Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grünen wollen Priorität für Klimaschutz: Veto fürs Klima
> Die Grünen fordern ein Klimaschutzministerium – inklusive Vetorecht. Dass
> sie mit der Idee in den Wahlkampf ziehen, dürfte auch taktische Gründe
> haben.
Bild: Wer uns wählt, wählt Zukunft: Grünen-Wahlplakat zur Bundestagswahl in …
Plötzlich gibt es ein polarisierendes Thema in diesem seltsam
dahinplätschernden Wahlkampf. Die Grünen fordern ein Klimaschutzministerium
mit echter Macht. Das neue Haus soll ein Vetorecht gegenüber anderen
Ressorts bekommen. Es soll alle Kabinettsvorlagen mitzeichnen dürfen und
Gesetze darauf prüfen, ob sie dem Pariser Klimaschutzziel genügen. Das wäre
etwas Neues, Klimaschutz würde zur Priorität der Regierung.
Doch allein das scheint eine Provokation zu sein: Die Wettbewerber der
Grünen stimmten einen Empörungschor an. „Klimaschutz ist Kanzlerjob“, sag…
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU). Alle Kabinettsmitglieder
müssten daran mitwirken und eine künftige Regierung brauche „nicht Veto,
sondern Turbo“. [1][SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz] argumentierte ähnlich.
Klimaschutz, sagte er, werde im Kanzleramt vorangetrieben. Und FDP-Chef
Christian Lindner witterte gar „linke Vorstellungen des
Gesellschaftsumbaus“.
Ist die Idee nur ein Wahlkampfgag? Oder spricht die Aufregung dafür, dass
die Grünen einen wunden Punkt treffen? Klar ist: Ein Klimaschutzministerium
mit Vetorecht wäre machbar, obwohl viele das Gegenteil behaupten. Und es
könnte das Jahrhundertthema, das die Große Koalition zu sehr vernachlässigt
hat, deutlich stärken. Ein solches Ministerium stelle sicher, „dass alle
anderen Ressorts ihrer Verantwortung nachkommen“, lobte zum Beispiel Henrik
Maatsch, Klimaexperte beim WWF Deutschland.
Die Grünen sehen es so: „Nach aktuellen Prognosen wird Deutschland in
diesem Jahr, [2][dem Jahr der Klimakonferenz in Glasgow,] sein Klimaziel
deutlich verfehlen“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck der taz. Deutschland
sei beim Klimaschutz nicht auf Kurs, „Es liegt auf der Hand, dass wir nicht
einfach so weitermachen können wie bisher.“ Es brauche deshalb
institutionelle Vorkehrungen innerhalb der neuen Regierung, „damit
Klimaschutz im Alltag nicht weiter hinten runterfällt.“ Das neue
Klimaschutzministerium, sagte Habeck, solle ein „Querschnittsministerium“
sein. Das Vetorecht könnte sich an dem des Finanzministers orientieren.
## Ausdrücklicher Widerspruch soll einfacher werden
Olaf Scholz (SPD) hat wie seine Vorgänger bei haushaltsrelevanten Fragen
eine stärkere Position als andere Minister. Die Geschäftsordnung der
Bundesregierung regelt diese Machtverteilung im Kabinett. So heißt es zum
Einspruchsrecht des Finanzministers in Paragraph 26: „Beschließt die
Bundesregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen oder ohne
die Stimme des Bundesministers der Finanzen, so kann dieser gegen den
Beschluss ausdrücklich Widerspruch erheben.“ Werde Widerspruch erhoben, so
sei über die Angelegenheit in einer weiteren Sitzung erneut abzustimmen.
In jener kann der Finanzminister überstimmt werden, wenn die Mehrheit der
anderen Minister einschließlich des oder der Bundeskanzlerin anderer
Meinung ist. Streng genommen geht es also nicht um ein hartes Veto, sondern
um einen Einspruch mit aufschiebender Wirkung. Die Geschäftsordnung billigt
diesen auch dem Justizminister und dem Innenminister zu, wenn eine Maßnahme
aus ihrer Sicht mit geltendem Recht unvereinbar ist. Obwohl kein Minister
Gesetze auf eigene Faust stoppen kann, entfaltet allein die Drohung
Wirkung.
Ohne Scholz geht im Kabinett nichts. In der Praxis setzen sich alle mit ihm
ins Benehmen, wenn sie teure Ideen haben. Auch in der öffentlichen Debatte
garantiert die Sonderposition den MinisterInnen Aufmerksamkeit. Ein
Beispiel: [3][Justizministerin Christine Lambrecht (SPD)] erinnerte im
Januar im Kampf gegen die Coronapandemie daran, dass Grundrechte nur mit
guter Begründung eingeschränkt werden dürften – und dass sie etwa
Ausgangssperren für kein adäquates Mittel hielt.
Ein ökologisches Vetorecht eines Klimaschutzministers könnte so ähnlich
aussehen. Er oder sie könnte bei Gesetzen, die nicht konform mit dem
Paris-Ziel sind, mehr Druck ausüben. In Gesetzentwürfen der Regierung, in
denen stets die Auswirkung auf den Haushalt beschrieben wird, stünden dann
eben auch die Folgen für das Paris-Ziel. Böse Streitigkeiten wären sicher
eher selten. Eine Koalition verständigt sich ja vorab auf Grundlinien.
Strittige Abstimmungen kommen im Kabinett kaum vor, weil man ein
harmonisches Bild liefern will. Entweder einheitlich oder lieber
verschieben, lautet meist das Motto.
## Klimaministerium soll Gesetzesentwürfe „reparieren“
Robert Habeck schwebt in dem neuen Ministerium ein „Klima-TÜV“ vor. Das
Haus wäre also personell so gut ausgestattet, dass es Gesetzentwürfe
anderer Ressorts prüfen und mit eigenen Ideen „reparieren“ könnte.
Beispiel: Wenn das Entwicklungsministerium in Nigeria den Straßenbau
fördert, müsste es auch in ökologische Ausgleichsmaßnahmen – Radwege,
Aufforstungen – investieren. Im grünen Konzept findet sich auch der hübsche
PR-Begriff einer „Klima-Taskforce“. Heißt übersetzt: Staatssekretäre und
leitende Beamte sollen in den ersten 100 Tagen einer Regierung im
Wochenrhythmus tagen und Prozesse beschleunigen.
Wie aber lässt sich bei einem Gesetz einschätzen, ob es Paris-kompatibel
ist? Da tut sich eine Grauzone auf. Ein höherer Mindestlohn könnte ja
streng genommen sehr vielen Menschen klimaschädlichen Konsum ermöglichen,
würde aber von einem grünen Klimaschutzminister sicher durchgewinkt. Die
Idee ziele im engeren Sinne auf Klimaschutz, heißt es bei den Grünen.
Interveniert würde etwa, wenn bei der Plastikherstellung eine
Subventionierung von Erdöl geplant sei.
Dabei ist die Idee nicht neu, ökologische Politik institutionell zu
stärken. So forderte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der
Bundesregierung bereits 2019 ein ökologisches Vetorecht des
Umweltministeriums. Die ExpertInnen begründeten ihre Forderung mit einer
deprimierenden Analyse. „Ein Großteil aller Umweltziele der Deutschen
Nachhaltigkeitsstrategie werden voraussichtlich verfehlt“, hieß es in ihrem
Gutachten. Beim Energieverbrauch, dem Flächenfraß oder der Belastung von
Gewässern bleibe Deutschland weit hinter den eigenen Zielen zurück – und
beim Klimaschutz, der Fischerei oder bei Schadstoffen sehe es kaum besser
aus.
Selbst in der CDU warb ein konservativer Öko früh für ein solches
Vetorecht. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer forderte 1988 ein
umweltpolitisches Veto gegen alle Bonner Kabinettsentscheidungen. Dieses
Vetorecht solle das „ökologische Kapital“ eines industrialisierten Landes
wie der Bundesrepublik genauso bewahren, wie die Einspruchsmöglichkeit des
Finanzministers das Finanzkapital schütze, argumentierte Töpfer.
Ökologie war für Jahrzehnte das Stiefkind des Kabinetts. Andere Ministerien
behandeln das Umweltministerium bis heute wie den nervenden Öko-Onkel, den
man im Zweifel lieber ignoriert. Es ist ein vergleichsweise machtloses Haus
mit wenig Mitarbeitern, wenig Geld und wenig Durchgriffsrechten auf die für
Klimaschutz relevanten Themen. Die wichtigen Entscheidungen fällen die
Minister, die für Wirtschaft, Energie, Verkehr sowie fürs Bauen und die
Landwirtschaft zuständig sind. Also etwa Horst Seehofer, Bundesminister des
Inneren, für Bau und Heimat, oder Verkehrsminister Andreas Scheuer (beide
CSU).
## Erste Schritte in Richtung Klimafokus sind getan
Ohne Zweifel hat das im Juni neu beschlossene Klimaschutzgesetz das
Umweltministerium gestärkt. Nun sind für die einzelnen Ressorts
verbindliche Ziele und sinkende Treibhausgas-Budgets vorgeschrieben. Aber
ein mächtiges Klimaschutzministerium wäre dennoch ein Fortschritt, das
Zuständigkeiten bündeln würde. Bei den Grünen kursieren seit Längerem
Ideen, wie das aussehen könnte.
Baerbock gab im Dezember 2018 in einem [4][taz-Interview] Einblicke in ihre
Vorstellungen. „Bisher steht das Umweltressort am Rand“, analysierte sie
damals. „Es muss zu einem Machtzentrum werden, zuständig auch für Energie.�…
Die für Energie zuständige Abteilung würde also aus dem
Wirtschaftsministerium herausgelöst und dem Umweltministerium zugeschlagen.
Denkbar wäre sogar, Landwirtschaft oder Bauen und Wohnen anzudocken,
weitere relevante Klimafaktoren. Am Ende könnte also ein Superministerium
für Klimaschutz, Energie und Umwelt entstehen.
Dass die Grünen die Idee nun hochziehen, hat noch eine andere Ebene,
nämlich eine taktische. Laschet und Scholz haben ja durchaus einen Punkt,
wenn sie argumentieren, dass Klimaschutz ins Kanzleramt gehört. Nur dort
wäre er als echtes Querschnittsthema verankert. Man kann den grünen Vorstoß
deshalb als zartes Signal verstehen, dass sie selbst nicht mehr recht daran
glauben, am Ende die Kanzlerin zu stellen. In Umfragen liegen sie zwischen
18 und 22 Prozent, deutlich hinter der Union. Mit einem grün geführten
Klimaschutzministerium wäre auch unter Armin Laschet sichergestellt, dass
das Thema nicht hinten runterfällt.
Robert Habeck hat sich in die Finanzpolitik eingearbeitet – und liebäugelt
offenbar damit, Nachfolger von Olaf Scholz zu werden. Annalena Baerbock
arbeitet inhaltlich seit Jahren zu Klimaschutz und Kohleausstieg. Das neue
Superministerium wäre wie für sie geschaffen. Vielleicht wird langsam
klarer, wie die grüne Arbeitsteilung in einem Kabinett aussähe.
7 Aug 2021
## LINKS
[1] /Neue-SPD-Kampagne/!5786699
[2] /Vorbereitungen-zur-Weltklimakonferenz/!5777449
[3] /Forderung-der-Justizministerinnen/!5779784
[4] /Annalena-Baerbock-ueber-Kanzlerinnenamt/!5734264/
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Annalena Baerbock
IG
Wahlkampf
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Klimawandel
GNS
Bündnis 90/Die Grünen
Bundesumweltministerium
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Frühsport
Volksinitiative
ÖPP
Christian Lindner
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
CO2-Emissionen
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nachruf auf Klaus Töpfer: Das grüne Gewissen der CDU
Klaus Töpfer sollte als Bundesumweltminister die Grünen kleinhalten – und
sorgte mit seiner unermüdlichen Art als Brückenbauer für echtes Umdenken.
Das Klima und der Wahlkampf: Weder Superman noch Peter Pan
Wohl noch nie auf dem Rad gesessen? Franziska Giffey und die SPD keilen in
Berlin gegen die Grünen. Im Bund will Olaf Scholz scheinbar mit ihnen.
Reform des Profifußballs: Schöne neue Welt
Es grünt so grün: Wie eine gemeinnützige GmbH den Fußballclubs in der
Bundesliga Nachhaltigkeit beibringen will.
Volksinitiative fordert mehr Klimaschutz: Klimaneutral in 14 Jahren
Eine neue Volksinitiative möchte das Hamburger Klimaschutzgesetz
verschärfen und fängt jetzt an, Unterschriften zu sammeln.
Erste teilprivatisierte Bundesstraße: Fakten schaffen vor der Wahl
Bald startet der Bau der ersten Bundesstraße, die als öffentlich-privates
Projekt angelegt ist. Die Grünen lehnen diese Art der Finanzierung ab.
Wahlkampfstrategie der FDP: Lindners vergiftetes Angebot
Ihr euer Klimaschutzministerium, ich die Finanzen? Die Grünen spotten über
eine Jamaika-Offerte von FDP-Chef Christian Lindner.
Lichtblick der Woche: Die Parteien im Klimacheck
Funktioniert ähnlich wie der „Wahl-O-Mat“, ist aber klimatechnisch einfach
besser eingestellt: der „Klimawahlcheck“.
Grüner Vorstoß für neues Ministerium: Zeit für ein Klima-Veto
Die Grünen wollen ein eigenes Klimaschutzministerium schaffen. Eine gute
Idee, denn das bisherige Umweltministerium ist zu schwach.
Ministerium für Digitales: Der Quatsch mit dem Querschnitt
Ein Ministerium für digitale Transformation muss her. Die Vorstellung, dass
beim Internet alle mitdenken, ist illusorisch.
Die Grünen im Abwärtstrend: Und jetzt?
Plagiate im Buch, ein geschönter Lebenslauf: Für Annalena Baerbock kommt es
dicke. Wie konnte das passieren? Und wie will die Partei da wieder
herausfinden?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.