# taz.de -- Experte über Digitalisierung und Klima: „Eine Effizienzmaschine�… | |
> Datenschutz ist Klimaschutz, sagt der Wissenschaftler Tilman Santarius. | |
> Warum und wie Digitalisierung und Ökologie zusammen gedacht werden | |
> müssen. | |
Bild: Unsichtbar, aber energieintensiv: Selbstfahrende Autos produzieren mehr D… | |
taz: Herr Santarius, was kann [1][die Digitalisierung] für die Umwelt tun? | |
Tilman Santarius: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Sie kann ihr Schaden | |
zufügen oder sie kann, wenn es politisch schlau gemacht wird, dazu | |
beitragen, dass wir die notwendigen Klimaziele besser erreichen. | |
Wie lässt es sich denn schlau machen? | |
Digitalisierung ist eine Effizienzmaschine. Das heißt: Wir können digitale | |
Prozesse mit weniger Input gestalten als die vergleichbaren analogen | |
Prozesse. Wir können zum Beispiel mit weniger Energieaufwand kommunizieren, | |
weil wir nicht mehr zur Konferenz fahren oder fliegen müssen, sondern das | |
per Videotelefonie erledigen. | |
Digitalisierung ermöglicht uns sogar ganz neue Verhaltensweisen: Eine so | |
breite Nutzung von Homeoffice zum Beispiel, wie das gerade in der Pandemie | |
der Fall ist, wäre vor 50 Jahren nicht möglich gewesen. Oder die ganzen | |
Möglichkeiten im Internet, Dinge zu verkaufen oder gebraucht zu kaufen und | |
so deren Lebenszyklen zu verlängern. Da blieb früher nur der Flohmarkt, mit | |
begrenztem Publikum. Oder Carsharing. All das erleichtert es, unser | |
Verhalten ressourcensparender zu machen. | |
Wären da nicht die Rebound-Effekte. Also: Mehr Videokonferenzen oder mehr | |
Konsum durch das gesparte Geld. Was machen wir dagegen? | |
Das ist eine wichtige Frage. Nicht nur in Bezug auf Geld, wir sparen dank | |
Digitalisierung ja auch Zeit – und was machen wir damit? Deshalb ist es | |
wichtig, Digitalisierung so einzurahmen, dass wir insgesamt mit weniger gut | |
auskommen. Dafür brauchen wir zum Beispiel eine starke ökologische | |
Steuerreform. | |
Dann werden die Menschen ihr gespartes Geld und ihre gesparte Zeit nicht | |
für energieintensive Dinge ausgeben. Sondern vielleicht für einen | |
Nachmittag am See, einen Theaterbesuch oder einen Sprachkurs. Die digitalen | |
Rebounds entstehen, weil wir in einem kapitalistischen System leben, das | |
auf Expansion und Wachstum ausgelegt ist. Daher müssen wir die | |
Digitalisierung auch so gestalten, dass sie zum Übergang in eine | |
Postwachstumsökonomie beiträgt. | |
Kürzlich gab es eine große politische Debatte über nur leicht steigende | |
Benzinpreise. | |
Es gibt jede Menge Studien, die zeigen, dass man [2][mit einer ökologischen | |
Steuerreform], die Geld gezielt an die Haushalte zurückverteilt, sämtliche | |
Argumente der Kritiker:innen ausräumen kann. Sie würde nicht die | |
Portemonnaies der Ärmeren angreifen, ja nicht einmal das Wachstum an sich – | |
auch wenn ich bei Letzterem gar nichts dagegen hätte. | |
Einer der ganz großen CO2-Verursacher ist der Verkehrssektor. Was kann die | |
Digitalisierung hier tun, jenseits einer Videokonferenz? | |
Ich setze große Hoffnung in die Vernetzung der Verkehrsträger. Damit meine | |
ich nicht selbstfahrende Autos, sondern eine Vernetzung zwischen | |
öffentlichem Nahverkehr und Sharing-Angeboten für Fahrräder und | |
Fahrgemeinschaften. Wenn das alles einfacher wird, auf einen Klick komplett | |
buchbar, gewinnt das an Attraktivität. | |
Die entschlossenen Autofahrer:innen wird das nicht überzeugen. | |
Nein, das Auto ist den Deutschen immer noch heilig. Aber es wird einfacher, | |
Maßnahmen einzuführen, die das Auto unattraktiv machen. Den Shitstorm, den | |
wir jetzt bei der Benzinpreis-Debatte gesehen haben, müssen wir entkräften. | |
Warum werden selbstfahrende Autos nicht helfen? | |
Weil es immer noch Autos sind und damit immer noch extrem energieintensiv, | |
schon in der Herstellung. Dazu kommt das datengetriebene Geschäftsmodell | |
dahinter. Ich hatte das mal ausgerechnet: 1,5 Millionen selbstfahrende | |
Autos würden so viele Daten generieren, wie heute die gesamte | |
Weltbevölkerung, die online ist. Vielleicht kann es eine Rolle spielen in | |
Nischen und ländlichen Regionen, aber nicht in Städten. | |
Sie sagen, [3][Datenschutz sei Klimaschutz]. Was heißt das in der | |
Konsequenz? | |
An den datengetriebenen Geschäftsmodellen der großen Tech-Konzerne werden | |
meistens Datenschutz und Machtasymmetrien kritisiert. Dabei gibt es ein | |
weiteres großes Problem: Diese Geschäftsmodelle, die auf Basis von | |
Datensammeln Werbung effektiver machen, animieren zu mehr Konsum mit den | |
entsprechenden ökologischen Folgen. Wir brauchen nicht nur strikteren | |
Datenschutz für die großen Tech-Plattformen, sondern auch Standards und | |
Labels für schlankes Programmieren, bei dem daten- und energiesparsame | |
Software entsteht. | |
Dann wird es allerdings für Nutzer:innen noch komplizierter. Wenn die | |
etwa ein Smartphone kaufen, müssten sie auch noch darauf achten, dass der | |
Anbieter das Betriebssystem energieffizient programmiert hat? | |
Im Moment haben wir als Konsument:innen praktisch gar keine | |
Informationen darüber. Wer weiß schon, dass der Browser Chrome, also der | |
von Google, im Betrieb mehr Energie verbraucht als der Browser Firefox? Wir | |
brauchen hier nicht nur mehr Forschung, sondern auch viel mehr | |
Kommunikation. Sinnvoll wäre es, wenn die Softwareentwickler:innen | |
erst mal selbst Standards entwickeln. Da kann die Politik dann draufsatteln | |
und neben Software-Labels auch verbindliche Verbrauch-Standards festlegen. | |
Was ist mit Suchmaschinen? Besser als Google ist datenschutzmäßig etwa | |
Startpage, das die Anfragen anonymisiert an Google weiterschickt. Ist das | |
schlecht in Sachen Energieverbrauch? | |
Spannende Frage, das habe ich noch nicht untersucht. Aber ich bezweifle es. | |
Wenn ich direkt über Google suche, laufen auf mehreren Servern weltweit | |
Berechnungen meiner Anfrage im Hintergrund, noch während ich tippe. Ich | |
muss das Wort gar nicht erst fertig tippen, da hat Google schon die | |
Suchergebnisse zu allen möglichen Varianten. Bei Startpage passiert das | |
wohl nicht. Das dauert vielleicht rund eine hundertstel Sekunde länger, bis | |
die Antwort kommt, das merkt aber keiner. Übrigens: Nicht nur der Betrieb, | |
auch die Herstellung von Geräten benötigt viel Energie. | |
Was macht das aus, auf den Lebenszyklus gerechnet? | |
Gemessen an einer durchschnittlichen Lebensdauer zum Beispiel des iPhone 8 | |
macht die Herstellung etwa 80 Prozent des gesamten Energiebedarfs aus. Auch | |
weil rund 3 Milliarden Menschen weltweit noch gar keinen Zugang zum | |
Internet haben, müssen wir aus Gründen der Umweltgerechtigkeit daher dahin | |
kommen: Eine Person, ein Gerät. Zwei Smartphones und zwei Laptops pro | |
Person – dienstlich und privat – sowie vielleicht noch PC, Tablet und | |
Wearables sind nicht für die gesamte Weltbevölkerung realisierbar. Daher | |
brauchen wir nicht nur digitale Suffizienz, sondern auch neue Möglichkeiten | |
für die private Nutzung von dienstlichen Geräten. | |
Der Trend geht gerade in die gegenteilige Richtung: Von Kaffeemaschine bis | |
Zahnbürste bekommt alles einen Chip und eine WLAN-Anbindung. | |
Ja, das ist, neben dem Rebound-Effekt, das zweite Problem: der | |
Induktionseffekt. Die Digitalisierung der Lebenswelt eröffnet uns ständig | |
neue Optionen. Zum Beispiel das Smart Home. Es wäre wünschenswert, wenn | |
mehr Haushalte eine automatische Heizungssteuerung hätten, damit kann man | |
nämlich Energie sparen. Aber wir haben herausgefunden, dass in Deutschland | |
ein Smart Home im Schnitt mit 12 vernetzten Geräten ausgestattet ist. Auf | |
der Makroebene zeigt sich das bei der Smart City: Wenn man die | |
Infrastruktur in Städten vernetzt, brauchen wir ständig neue Dinge und | |
Plattformen und Geräte. Das sollten wir verhindern. | |
Und wie? | |
Hier kommt es auf Innovationsgestaltung an, aber auch auf gesellschaftliche | |
Debatten entlang der Frage: Welche Vernetzung wollen wir? Smarte | |
Heizungssteuerung? Super. Vernetzte Zahnbürste, Kaffeemaschine, T-Shirt? | |
Brauchen wir wirklich nicht. Also Vernetzung nur da, wo es der | |
Nachhaltigkeit oder zumindest etwa der Gesundheit dient. | |
Im Herbst ist Bundestagswahl. Was ist das erste wichtige Thema, das die | |
neue Bundesregierung in Sachen Digitalisierung und Ökologie angehen muss? | |
Wir brauchen dringend eine Design-Richtlinie für Geräte aus dem Bereich | |
Informations- und Kommunikationstechnologie. Die also vom Smartphone bis | |
zum Rechenzentrum verbindliche Standards setzt zu Energieverbrauch, | |
Lebensdauer, Recycelbarkeit und so weiter. Zum Beispiel brauchen wir ein | |
Recht auf Reparatur auf EU-Ebene. Da muss die Bundesregierung vorlegen. | |
11 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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