# taz.de -- Energieexpertin Kemfert zu Nord Stream 2: „Pipeline setzt Geld in… | |
> Erdgas und Klimaziele? Passt nicht zusammen. Deshalb ist klar, dass Nord | |
> Stream 2 nicht rentabel sein kann, meint Energieexpertin Claudia Kemfert. | |
Bild: Unrentabel und schlecht für das Klima, findet auch Fridays for Future �… | |
taz: Frau Kemfert, die Grünen und große Teile der Klimabewegung fordern | |
einen Baustopp für Nord Stream 2, obwohl die Pipeline fast fertig ist. | |
Würde es dann nicht Schadenersatzforderungen regnen? | |
Claudia Kemfert: Gefordert wird viel, aber die Berechtigung ist sehr | |
fraglich. [1][Von Anfang an war Nord Stream 2 ein Hochrisiko-Investment]. | |
Alle beteiligten Unternehmen wussten, dass diese wahnsinnig kostspielige | |
Pipeline nur schwer rentabel sein wird, selbst wenn sie in Betrieb geht. | |
Die Nord Stream 2 AG gehört mehrheitlich dem russischen Staatskonzern | |
Gazprom, aber auch dem britisch-niederländischen Konzern Shell, Wintershall | |
Dea und Uniper aus Deutschland, Engie aus Frankreich und OMV aus | |
Österreich. | |
All diese Unternehmen dürften unsere Studien kennen, die seit mehr als zehn | |
Jahren sehr deutlich nahelegen, dass der europäische Gasbedarf zurückgehen | |
wird – mal ganz abgesehen davon, dass [2][seit mehreren Jahrzehnten | |
allgemein bekannt ist, dass die fossile Energiegewinnung wegen des | |
Klimawandels ein Auslaufmodell] sein muss. Schon 2008 habe ich in meinem | |
Buch ein ganzes Kapitel lang dargelegt, warum auch fossiles Erdgas | |
dazugehört. Wieso sollten deutsche Steuerzahler:innen also für | |
schlechtes Unternehmertum aufkommen? | |
Im Jahr 2019 hat Erdgas fast ein Viertel des deutschen | |
Primärenergieverbrauchs ausgemacht. Anders als bei der Kohle gibt es noch | |
keinen politisch gesetzten Ausstiegspfad. Wie viel Gas brauchen wir noch? | |
Vorausgesetzt, dass Deutschland tatsächlich vorhat, seine | |
Klimaschutzversprechen einzulösen: Im deutschen Klimaschutzplan 2050 von | |
2016 steht, dass die CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte um 80 bis 95 | |
Prozent sinken sollen. Dazu, wie die künftige Energieversorgung dann | |
aussehen kann, gibt es zahlreiche Szenarien. In allen verliert Erdgas als | |
fossiles Produkt an Bedeutung und verschwindet bis spätestens 2040, | |
allerspätestens 2050 ganz aus dem Energiemix. Nun hat man die | |
Emissionsminderungsziele nochmals verschärft. | |
Mit dem Klimaschutzgesetz hat Deutschland 2019 versprochen, bis 2050 | |
klimaneutral zu werden. Das ist nun auch vereinbarter EU-Standard. | |
Genau. Und das bedeutet, dass der deutsche Gasausstieg parallel zum | |
Kohleausstieg stattfinden muss. 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk vom | |
Netz gehen. Und etwa bis dahin müssen wir auch aus fossilem Erdgas | |
aussteigen. Sonst verletzen wir die Vereinbarungen. | |
Wie lange müsste Nord Stream 2 denn Gas transportieren, um sich zu rechnen? | |
Sehr lange! Sicher länger als bis 2040. Doch wie gesagt: Die Rentabilität | |
ist fraglich, selbst wenn die Pipeline mehrere Jahrzehnte im Einsatz sein | |
sollte. Noch mal: Die beteiligten Unternehmen haben wissentlich schlecht | |
investiert. Allerspätestens ab 2050 können und wollen wir kein fossiles Gas | |
mehr nutzen. Das ist schon lange klar. Vielleicht steigen wir sogar vorher | |
aus. So oder so wird die Nord Stream 2 AG entweder wahnsinnig viel Geld in | |
den Sand setzen oder wir alle zahlen die Zeche, sei es durch sehr hohe | |
Gaspreise, sei es in Form von – eigentlich unberechtigten – | |
Entschädigungszahlungen. | |
Wenn Europas Gasbedarf nicht über Nord Stream 2, sondern neben Nord Stream | |
1 weiter vor allem über die osteuropäischen Pipelines gedeckt werden soll, | |
müssten die vollsaniert werden. Auch das wären doch wieder neue | |
Investitionen? | |
Ja. Doch erstens reden wir hier nicht über Pipeline-Ruinen, sondern über | |
ein aktuell funktionsfähiges Rohrsystem. Auch wenn das laufend gewartet und | |
irgendwann saniert werden muss, kommt das bei Weitem nicht an die Kosten | |
von Nord Stream 2 heran. Und zweitens beziehen die Transitländer weiterhin | |
Gas über diese Pipelines. Die Leitungen müssen also sowieso instand | |
gehalten werden. | |
Gegen Nord Stream 2 sind auch die USA, die ihr Flüssiggas nach Europa | |
liefern wollen. Um sie von Sanktionen abzubringen, [3][hat Finanzminister | |
Olaf Scholz (SPD) angeboten, Subventionen für ein deutsches Gasterminal um | |
eine Milliarde Euro zu erhöhen]. Brauchen wir das für unseren Bedarf? | |
Definitiv nicht. Es gibt genug LNG-Terminals in Europa, die bislang nicht | |
mal ausgelastet sind. Die bestehende Infrastruktur reicht vollständig aus, | |
um unseren Gasbedarf zu decken. Der politische Kuhhandel von Scholz ist aus | |
energiewirtschaftlicher Sicht ein Desaster. Er befeuert die | |
Beharrungskräfte, die die Energiewende im schlimmsten Fall aufhalten und im | |
besten Fall unnötig teuer machen. | |
Scholz will Bundeskanzler werden, seine SPD im Wahlkampf mit Klimapolitik | |
punkten. Passt das mit der Erdgas-Fankultur zusammen? | |
Nein, das tut es nicht. Erdgas als Brückentechnologie zur Energiewende ist | |
eine hartnäckige, aber falsche Legende. Richtig ist: Gaskraftwerke | |
emittieren zwar weniger CO2 als Kohlekraftwerke, aber die Schornsteine | |
erzählen nur die halbe Wahrheit. Bei Erdgas verschlechtern auch Förderung | |
und Transport die Klimabilanz. Das Problem dabei heißt nicht Kohlendioxid, | |
sondern Methan. | |
Dieses Gas hat eine höhere Treibhausgaswirkung als Kohlendioxid. Es wird in | |
der Atmosphäre zwar auch schneller wieder abgebaut, aber selbst wenn man | |
das herausrechnet, ist der Effekt einer Tonne Methan auf das Klima 25-mal | |
stärker als der einer Tonne CO2. | |
Erdgas besteht im Grunde aus Methan. Bei der Förderung entweicht ein Teil | |
davon einfach in die Atmosphäre. Aber auch beim Transport gibt es | |
Methanaustritte, an den Pipelineventilen und durch Lecks. Dieser Effekt ist | |
lange unterschätzt worden, auch weil er schwer zu messen ist. An den | |
Ventilen werden schon viele Jahre lang Messungen durchgeführt, so ein Leck | |
muss man aber erst mal aufspüren. | |
2018 haben US-Forscher:innen herausgefunden, dass der Methanausstoß der | |
Öl- und Gasindustrie in den USA um 60 Prozent höher ist als gedacht. | |
Wie viel Methan austritt, hängt unter anderem von der Fördermethode und vom | |
Transportweg ab. Die vor allem in den USA verbreiteten Fracking-Bohrungen | |
zum Beispiel lassen besonders viel Gas entweichen. Und bei Erdgas aus | |
Russland kommt es allein durch den weiten Weg nach Deutschland zu etwa | |
zehnmal höheren Methanemissionen als bei Importen aus Norwegen und den | |
Niederlanden. Die Klimabilanz von Flüssiggas ist zusätzlich schlecht, weil | |
die Verflüssigung so viel Energie benötigt. In der Gesamtbetrachtung ist | |
Erdgas deshalb kaum besser fürs Klima als Kohle. | |
14 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.diw.de/de/diw_01.c.593458.de/publikationen/wochenberichte/2018_… | |
[2] /Energiewende-und-Erdgas/!5741619 | |
[3] /US-Sanktionen-wegen-Nord-Stream-2/!5751156 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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