# taz.de -- Angriffe gegen Journalist:innen: Schutzlos in Europa | |
> Nach den Angriffen auf Journalist:innen der vergangenen Woche stellt | |
> sich die Frage: Wie können sie besser geschützt werden? | |
Bild: „Beuge dich nicht“ steht auf Türkisch auf dem Plakat des Demonstrant… | |
Die vergangene Woche erschütterte die Medienwelt gleich zwei Mal: Anfang | |
der Woche war der profilierte Kriminalreporter Peter R. de Vries in | |
Amsterdam [1][auf offener Straße angeschossen] und lebensgefährlich | |
verletzt worden. An diesem Donnerstag ist er nun verstorben. Am Mittwoch | |
der vergangenen Woche wurde der im Berliner Exil lebende türkische | |
Journalist Erk Acarer, der auch für die [2][taz.gazete] tätig war, [3][im | |
Hinterhof seines Wohnhauses von drei Angreifern in Berlin-Neukölln | |
attackiert]. Acarer musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden. | |
Die mutmaßlichen Motive beider Anschläge haben verschiedene Kontexte und | |
Motivationen. Doch was sie eint, ist die sich verschärfende Bedrohungslage | |
für Journalist:innen mitten in Europa. | |
Eine Woche nach dem Angriff auf Acarer, hat Reporter ohne Grenzen (RSF) am | |
Mittwoch auf die Situation von insbesondere türkischen | |
Exiljournalist:innen in Deutschland aufmerksam gemacht. Zu Gast waren | |
Erk Acarer sowie der ebenfalls im Exil lebende Journalist und ehemalige | |
Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar. Im Zentrum [4][der Veranstaltung | |
„Journalisten besser schützen“] stand die Frage, ob sich | |
regierungskritische türkische Medienschaffende im Exil in Deutschland noch | |
sicher fühlen können. | |
Acarer fürchte nach dem Anschlag nicht nur um seine eigene Sicherheit und | |
die türkischstämmiger Journalisten, sondern auch um die anderer Exilanten | |
in ganz Europa. Er wisse von „Hinrichtungslisten“, sagte er. „Wenn die EU | |
und die Bundesregierung diesen Angriff nicht ernst nehmen, dann denke ich, | |
dass es noch gefährlichere Angriffe geben wird.“ Acarer forderte die | |
Bundesregierung auf zu handeln. Sie müsse „Erdoğan stoppen“. | |
## Exiljournalisten mit besonderer Bedeutung | |
Acarer kenne die Täter, hatte er vergangene Woche gesagt. [5][Gegenüber der | |
Welt sagte er außerdem]: „Das geht in Richtung türkische Regierung.“ Es | |
reiche deshalb nicht, nur die drei Täter in den Blick zu nehmen, sagte | |
Acarer bei der RSF-Veranstaltung. „Diese drei Täter gehören zu einer Kette | |
von Leuten, die verbunden sind mit der AKP-Regierung“. | |
Acarer berichtete zuletzt für die linke türkische Zeitung BirGün und den in | |
Köln gegründeten Exilsender Arti TV. In der Türkei hatte Acarer als | |
Investigativjournalist zu den Themen islamistischer Terror und | |
Fundamentalismus gearbeitet sowie über den Krieg in Syrien berichtet. Gegen | |
ihn laufen in der Türkei Strafverfahren, zudem sind offenbar Haftbefehle | |
anhängig. | |
Can Dündar, der seit 2016 im Berliner Exil lebt, misst den Exiljournalisten | |
eine besondere Bedeutung zu, da türkische Medien „immer mehr unter | |
Kontrolle der Erdoğan-Regierung“ stehen. Rund 90 Prozent der nationalen | |
Medien werden mittlerweile von der Regierung kontrolliert. „Unsere Stimmen | |
aus dem Exil werden in der Türkei weithin gehört – und deshalb sollte Erk | |
aufhören zu schreiben. Aber wir werden mehr schreiben, tiefer graben, | |
lauter sein“, sagte Dündar. | |
Auf die Frage, wie Exiljournalist:innen in Deutschland besser | |
geschützt werden könnten, antwortete Dündar, der Schutz durch Polizei oder | |
Bodyguards reiche nicht für alle Journalisten und Oppositionellen. Erdoğans | |
Armee sei zu groß. Die Bundesregierung müsse stattdessen ein klares Signal | |
an Erdoğan senden. Auch Acarer sieht die Bundesregierung in der | |
Verantwortung. Wenn die Form der Zusammenarbeit mit der Türkei so | |
weitergehe, würden die Angriffe auf Journalisten zunehmen. | |
Christian Mihr, RSF-Geschäftsführer, nannte den Angriff auf Acarer ein | |
Warnsignal für alle Journalisten. Wichtig sei, sich nicht an diese | |
Bedrohung zu gewöhnen. Außerdem sei wichtig, Exiljournalisten zu stärken, | |
aber gleichzeitig die verbliebenen Journalisten in der Türkei nicht zu | |
vergessen. | |
Mindestens 11 Journalist:innen sitzen dort laut RSF in direktem | |
Zusammenhang mit ihrer Arbeit derzeit im Gefängnis. Mehr als 3.400 wurden | |
in den vergangenen 4,5 Jahren von türkischen Medien entlassen. Auf der | |
Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 153 von 180. | |
15 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Journalist-in-den-Niederlanden-angeschossen/!5784375 | |
[2] https://gazete.taz.de/ | |
[3] /Attacke-auf-tuerkischen-Journalisten/!5780835 | |
[4] https://twitter.com/ReporterOG/status/1415249629218758663?s=20 | |
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article232367859/Erk-Acarer-wird-at… | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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