis sie nicht fälschen musste. Es war ihr | |
schlicht egal. | |
Jetzt haben nach offiziellen Angaben rund zwei Drittel jener rund 75 | |
Prozent, die sich am Referendum beteiligt haben, mit „Ja“ gestimmt. Und | |
prompt feiern die Staatsmedien einen Sieg des revolutionären Kuba auf | |
seinem unaufhaltsamen Weg zu immer mehr Gerechtigkeit. | |
Das ist zwar unendlich zynisch: Bis heute hat sich etwa keine | |
Staatsinstitution für die Umerziehungszwangslager der 1960er Jahre | |
entschuldigt, in denen Homosexuelle weggesperrt wurden. Und wann immer | |
LGBTQi*-Aktivist*innen versuchen, selbst und unabhängig für ihre Anliegen | |
auf die Straße zu gehen, sehen sie sich der gleichen Repression durch | |
Polizei und Staatssicherheit ausgesetzt wie alle anderen, die sich | |
außerhalb des schmalen zugelassenen Meinungskanals politisch äußern wollen. | |
Und dennoch feiern auch diese Aktivist*innen an diesem Tag einen Sieg: | |
Immerhin bringt ihnen das Ja zum Referendum jetzt die gleichen Rechte, die | |
alle anderen bereits haben. Damit wird Kuba nicht zum Rechtsstaat – von | |
unabhängiger Justiz kann nach wie vor nicht die Rede sein – aber die | |
Extraportion Diskriminierung, der queere Menschen bislang ausgesetzt waren, | |
ist zumindest auf dem Papier vorbei. Das revolutionäre Kuba, die Avantgarde | |
der Gerechtigkeit, ist damit wenigstens in diesem Punkt gesetzlich auf dem | |
Stand angekommen, auf dem die meisten Demokratien schon seit Jahren sind. | |
Die vor allem in den sozialen Medien geführte Debatte unter | |
Kubaner*innen inner- und außerhalb der Insel zeigte erschreckend, wie | |
verkommen die Diskussionskultur nach jahrzehntelanger Unterdrückung | |
öffentlichen Diskurses ist. | |
Ja, da gab es diejenigen, die aus [3][evangelikalem Fundamentalismus] jede | |
Abweichung vom traditionellen Familienbild ablehnen. Aber es gab auch viele | |
Anhänger*innen von Opposition und Dissidenz, die allein deshalb für ein | |
Nein warben, weil der Vorschlag für das Gesetz von der Regierung kam. Das | |
ist das gleiche Segment von Anti-Castro-Kubaner*innen, die vehement Donald | |
Trump unterstützen und bei jeder Wahl in einem lateinamerikanischen Land | |
„Kommunismus“ wittern, wo nicht die extreme Rechte gewinnt – und die dann | |
im Netz queere Aktivist*innen, manche von ihnen mit einer langen | |
Leidensgeschichte, als Castro-Büttel beschimpfen. | |
Diese Art Oppositioneller sind die besten Freunde des kubanischen Regimes. | |
Denn das aktuelle Kuba mit seiner – wahrlich nicht nur von außen | |
verschuldeten – Wirtschaftskrise, seiner massiven Ausweitung der Repression | |
gegen Andersdenkende und dem staatlichen Mitverdienen am Massenexodus von | |
Kubaner*innen ist nun wirklich kein erstrebenswertes Objekt der | |
Solidarität oder gar Bewunderung. Erst im Glanze solcher Gegner wird es | |
irgendwie attraktiv. | |
Insofern war es ein kluger Schachzug, ausgerechnet ein Familiengesetz zur | |
Abstimmung zu stellen, das Themen verhandelt, die zwar kulturkämpferisch | |
aufgeladen, aber meilenweit davon entfernt sind, in Kuba die Machtfrage zu | |
entscheiden. Und eine Opposition, die engstirnig und kurzsichtig gegen die | |
Ausweitung von Bürgerrechten mobilisierte, hat sich selbst diskreditiert. | |
Das dürfte genau so gedacht gewesen sein. | |
26 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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