| # taz.de -- Medienexpertin zu Österreichs Presse: „Es sind strukturelle Prob… | |
| > Die eine Hand wäscht die andere, kritisiert Daniela Kraus die | |
| > Medienkultur in Österreich. Über mächtigen Boulevard und intransparente | |
| > Anzeigenvergabe. | |
| Bild: Die „Kronen Zeitung“ erreicht immer noch 25 Prozent der österreichis… | |
| taz am wochenende: Frau Kraus, Mitte Juni erschien ein Interview in der | |
| österreichischen Wochenzeitung Falter, in dem Thomas Schrems, ein | |
| ehemaliger Ressortleiter der Kronen Zeitung, von gegenseitigen | |
| Gefälligkeiten zwischen Boulevard und Regierung erzählt hat. Sebastian Kurz | |
| habe dieses „Spiel des Gebens und Nehmens bis zur Perversion | |
| perfektioniert“. Fanden Sie die Darstellung realistisch? | |
| Daniela Kraus: Ja, leider. Es gibt in Österreich tatsächlich ein paar | |
| strukturelle Probleme. Das ist etwas, das weit zurückreicht. | |
| Diese strukturellen Probleme werden aktuell unter dem Stichwort | |
| „Verhaberung“ diskutiert. Was bedeutet das? | |
| Dazu muss man wissen, was ein Haberer ist. Das ist ein guter Freund, | |
| jemand, auf den man sich verlassen kann, von dem man etwas haben kann und | |
| der von einem etwas haben kann. Manus manum lavat, also: Die eine Hand | |
| wäscht die andere. Diese Kultur ist in Österreich leider weiter verbreitet | |
| als anderswo. Das hat auch damit zu tun, dass sich hier vieles auf sehr | |
| kleinen Raum abspielt. Österreich ist ein kleines Land, sehr viel | |
| konzentriert sich in Wien, und jeder kennt jeden. | |
| Aber die Größe des Landes kann ja nicht der einzige Grund sein. | |
| Nein, natürlich nicht. Wir haben eine sehr hohe Medienkonzentration und | |
| eine sehr starke Dominanz der Kronen Zeitung, die ja historisch unfassbare | |
| Reichweiten gehabt hat und immer noch hat. Der Medienmarkt war auch im | |
| Fernsehsektor sehr lange nur vom Öffentlich-Rechtlichen geprägt, weil wir | |
| erst sehr spät ein duales Rundfunksystem eingeführt haben. Es gibt eine | |
| Struktur, die sehr verfestigt ist und die durch die Medienpolitik weiter | |
| einbetoniert wird. Für Neugründungen ist es extrem schwierig, sich auf | |
| diesem verfestigten Markt zu etablieren. Wenn man sich etwa die | |
| Inseratenpolitik oder die Förderungen anschaut, dann sieht man, dass keine | |
| neuen Publikationen unterstützt werden, sondern nur bestehende. Und je | |
| größer, reichweitenstärker und boulevardesker eine Zeitung, desto größer | |
| die Unterstützung. | |
| Können Sie ein konkretes Beispiel für die Verhaberung nennen? | |
| Man kann sehr viele freundliche Fotos vom Kanzler Sebastian Kurz mit | |
| Journalisten googeln, die nicht unbedingt den professionellen Kontext | |
| widerspiegeln. Man kann das Problem aber nicht auf den aktuellen Kanzler | |
| verkürzen. Es ist strukturell: Im Jahr 2020 hat die Regierung allein für | |
| Inserate in Tageszeitungen 33,5 Millionen Euro ausgegeben. Und wenn man | |
| Gemeinden und Tochterfirmen mitzählt, hat die öffentliche Hand rund 222 | |
| Millionen Euro für Werbung ausgegeben. Das ist eine wahnsinnige Summe. | |
| Die Regierung nutzt ihre Inseratenpolitik also als Druckmittel gegenüber | |
| Medien? | |
| Ja, aber man muss das auch in die andere Richtung sehen. Denn die Medien, | |
| und dezidiert der Boulevard, haben auch Druckmittel. Es ist eine | |
| Interdependenz. Die Boulevardmedien fahren zum Teil Kampagnen, die entweder | |
| Abstrafung dafür sind, dass sie nicht genug Werbung bekommen, oder eine | |
| Drohgeste, damit mehr kommt. Das Grundsatzproblem ist, dass die Inserate | |
| von allen Seiten als Medienförderung missverstanden werden. Dabei ist | |
| vollkommen intransparent, mit welchen Kommunikationszielen und nach welchen | |
| Kriterien Schaltpläne erstellt werden. Laut einer detaillierten Auswertung | |
| des Jahres 2020 durch die Forschungsgesellschaft Medienhaus Wien herrscht | |
| hier Willkür. Es wird nach Gutsherrenart Geld verteilt. Wir wissen alle, in | |
| welcher prekären ökonomischen Lage die Medien sind. Aber die für Medien | |
| notwendige Förderung muss durch ordentliche Kriterien definiert sein. | |
| Was wären das für Kriterien? | |
| Zum Beispiel Redaktionsstatute, Selbstregulierung, Mitgliedschaft im | |
| Presserat oder die Frage, wie oft ein Medium den Persönlichkeitsschutz | |
| verletzt und dafür gerügt wird. Und es geht auch um die Unabhängigkeit der | |
| Medien. Wenn ich der Regierung etwas empfehlen könnte, dann wäre es, | |
| entspannter zu sein im Umgang mit den Medien. | |
| Wie ist der Umgang gerade? | |
| Es gibt Interventionen des Bundeskanzleramts in Redaktionen. | |
| Da rufen Personen aus dem Kommunikationsteam des Kanzlers bei | |
| Chefredakteuren an? | |
| Genau so, und teilweise nicht nur bei den Chefredakteuren, sondern auch | |
| drunter und teilweise auch nicht nur aus dem Team. | |
| Minister und der Kanzler rufen selbst an? | |
| Ja. | |
| „Message Control“ ist ein weiterer Begriff, der im österreichischen Kontext | |
| immer wieder auftaucht. | |
| Den Journalisten, deren Anzahl in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren um | |
| ein Viertel gesunken ist, steht heute eine massive Kommunikationskraft | |
| gegenüber. Man kann sich in Deutschland kaum vorstellen, wie klein die | |
| österreichischen Redaktionen zum Teil sind. Gleichzeitig sind die | |
| Kommunikationsabteilungen in allen Bereichen stark gewachsen. | |
| Das betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft. Überall | |
| besteht das Bestreben, viel aktiver zu kommunizieren und viel stärker die | |
| Agenda zu setzen. Das ist nicht neu, aber es wird heute mit mehr Personal | |
| und mehr Nachdruck gemacht. Auch das Problem mit den Inseraten ist | |
| übrigens keine Erfindung der ÖVP unter Kurz. Das hat es auch unter dem | |
| SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann gegeben. Aber unter Kurz wird das alles | |
| systematischer, tougher, koordinierter und konsequenter durchgezogen. | |
| Wo sehen Sie in der Frage Pressefreiheit Unterschiede zwischen Österreich | |
| und Deutschland? | |
| Es gibt in Deutschland eine viel stärker ausdifferenzierte Medienlandschaft | |
| und mehrere relativ starke Qualitätsmedien. Das sind in Österreich wenige, | |
| und die haben eine geringe Auflage. Auch die Selbstthematisierung ist in | |
| Österreich schwierig, weil hier nur eine Handvoll Menschen | |
| Medienjournalismus macht. Das funktioniert in Deutschland besser. Und dann | |
| ist da in Österreich wie gesagt die Dominanz des Boulevards: Die Kronen | |
| Zeitung [1][erreicht immer noch 25 Prozent der österreichischen | |
| Bevölkerung]. | |
| Gerade in Wien wird der Markt zusätzlich dominiert von den beiden | |
| Gratiszeitungen Heute und Österreich. Wobei man sagen muss, dass die sich | |
| in letzter Zeit unterschiedlich positioniert haben: Heute ist dem Presserat | |
| beigetreten und ist wesentlich seriöser. Dagegen ist die Österreich sehr | |
| marktschreierisch, wird wahnsinnig oft vom Presserat gerügt und macht | |
| wirklich alles, was Medien ethisch nicht machen sollten. Beim | |
| Terroranschlag in Wien im November 2020 hat die Polizei dazu aufgerufen, | |
| keine Videos zu posten. Wer hat das als einziges Medium trotzdem getan? Die | |
| Österreich. Und diese Blätter gehen dann auch noch alle in den | |
| Fernsehbereich, übrigens auch hochgefördert. Es ist schon eine Gemengelage, | |
| die dem Qualitätsjournalismus nicht unbedingt förderlich ist. | |
| Interessent ist auch, dass heikle Themen in Österreich manchmal einen Umweg | |
| über deutsche Medien nehmen. Ich denke an die Ibiza-Affäre, die von Spiegel | |
| und Süddeutscher Zeitung bekannt gemacht wurde. Oder an die Vorwürfe der | |
| sexuellen Belästigung gegen den Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner, | |
| über die der Standard zunächst ohne Klarnamen berichtet hat, was dann | |
| später die Zeit als Erstes gemacht hat. | |
| Das zeigt die Situation wahrscheinlich in seiner ganzen Dramatik. Bei der | |
| Sache um Fellner muss man dem Standard zugute halten, dass er überhaupt | |
| berichtet hat. Sonst hätte es wohl niemand getan. Aber der Fall zeigt, was | |
| für eine Angst es vor der Boulevardmacht von Fellner gibt, auch aus | |
| Erfahrung. Der ist sehr klagefreudig, und das kann sehr viel Geld und | |
| Energie binden. Aber es geht auch um den medialen Druck, das | |
| Niederschreiben, wenn man sich mal anschaut, wie über die Frauen, die sich | |
| da zu Wort gemeldet haben, über Zeuginnen und über den Anwalt dieser Frauen | |
| in der Österreich berichtet wurde. Man braucht schon viel Mut und Geld, um | |
| sich mit Herrn Fellner anzulegen. | |
| 12 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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