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# taz.de -- EU geht gegen Einschüchterungsklagen vor: Es hagelt Ohrfeigen
> SLAPP-Klagen bringen unliebsame AktivistInnen und JournalistInnen zum
> Schweigen. Eine EU-Direktive soll das ändern, doch sie geht nicht weit
> genug.
Bild: Im Zweifel: einfach klagen!
Es sei beängstigend gewesen, als die erste Abmahnung der Jungen Alternative
(JA), der Jugendorganisation der AfD, ankam. [1][Maurice Conrad] (ist auch
als [2][Kolumnist*in für taz] tätig, Anm. d. Red.) fühlte sich machtlos
und gedemütigt. Conrad ist Aktivist*in, Mitglied des Mainzer Stadtrats und
der AfD wohl ein Dorn im Auge. „Sie wollten 1.000 Euro von mir und dass ich
eine Unterlassungserklärung unterschreibe. Das hat mich ziemlich
eingeschüchtert.“
Auslöser für die Abmahnung war ein Tweet, in dem sich Maurice zu einem
Treffen der JA in Sachsen äußerte, bei dem offen über die Errichtung von
Lagern für JüdInnen und MigrantInnen geredet wurde. „Sie haben diese
Äußerungen gar nicht bestritten. Es ist eine Medienstrategie der neuen
Rechten, stattdessen gegen Nebenschauplätze juristisch vorzugehen.“ Der
Nebenschauplatz in diesem Fall: Conrad schrieb im Tweet von Mitgliedern der
JA. Diese vertritt jedoch die Meinung, dass es sich nur um TeilnehmerInnen
des Treffens handelte, die diese Äußerungen tätigten, und nicht um ihre
Mitglieder.
Vorgehen wie diese werden [3][SLAPPs (Strategic lawsuit against public
participation)] genannt, „Strategische Klage gegen öffentliche
Beteiligung“. Diese juristischen Ohrfeigen sollen einschüchtern, damit sich
kritische Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen. Betroffen sind
davon nicht nur politische AktivistInnen wie Conrad, sondern auch
JournalistInnen und WissenschaftlerInnen.
## Emotionaler und zeitlicher Stress
„Das Hauptziel ist es, dem Beklagten finanzielle, emotionale und zeitliche
Kosten aufzubürden und ihn so davon abzuhalten, weiter über dieses Thema
öffentlich zu sprechen. Ob er gewinnt oder verliert, ist dem Kläger dabei
eigentlich egal“, sagt der Medienwissenschaftler Uwe Krüger. Unter seiner
Leitung publizierte die Universität Leipzig kürzlich eine Studie zu
SLAPP-Klagen. Anhand des Beispiels der früheren Adelsfamilie der
Hohenzollern untersuchte sein Team, wie Einschüchterungsklagen wirken.
Die Familie verschickte laut einem Interview mit Georg Friedrich Prinz von
Preußen in der Welt bereits 120 Klagen und Abmahnungen gegen Redaktionen
und HistorikerInnen, unter anderem um gegen Darstellungen über das
Verhältnis des damaligen Kronprinzen zum Nationalsozialismus vorzugehen.
Trotzdem fanden sich nur zehn Personen, die sich zu einer Teilnahme an der
Studie bereiterklärten. Laut Medienwissenschaftler Krüger ein Indiz dafür,
dass SLAPPs wirken. „Es zeigt, dass man das Thema gerne ganz aus seinem
Leben raushaben möchte oder nicht riskieren möchte, noch mal verklagt zu
werden“, sagt er.
Dass Einschüchterungsklagen ein immer größeres Problem für „Public
Watchdogs“ darstellen, ist auch in Brüssel angekommen. Neue EU-Richtlinien
sollen JournalistInnen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen besser vor
SLAPPs schützen. Zentral dabei ist, dass die beklagten Parteien künftig die
Möglichkeit haben, das Verfahren vorzeitig einstellen zu lassen. Wird eine
Abweisung der Klage beantragt, kommt es zu einer sogenannten Beweisumkehr.
Heißt: Der Kläger muss beweisen, dass es sich nicht um eine unbegründete
Klage handelt. Außerdem soll den Opfern von SLAPPs mehr finanzielle Hilfe
geboten werden.
Uwe Krüger begrüßt diese EU-Direktive, sieht sie jedoch auch nicht
unkritisch: „Sie bezieht sich nur auf Zivilsachen mit grenzüberschreitendem
Bezug. Eine Klage muss also mit mehreren EU-Ländern zu tun haben. Die
Hohenzollern-Geschichte zum Beispiel würde davon überhaupt nicht berührt
werden.“ Die NGO „Coalition against SLAPPs in Europe“ (CASE) dokumentiert
SLAPPs seit 2010 und sieht fast jedes Jahr einen Anstieg an Fällen – 135 im
Jahr 2021, ein Jahr später bereits 161. Dabei würde die EU-Direktive nur
bei etwa 10 Prozent der von CASE gesammelten Fälle greifen, so Uwe Krüger.
## Es braucht mehr Solidarität untereinander
Was gegen SLAPPs helfen kann, ist, sich untereinander zu solidarisieren. Im
Falle der Hohenzollern-Klagen sahen einige Teilnehmer der Studie der
Universität Leipzig eher einen Imageverlust der Familie als eine
Einschränkung der Berichterstattung, nachdem Satiriker Jan Böhmermann das
Thema öffentlich thematisierte.
Uwe Krüger dazu: „Wichtig ist eine wache Zivilgesellschaft, die aufpasst.
Das hat auch bei dem SLAPP des Immobilieninvestors United Capital gegen die
Leipziger Studierendenzeitung luhze geholfen.“ Im Dezember 2021 berichtete
luhze darüber, dass United Capital Wohnungen kaufe, um diese dann in
WG-Zimmer aufzuteilen und teuer weiterzuvermieten. Der Immobilienkonzern
sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und forderte von luhze,
den Artikel offline zu nehmen. Nachdem sich andere Medien mit der
Studierendenzeitung solidarisierten und darüber berichteten, zog der
Konzern die Klage kurz vor der Verhandlung zurück.
Was diese Solidarisierung angeht, ist die Medienbranche jedoch noch nicht
so weit. Krüger spricht von einem vorherrschenden „Einsamer-Wolf-Denken“.
„Viele sehen es als normal an, verklagt zu werden. Nach dem Motto: Gehört
zum Business, das macht mir nichts aus, ich bin ein harter Hund.“ Dabei ist
es wichtig, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Kleinere Medienhäuser und freie JournalistInnen können durch solche
Einschüchterungsklagen viel leichter an den Rand des Ruins gedrängt werden.
Es sei außerdem nicht klar, wie hoch die Dunkelziffer ist und wie viele
JournalistInnen, ForscherInnen, AktivistInnen oder KünstlerInnen unter
solchen Klagen leiden.
Auch Maurice Conrad will in Zukunft besser aufpassen. „Ich kann es mir
nicht leisten, alle zwei Wochen abgemahnt zu werden. Du kämpfst da gegen
Leute, denen es gar nicht darum geht zu gewinnen, sondern die einfach ganz
viel Druck aufbauen wollen.“
Letztendlich wird sich noch zeigen müssen, ob die neue EU-Direktive das
Zeug dazu hat, die Tendenz zu SLAPP-Klagen einzudämmen. Uwe Krüger sieht
die EU-Mitgliedstaaten in der Pflicht, die Richtlinien eins zu eins zu
übernehmen. Sie haben nach ihrem Inkrafttreten zwei Jahre Zeit, um sie in
nationales Recht umzusetzen.
12 Mar 2024
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## AUTOREN
Livio Koppe
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