| # taz.de -- Soziale Unruhen in Kuba: Die Proteste gehen weiter | |
| > Menschenrechtsorganisationen berichten von 90 Verhafteten und vielen | |
| > Verletzten. Der Präsident verweigert den Dialog. | |
| Bild: Polizisten gehen gegen Regimegegner in Havanna vor | |
| Maribel Mustelier steht vor der Polizeistation El Palacete in Santiago de | |
| Cuba. Sie ist nicht allein. Neben ihr stehen weitere Frauen, die Angehörige | |
| suchen. Väter, Onkel, Ehemänner, Freunde, die am Sonntag gegen prekäre | |
| Lebensverhältnisse auf die Straße gingen und „Patria y Vida“ (Vaterland u… | |
| Leben) riefen. Mustelier sucht ihren festgenommenen Mann Juan Elias | |
| Navarro. | |
| Der stammt aus San Agustín, einem einfachen Viertel am Rande des | |
| historischen Stadtzentrums von Santiago de Cuba. Der Mann hat früher naive | |
| Kunst an Tourist*innen verkauft, sich und seine Familie mit einem | |
| illegalen Nachbarschaftsrestaurant über Wasser gehalten, weil es zu einem | |
| richtigen legal angemeldeten Restaurant nicht reichte. | |
| Mustelier wartet an diesem Tag vergeblich auf ihren Mann. Ob und wann | |
| Navarro aus der Haft entlassen wird, erfährt sie nicht. Schon lange gehörte | |
| der schlaksige Afrokubaner zu denen, die für mehr Freiraum in Kuba | |
| eintreten, in seinem Viertel, aber auch hin und wieder bei Aktionen der | |
| konservativen Patriotischen Union Kuba (UNPACU), einer der größeren | |
| Oppositionsgruppen im Land. Dessen Vorsitzender José Luis Ferrer wurde am | |
| Sonntag ebenfalls im Zuge der Proteste festgenommen. Sein Name steht mit 90 | |
| anderen auf der Liste von Inhaftierten, die die juristische | |
| Hilfsorganisation Cubalex am Montag veröffentlichte. | |
| Getragen wird Cubalex von Laritza Diversent, die vor ein paar Jahren Kuba | |
| in Richtung USA verlassen musste. Seitdem arbeitet sie mit einem kleinen | |
| Team aus Pennsylvania und berät Organisationen in Kuba bei der Durchsetzung | |
| ihrer Rechte. Petitionen an das kubanische Parlament hat sie mitverfasst, | |
| außerdem beriet sie Anwälte, um gegen die Festnahme von Oppositionellen | |
| vorzugehen. | |
| ## Der Präsident ruft zu Gegendemos auf | |
| Eine Verhaftungswelle wie diese gegen Oppositionelle und Aktivist*innen | |
| hat Laritza Diversent seit dem sogenannten Schwarzen Frühling von 2003 | |
| nicht erlebt. Damals wurden 75 bekannte Oppositionelle, darunter viele | |
| unabhängige Journalist*innen, in einer landesweiten Razzia verhaftet. 75 | |
| Aktivist*innen erhielten langjährige Haftstrafen. Zu ihnen gehört auch | |
| José Luis Ferrer von der UNPACU. Ob sich so etwas nun wiederholt, weiß auch | |
| die kubanische Juristin nicht, aber für sie sind die Bilder aus Havanna | |
| schockierend. „Das Niveau der Repression ist beispiellos“, meint sie. | |
| [1][Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel] appellierte am Sonntag an die | |
| Anhänger*innen der kubanischen Revolution, auf die Straße zu gehen, um | |
| sich den Oppositionellen entgegenzustellen. „Wenn sie die Revolution | |
| bezwingen wollen, müssen sie über unsere Leichen gehen“, hatte der | |
| kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel im Fernsehen über die | |
| Demonstrierenden gesagt. | |
| Für Mónica Baró, international prämierte kubanische Journalistin, erzeugt | |
| Díaz-Canel mit solchen Aussagen einen Konflikt innerhalb der Bevölkerung. | |
| „Er ignoriert komplett, was auf der Insel passiert. Seine Regierung sollte | |
| regieren, sich für die Bevölkerung engagieren, sie nicht unterdrücken“, | |
| erklärte Baró Montagnacht in einer Videobotschaft. Schockiert ist sie zudem | |
| über die Videos, Fotos, die in den sozialen Netzen kursieren. Sie erwecken | |
| den Eindruck, dass kubanische Polizei und Spezialeinheiten gezielt auf | |
| Protestierende schossen. Zwei kubanische Ärzte bestätigen das in einem auf | |
| Facebook geposteten Video, das Baró geteilt hat. | |
| Wie die beiden Ärzte das Video online stellten, bleibt ihr Geheimnis, denn | |
| das Internet in Kuba ist vielerorts abgestellt. Das staatliche | |
| Monopolunternehmen Etecsa folge Anweisungen aus den Ministerien, so Tania | |
| Bruguera. Für die Aktivistin der Künstlergruppe 27 N, die im November noch | |
| im Dialog mit dem Kulturministerium stand, „ein krimineller Akt“. Sie rief | |
| die Mitarbeiter des Unternehmens dazu auf, für freien Internetempfang im | |
| Land zu sorgen. | |
| ## Politische Krise | |
| Den Dialog und das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche | |
| Versammlungen mahnten auch die Vereinten Nationen an. Doch die Signale aus | |
| den Ministerien am Platz der Revolution in Havanna sind andere. Der | |
| Präsident erneuerte seine Vorwürfe, Kuba sei Opfer einer Kampagne, die in | |
| den vergangenen Wochen in den sozialen Medien lanciert worden sei. Dem | |
| entgegnet die Journalistin Mónica Baró: „Es braucht keine Provokation aus | |
| dem Ausland, die kubanische Realität reicht vollkommen aus.“ | |
| Die war auch am Montag von [2][Protesten und massiver Polizeipräsenz | |
| geprägt]. Berichten zufolge gab es Protestmärsche in Stadtteilen wie La | |
| Güinera, Regla und Guanabacoa, während das Stadtzentrum Havannas weitgehend | |
| von Polizei und Spezialeinheiten abgeriegelt war. Human Rights Watch liegen | |
| Informationen von Verletzten, Vermissten und Dutzenden von Festnahmen vor, | |
| so deren Amerikadirektor José Miguel Vivanco. „Wir wissen, dass die | |
| Sicherheitskräfte in ihrer Repression auch nicht zwischen Senioren, Kindern | |
| und Frauen unterscheiden“, erklärte er gegenüber der BBC. Die ökonomische | |
| Krise scheint zur fundamentalen politischen Krise mutiert zu sein. | |
| 13 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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