# taz.de -- Kuba nach dem Referendum: Der steinige Weg zu mehr Rechten | |
> Kubas neues Familiengesetz ist modern und weitet die Menschenrechte | |
> deutlich aus. Aber hätte es überhaupt abgestimmt werden dürfen? | |
Bild: Abstimmung zum Referendum am 25. September in Kuba | |
BERLIN taz | Jetzt ist sie also [1][verabschiedet], die 25. Version des | |
neuen [2][Familiengesetzes]. Bei einer Beteiligung von 74 Prozent stimmten | |
am vergangenen Sonntag rund zwei Drittel der Kubaner beim Referendum für | |
das Ja, rund zwei Millionen mit Nein. Nach monatelangen Debatten in den | |
sozialen Netzwerken, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen bedeutet | |
das neue Gesetz eine deutliche Ausweitung der Menschenrechte in Kuba. | |
Am offensichtlichsten ist vermutlich die Einführung der | |
gleichgeschlechtlichen Ehe und andere Errungenschaften für die | |
LGBTI-Community. Aber das 130 Seiten starke Dokument erweitert auch die | |
Schutzrechte für andere verletzliche Gruppen. | |
Die Soziologin und Aktivistin Massiel Carrasquero etwa führt aus, dass auch | |
ihr als alleinstehender Cishetero-Frau künftig der Zugang zu künstlicher | |
Befruchtung offensteht – bislang hätte sie dafür verheiratet sein müssen. | |
Gleiches, wie auch das Recht auf Leihmutterschaft und Adoption, steht auch | |
gleichgeschlechtlichen Paaren zu. | |
Ebenfalls erkennt das Gesetz auch die Multi-Elternschaft an: Es kann also | |
anerkannte Familien mit mehr als zwei Müttern oder Vätern geben. Experten | |
führen aus, dass das Gesetz damit genau jene Dynamiken aufnimmt, die in | |
kubanischen Familien ohnehin schon vorkommen. | |
## Organisierte Kampagnen fundamentalistischer Gruppen | |
Die Rechtsanwältin und Feministin Alina Herrera betont den Fortschritt, | |
dass Kinderehen in Zukunft verboten sind. Künftig gilt ein Mindestalter von | |
18 Jahren. Außerdem gibt es mehr Schutz vor innerfamiliärer Gewalt, von | |
Menschen mit Behinderungen und älteren. | |
Einer der meistdiskutierten Punkt war der Ersatz des Begriffes „elterliche | |
Gewalt“ durch „elterliche Verantwortung“, die im Übrigen zu gleichen Tei… | |
bei Vätern und Müttern liegt. In einem Kontext, wo es noch immer an der | |
Tagesordnung ist, Kinder mit Prügeln und Anschreiben zu „erziehen“, hat | |
dieser Passus eine Menge Widerstand erzeugt. | |
Zum ersten Mal auch wird explizit Haus- und Sorgearbeit in ihrer | |
wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung anerkannt. Einige dieser Neuerungen | |
sind längst in internationalen Abkommen verankert, die Kuba unterschrieben | |
hat, die aber bislang keine Entsprechung in der nationalen Gesetzgebung | |
hatten. | |
Der Weg zum neuen Gesetz war nicht leicht. Dagegen standen organisierte | |
Kampagnen fundamentalistischer Gruppen, die auf den „ursprünglichen | |
Zuschnitt der Familie“ pochten und bereits früher ihren Einfluss unter | |
Beweis gestellt haben. Und die politische Opposition stellte sich ebenfalls | |
gegen das Gesetz, mit dem Argument, dass man „in der Diktatur nicht wählen | |
geht“ oder dass es wichtigeres gibt und diese Rechte warten können. Man | |
könne nicht für ein paar Menschenrechte für einige Personengruppen | |
eintreten und für alle anderen nicht. | |
## „Über Würde kann man nicht abstimmen“ | |
Auch die Werbung für ein Ja in den Staatsmedien war keine große Hilfe, denn | |
alles wurde extrem politisiert und ein Ja für das Familiengesetz wurde | |
direkt als Zustimmung zur Regierung dargestellt. Wohl auch deshalb wird es | |
nicht wenige „Denkzettelwähler“ gegeben haben, die durch ihr Nein zum | |
Familiengesetz ihre Ablehnung der Regierung zum Ausdruck bringen wollten. | |
„Ich glaube, die jungen Leute waren die besten Fürsprecher des Gesetzes“, | |
sagt die 34-jährige Philologin Grettel Escalona. „Unsere Generation | |
versteht Fragen von Respekt leichter. Aber es gibt auch die ältere | |
Generation, die sich damit schwertut – nicht nur mit der Homoehe an sich, | |
sondern vor allem mit der Idee, dass so eine Familie Kinder haben darf.“ | |
Dazu kommen Machismus und Homophobie, die noch immer der kubanischen | |
Gesellschaft innenwohnen. Und darüber hinaus kommt die ganze Debatte in | |
einem Moment schwerster Wirtschaftskrise, in der die Menschen weder Zeit | |
noch Muße haben, sich mit viel anderem zu beschäftigen als dem täglichen | |
Überleben. Oder wie es der LGBTI-Aktivist Según [3][Ulises Padrón Suárez], | |
ausdrückt: „Unser einziger Vorteil ist es, dass wir Recht haben.“ | |
Aber es gab auch noch eine andere Debatte. In den Worten des kubanischen | |
Intellektuellen [4][Julio César Guanche]: Über Würde kann man nicht | |
abstimmen. Per Referendum zu fragen, ob eine Mehrheit damit einverstanden | |
ist, anderen Rechte zu gewähren, ist verfassungswidrig und widerspricht der | |
Essenz der Menschenrechte: Sie sind unveräußerlich und unverhandelbar. „Das | |
zur Abstimmung zu stellen öffnet Tür und Tor für die Autokratie, selbst | |
wenn es zunächst demokratisch erscheint, wird doch die „Volkssouveränität�… | |
bemüht.“ | |
## Entweder Ja stimmen, oder alles bleibt, wie es ist | |
Und natürlich gab es auch den Vorwurf des pinkwashing. Tatsächlich ist noch | |
nie seit 1959 irgendein Gesetz per Referendum zur Abstimmung gestellt | |
worden. Aber die Optionen waren jetzt halt diese: Entweder Ja stimmen, oder | |
alles bleibt, wie es ist. Die queere Akademikerin [5][Yasmin Portales] | |
sagte in einem Interview: „Ja, es ist beleidigend und furchtbar, | |
Menschenrechte zur Abstimmung zu stellen. Aber wenn das der Weg ist, dann | |
muss man ihn gehen. Sonst akzeptiert man gleich die Niederlage.“ | |
Krise ist ein zu kurzes Wort. Man versteht es besser, wenn man weiß, dass | |
es in Kuba stundenlange Stromabschaltungen gibt, dass Medikamente und Essen | |
fehlen und der kubanische Peso jeden Tag weniger wert ist. Allein in den | |
letzten Monaten sind fast 200.000 Kubaner in die USA geflohen – der größte | |
[6][Massenexodus] unserer Geschichte. Hunderte sitzen noch immer für ihre | |
Teilnahme an den Protesten des 11. Juli 2021 im Gefängnis, davon einige mit | |
Haftstrafen von 20 bis 30 Jahren. | |
Das ist also die Lage, in die ein solches Gesetz hereinplatzt, wie ein | |
Versprechen auf ein gerechteres Land. „Ich habe mit Ja gestimmt, weil ich | |
eine drei Jahre alte Tochter habe“, sagte Grettel Escalona, „damit sie | |
keine Angst hat zu sein, was immer sie sein will, damit sie glücklich wird | |
mit der Art Familie, die sie einmal gründen will.“ | |
Manche meinen, dass die kubanische Gesellschaft für ein so modernes | |
Familiengesetz nicht bereit ist, und wahrscheinlich haben sie recht. Es | |
gibt seit Jahrzehnten kaum oder keine Kultur der Rechtsprechung, der | |
Debatte, der Unterschiede. „Wir leben noch immer in einer konservativen | |
Gesellschaft“, sagt Anwältin Herrera, „und das ist besorgniserregend.“ | |
27 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ehe-fuer-alle-kommt/!5884368 | |
[2] /Evangelikale-gegen-Referendum-in-Kuba/!5879751 | |
[3] https://www.tremendanota.com/el-codigo-de-las-familias-una-lucha-en-la-que-… | |
[4] https://oncubanews.com/opinion/columnas/la-vida-de-nosotros/la-dignidad-no-… | |
[5] https://www.hypermediamagazine.com/sociedad/yasmin-portales-machado-codigo-… | |
[6] /Auswanderungswelle-in-Kuba/!5869853 | |
## AUTOREN | |
Eileen Sosin Martínez | |
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