| # taz.de -- Ende Gelände über Protest gegen Erdgas: „Zeitbombe für den Pla… | |
| > Klimaaktivist*innen zielen in diesem Jahr auf das geplante | |
| > LNG-Terminal in Brunsbüttel. Ein Gespräch über Strategien und | |
| > „Brückentechnologien“. | |
| Bild: Fridays for Future protestierte schon im Januar gegen LNG. Die Adressatin… | |
| taz: Frau Schröter, Herr Servat, warum zielt Ende Gelände in diesem Jahr | |
| auf Flüssiggas? | |
| Joli Schröter: Wir haben uns Brunsbüttel als Aktionsort ausgesucht, weil | |
| dort ein LNG-Terminal gebaut werden soll, das mit kolonialen Verflechtungen | |
| einhergeht und keine saubere Lösung für die Energiewende in Deutschland | |
| sein kann. Da ist von einer „Brückentechnologie“ die Rede, die sich aber | |
| erst nach 40 oder 50 Jahren refinanziert. Da muss die Welt längst | |
| klimaneutral sein, deswegen ist das Humbug. | |
| Ziele für Klimaprotest gibt es viele, Sie hätten | |
| Massentourismus-Unternehmen, Fluggesellschaften oder Großproduzenten der | |
| industriellen Landwirtschaft wählen können. Warum ist jetzt der Moment für | |
| LNG? | |
| Esteban Servat: LNG ist die größte Klimalüge unserer Zeit. Die Emissionen | |
| von Gas sind ähnlich wie die von Kohle und schlimmer, wenn es Frackinggas | |
| ist. Gas besteht ja zum großen Teil aus [1][Methan, was ein viel | |
| schlimmeres Treibhausgas ist als CO2.]Auf eine Periode von 20 Jahren | |
| gerechnet, ist der Einfluss von Methan auf die Erderhitzung 87-mal | |
| schlimmer als der von CO2. Fracking ist verantwortlich für die Hälfte aller | |
| globalen Methanemissionen der letzten zehn Jahre. Es ist unverantwortlich, | |
| dass die deutsche und die europäischen Regierungen Gas als | |
| Brückentechnologie verkaufen. Es ist eine Brücke ins Nichts. | |
| Aber nicht das ganze Gas, das für LNG verwendet wird, kommt aus Fracking. | |
| Servat: Das stimmt, aber Fracking hat die LNG-Produktion revolutioniert. | |
| Die USA haben sich unter Trump das Ziel gesetzt, [2][den Weltmarkt mit | |
| amerikanischer Energie aus Fracking zu dominieren]. Biden hat das nicht | |
| verändert. Deutschland lässt sich zur Schachfigur der USA im geopolitischen | |
| Machtkampf mit Russland machen, in dem es um die Frage „Pipelines versus | |
| LNG-Terminals“ oder „Wer dominiert den Gashandel“ geht. | |
| Nur interessiert sich hierzulande kaum jemand für LNG. Bei der Kohle ist es | |
| einfacher, Protest zu mobilisieren. Im Rheinland verschwinden ganze Dörfer | |
| zugunsten der Kohlegruben. Ist das Thema LNG überhaupt vermittelbar? | |
| Schröter: In diesem Jahr läuft das [3][Frackingverbot, das Fracking ohnehin | |
| nicht komplett verbietet,] in Deutschland aus. Falls der Bundestag kein | |
| neues Verbot erlässt, wird es für viele wieder ein Thema sein, das nicht | |
| mehr in Übersee oder in Russland spielt, sondern vor der Haustür. Deshalb | |
| ist es jetzt wichtig, es ins Bewusstsein der Menschen und auf die Agenda | |
| der Bundesregierung zu setzen. | |
| Servat: Deutschland ist Europas größter Gasimporteur und Europa der größte | |
| Gasimporteur der Welt. Die Auswirkungen der hier verursachten Emissionen | |
| auf die restliche Welt sind riesig. Der Grund, warum Ende Gelände diesen | |
| Kampf gewählt hat, obwohl es die lokale Ebene nicht gleichermaßen betrifft | |
| wie die Kohleindustrie, ist, dass wir einen internationalen Blick auf die | |
| Klimakrise brauchen. In Argentinien, Kolumbien und anderen Ländern werden | |
| Klimaaktivist*innen oft verfolgt und zum Schweigen gebracht. Aber | |
| ohne den globalen Blick können wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht | |
| gewinnen. | |
| Wie wichtig ist LNG für die EU? | |
| Servat: Die EU investiert Billionen öffentlicher Gelder, der Bau von | |
| LNG-Terminals boomt. In einem ein Jahr alten EU-Papier wird der Wert von | |
| LNG für Europas Zukunft beschworen. Seit dem Treffen von Donald Trump und | |
| Jean-Claude Junker 2019 hat der LNG-Import stark zugenommen. Sie wollen es | |
| zum zentralen Faktor der Energieversorgung ausbauen. | |
| Nun sind die Alternativen ja auch nicht attraktiver. Warum protestieren Sie | |
| nicht gegen Nord Stream 2? | |
| Schröter: Bei jeglichem Transport von Erdgas entweicht immer Methan und | |
| gelangt in die Atmosphäre, und auch der Abbau ist ja schon problematisch. | |
| Aber beim geplanten Terminal in Brunsbüttel steht noch kein Stein. Wir | |
| haben uns entschieden, eine Katastrophe aufzuhalten, bevor sie gebaut wird | |
| und Milliarden Steuergelder reinfließen. | |
| Wenn da noch nichts ist, was wollen Sie dann blockieren? | |
| Den Chemcoastpark, wo viele Industriegiganten angesiedelt sind, die einen | |
| sehr hohen Gasverbrauch haben und stark zur Verschärfung der Krise | |
| beitragen. Außerdem die Baustelle für das Terminal, Zufahrtswege, es gibt | |
| genug Ziele. | |
| Bislang fahren Schiffe mit Schweröl und Marinediesel, die | |
| Feinstaubbelastung in Hafenstädten ist dadurch sehr hoch. LNG würde eine | |
| Verbesserung bedeuten. | |
| Schröter: Es geht nicht nur um die Auswirkungen in deutschen Küstenstädten. | |
| Das Risiko, eine Fehlgeburt zu haben, ist für Frauen in den Abbaugebieten | |
| 40 Prozent höher als im Durchschnitt, die Wahrscheinlichkeit einer | |
| Risikoschwangerschaft um 30 Prozent höher. Im globalisierten | |
| Wirtschaftssystem können wir nicht nur auf unseren eigenen Vorgarten | |
| gucken, sondern müssen Verantwortung dafür übernehmen, was unser Konsum für | |
| den Rest der Welt bedeutet. | |
| Servat: Vielleicht gibt es lokale Vorteile, aber global gesehen ist es eine | |
| Katastrophe. | |
| Wie sollten Schiffe denn betrieben werden? | |
| Servat: Zuerst müssen wir Kreuzfahrt- und Handelsschiffe reduzieren. | |
| [4][Wir brauchen Postwachstum], weniger globalen Handel. Schiffe müssen mit | |
| erneuerbaren Energien betrieben werden. | |
| Es wird noch Jahre dauern, bis wir genug Energie aus Erneuerbaren haben, um | |
| damit zu heizen, technische Geräte zu versorgen und Transportmittel | |
| anzutreiben. | |
| Servat: Die Schifffahrt ist nur eine Komponente dieser Industrie. Der | |
| Elefant im Raum ist der europäische Gasverbrauch. LNG und Fracking sind ein | |
| großer Faktor im Boom der Plastikindustrie, die Ethan als Rohstoff nutzt. | |
| Ethan ist ein Bestandteil von Erdgas und ist, seit es Fracking gibt, viel | |
| billiger und leichter verfügbar geworden, weshalb die weltweite | |
| Plastikindustrie boomt. Während Strohhalme und Plastiktüten verboten | |
| werden, handeln Regierungen und Industrien völlig konträr, indem sie die | |
| Gasproduktion ausweiten. | |
| Schröter: In Brunsbüttel sitzt zum Beispiel auch der norwegische | |
| Düngemittelproduzent Yara, der größte Europas. Yara nutzt Gas, um Ammoniak | |
| herzustellen, womit weltweit Böden vergiftet werden. Schifffahrt ist nicht | |
| das einzige Problem. Außerdem können wir nicht einfach abwarten. Wir wissen | |
| seit Jahrzehnten um den Bedarf an Erneuerbaren. Während der Pandemie haben | |
| wir gesehen, wie schnell Produktionen umgestellt werden können. | |
| Was wäre eine gute Brückentechnologie, bis der Ausbau der Erneuerbaren | |
| soweit ist? | |
| Schröter: In erster Linie muss die Subventionierung von Erneuerbaren | |
| gesteigert und die von Fossilen gestoppt werden. Es muss auch Geld in | |
| weitere Forschung gesteckt werden, wie zum Beispiel die Gewinnung von | |
| Wasserstoff aus grünem Strom. So wie Armin Laschet Klimapolitik macht, | |
| funktioniert natürlich keine Energiewende. Wir müssen umdenken und | |
| Windkraftanlagen nicht als Zerstörung der Ästhetik der Natur sehen. | |
| Heißt die Hoffnung Wasserstoff? | |
| Servat: Das ist auch eine große Lüge. 90 Prozent des „blauen Wasserstoffs�… | |
| der in der EU hergestellt wird, kommt aus fossilem Gas. Die Erzählung der | |
| mächtigen Lobby, die Gas als Teil der Transition in die grüne Zukunft | |
| verkauft, ist Greenwashing. | |
| Was können Sie über die Aktion in Brunsbüttel verraten? | |
| Schröter: Ein Teil wird im Chemcoastpark stattfinden, ein Teil in Hamburg. | |
| Am Donnerstagabend gibt es in Hamburg eine Podiumsdiskussion mit Infos zur | |
| Aktion. Am Freitag findet eine große Demo in Brunsbüttel statt, der 30. | |
| Juli ist internationaler Climate Action Day. Da wird es auch Aktionen in | |
| Argentinien, Kolumbien und an anderen Orten der Welt geben, auch Extinction | |
| Rebellion und Fridays for Future sind dabei. Die Aktion in Hamburg wird | |
| thematisch eine antikolonialistische Ausrichtung haben. Darüber hinaus wird | |
| sich die Situation immer an die aktuelle Pandemielage anpassen. Wir haben | |
| natürlich ein Coronaschutzkonzept, aber es soll auch wieder ein zentrales | |
| Camp geben. | |
| Herr Servat, warum haben Sie eigentlich den weiten Weg auf sich genommen, | |
| um hier zu protestieren statt im argentinischen Mendoza? | |
| Ich musste aus Argentinien fliehen, weil ich mich gegen die Gasindustrie | |
| gewehrt habe. Bei Mendoza, wo ich gelebt habe, ist das weltweit zweitgrößte | |
| Schieferabbaugebiet und das viertgrößte Schieferölgebiet, „Vaca Muerta“. | |
| Die Konzerne, die dort die Natur ausbeuten, sind multinationale, darunter | |
| viele europäische wie Wintershall, Total, BP, Equinor. Ich bin Biologe und | |
| zog vor einigen Jahren aufs Land. Als Fracking in die Region kam, musste | |
| ich mich widersetzen. | |
| Warum mussten Sie fliehen? | |
| Sich gegen die Frackingunternehmen in Mendoza zu stellen, ist wie sich | |
| gegen die Mafia zu stellen. Die kommunale Regierung fungiert im Dienste der | |
| Energieunternehmen. Ich habe zusammen mit anderen Aktivist*innen die | |
| Plattform Ecoleaks, in Anlehnung an Wikileaks, gegründet, um Studien über | |
| die durch Fracking verursachten Schäden öffentlich zugänglich zu machen, | |
| die die Regierung zu verstecken versuchte. Daraus ist eine große Bewegung | |
| entstanden. Als der Repressionsdruck zu groß und mir mit dem Tod gedroht | |
| wurde, kam ich nach Europa. | |
| Sie sind also Klimaflüchtling. | |
| Könnte man sagen. Ich habe allerdings das Glück, einen italienischen Pass | |
| zu haben und dem Asylsystem nicht ausgeliefert zu sein. Was mich sehr | |
| aufregt an der europäischen Politik, ist die Heuchelei, das Pariser | |
| Klimaabkommen zu unterzeichnen – und dann so eine Politik zu machen. Mit | |
| Vaca Muerta kann es kein Klimaabkommen geben. Ein ähnliches Projekt droht | |
| in Namibia und Botswana, wo das kanadische Öl- und Gasunternehmen | |
| ReconAfrica das Okavangodelta bedroht. Mit diesen beiden Projekten kannst | |
| du ein Drittel des weltweiten verbliebenen CO2-Budgets abschreiben. Es sind | |
| Zeitbomben für den Planeten. | |
| 28 Jul 2021 | |
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| Katharina Schipkowski | |
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