# taz.de -- Slapp–Klagen in der EU: Klagen als Schikane | |
> Journalist:innen und Aktivist:innen werden durch juristische | |
> Manöver eingeschüchtert. Das EU-Parlament und die EU-Kommission wollen | |
> handeln. | |
Bild: Agrarwissenschaftler Karl Bär ist angeklagt, wegen seiner Kritik am Pest… | |
Die EU will rechtsmissbräuchliche Klagen gegen Journalist:innen und | |
NGOs verhindern. Die Justiz soll nicht [1][zur Einschüchterung von Medien | |
und Zivilgesellschaft missbraucht werden.] Die EU-Kommission hat | |
entsprechende Vorschläge angekündigt. Das Europäische Parlament drängt. Es | |
geht gegen sogenannte Slapp-Klagen. „Slapp“ steht für Strategic Lawsuits | |
Against Public Participation (Strategische Klagen gegen öffentliche | |
Beteiligung). Und natürlich soll die Abkürzung an das englische Wort „slap�… | |
für Ohrfeige erinnern. | |
Slapp-Klagen sind Klagen, die tendenziell aussichtslos sind und vor allem | |
zum Ziel haben, die verklagten Journalist:innen und NGOs | |
einzuschüchtern und an ihrer eigentlichen Arbeit zu hindern. Meist wird | |
der Vorwurf der Verleumdung erhoben, der zu Strafverfahren führen kann. | |
Häufiger geht es aber um zivilrechtliche Schadensersatzforderungen. | |
Das in Deutschland bekannteste Slapp-Verfahren betrifft Karl Bär vom | |
Umweltinstitut München. Er steht in Bozen vor Gericht, weil er den | |
Pestizideinsatz auf den Südtiroler Apfelmonokulturen kritisierte. Der | |
Südtiroler Agrar-Landesrat Arnold Schuler stellte einen Strafantrag wegen | |
übler Nachrede, ebenso fast 1.400 Südtiroler Bäuer:innen. Das | |
Umweltinstitut wertet dies als Einschüchterungsversuch und hat sich dem | |
[2][Europäischen Bündnis gegen Slapp-Klagen] (CASE, Coalition Against | |
Slapps in Europe) angeschlossen. | |
Der politische Druck zeigt bereits Wirkung. Im Europäischen Parlament | |
bereiten der deutsche [3][Sozialdemokrat Tiemo Wölken und die maltesische | |
Christdemokratin Roberta Metsola einen Bericht gegen Slapp-Klagen] vor. Bei | |
einer ersten Diskussion in den Ausschüssen zeichnete sich am 1. Juli eine | |
breite Mehrheit ab. Die Abgeordneten schlagen einen EU-Rechtsakt gegen | |
Slapps vor. Danach soll der Kläger bei Zivilverfahren mit Bezug zur | |
öffentlichen Partizipation beweisen, dass die Klage nicht missbräuchlich | |
ist. Gerichte sollen verpflichtet werden, missbräuchliche Klagen generell | |
abzuweisen. Wer missbräuchlich verklagt wird, soll Anspruch auf | |
Schadenersatz haben. Strafrechtlich soll die Verfolgung wegen Verleumdung | |
in Slapp-Konstellationen ausgeschlossen werden. | |
## Der Anti-Slapp-Bericht | |
Auch praktische Hilfe soll künftig EU-weit vorhanden sein, schlagen Wölken | |
und Metsola vor. Die juristische Hilfe für verklagte Journalist:innen | |
und NGOs soll aus einem EU-Fonds bezahlt werden. Unabhängige Stellen wie | |
Ombudspersonen sollen Betroffenen zur Seite stehen. Richter:innen sollen | |
geschult werden, um Slapps zu erkennen. | |
Der Anti-Slapp-Bericht von Wölken und Metsola soll in den Ausschüssen des | |
Europäischen Parlaments im September beschlossen werden und im Oktober im | |
Plenum. Doch die EU-Kommission, die hier zur Initiative aufgefordert wird, | |
ist schon weitgehend überzeugt. Sie hat bereits versprochen, dass sie noch | |
dieses Jahr Vorschläge vorlegen wird. Sie hat Studien in Auftrag gegeben, | |
die die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten untersuchen, und einen | |
Expertenrat eingerichtet. Věra Jourová, die zuständige Vizepräsidentin, | |
sagte im Mai, offen sei nur noch, ob die Kommission einen Rechtsakt | |
vorschlägt oder es bei Unterstützungsleistungen wie der Finanzierung von | |
Anwält:innen belässt. | |
Gegen einen EU-Akt spricht, dass er vermutlich nur einen sehr beschränkten | |
Anwendungsbereich haben würde. Wölken und Metsola schlagen vor, die | |
Anti-Slapp-Richtlinie auf Fälle mit länderübergreifender Bedeutung zu | |
beschränken, wie etwa den Südtiroler Prozess gegen das Umweltinstitut | |
München. | |
Da die EU keine generelle Kompetenz für die Gestaltung von | |
Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten hat, dürfte diese Einschränkung | |
wohl zwingend sein. Die EU könnte dann nur darauf hoffen, dass die | |
EU-Staaten für Fälle rein nationaler Bedeutung eigene Gesetze beschließen. | |
Bisher hat kein EU-Staat ein Anti-Slapp-Gesetz. Teile der USA, Kanada und | |
Australien haben solche Gesetze hingegen schon. | |
In der Praxis dürfte die schwierigste Frage sein, wann ein Missbrauch der | |
Justiz vorliegt. Schließlich ist der freie Zugang zu den Gerichten | |
verfassungsrechtlich genauso geschützt wie die Meinungs- und die | |
Pressefreiheit. Im Europäischen Parlament hatte bisher nur der bulgarische | |
Konservative Angel Dschambaski Zweifel an einem weiten Anwendungsbereich: | |
„Gruppen, die sich von Russland oder China finanzieren lassen und nur Lügen | |
verbreiten, sollten von der EU nicht geschützt werden.“ | |
13 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Journalisten-klagen-gegen-BND-Gesetz/!5479702 | |
[2] https://www.europarl.europa.eu/germany/de/presse-veranstaltungen/11052021-a… | |
[3] https://www.mbei.nrw/sites/default/files/asset/document/20210517_slapp-klag… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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