# taz.de -- Ermordeter Peter de Vries: Kampf auf Europas Kokainmarkt | |
> Die Niederlande verabschieden sich am Mittwoch von Crime-Reporter Peter | |
> R. de Vries. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das Land als | |
> Narko-Standort. | |
Bild: Am Tatort in Amsterdam, wo Peter Rudolf de Vries am 6. Juli angeschossen … | |
AMSTERDAM taz | Es wird ein Abschied im großen Stil: Von 11 bis 20 Uhr ist | |
das Amsterdamer Theater Carré an diesem Mittwoch geöffnet. „Jeder, dem | |
Peter in seinem Leben etwas bedeutet hat“, so die Traueranzeige, kann an | |
den ermordeten Crime-Reporter Peter R. de Vries auf Wunsch an der Bahre | |
einen letzten Gruß richten. Mit großem Andrang wird gerechnet, so die | |
Website von RTL Boulevard, der Sendung, in der de Vries zu Gast war, bevor | |
er am 6. Juli [1][im Zentrum Amsterdams niedergeschossen wurde]. Am | |
Donnerstag wird das Theater dann zur geschlossenen Gesellschaft für Familie | |
und Freunde. | |
Art und Umfang des Abschieds machen die Position deutlich, die de Vries in | |
der niederländischen Gesellschaft hatte, erworben in Jahrzehnten, in denen | |
er sich an die Fersen der organisierten Kriminalität heftete. Er, [2][der | |
nach mehr als einer Woche seinen schweren Verletzungen erlag], war ein Typ, | |
wie man ihn liebt in den Niederlanden: eigensinnig, charismatisch, mit | |
Abstand zu den Autoritäten, aber auch ein Junge des Volks, treu an der | |
Seite der Eltern ermordeter Kinder, mit einem großen Herz für den | |
Fußballclub Ajax Amsterdam. | |
Der Fall reicht aber noch wesentlich weiter. Afshin Ellian, Juraprofessor | |
an der Universität Leiden, forderte in einer Kolumne in der | |
Boulevardzeitung Telegraaf, der Mord müsse ein „nötiger Wendepunkt im Kampf | |
gegen die Drogenkartelle“ sein. Für Ellian ist der Anschlag ein „Resultat | |
des Wegschauens von der Gesetzlosigkeit“. In einem anderen Kommentar kurz | |
nach dem Anschlag sprach er von „Gomorrha an der Nordsee“, prangerte den | |
Einsatz von Jugendlichen für Auftragsmorde an und nennt Amsterdam „die | |
Hauptstadt von Geldwäsche und organisiertem Verbrechen der Europäischen | |
Union“. | |
Ellians Hang zu drastischen Formulierungen ist bekannt, doch dass seine | |
Vorwürfe Substanz haben, ist unbestritten. Die Frage ist nun, inwieweit die | |
Ermordung von de Vries über die Bestürzung ob der persönlichen Tragödie | |
hinausreicht. Als vor knapp zwei Jahren Derk Wiersum, der Anwalt des selben | |
Kronzeugen, dem auch de Vries später beistand, auf offener Straße ermordet | |
wurde, schien das vielen die Augen zu öffnen. | |
Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem Kokainmarkt macht eben nicht, wie | |
man das offenbar lange dachte, an den Grenzen des „Milieus“ halt. Selbst | |
2018, als der Bruder des Kronzeugen in Amsterdam erschossen wurde, gab man | |
sich in den bürgerlichen Innenstädten noch dieser Illusion hin. | |
## Mexikanische Spezialisten vor Ort | |
Es mag an der starken sozialen Zweiteilung der Niederlande liegen, der | |
Kluft zwischen der urbanen Agglomeration im Westen und den anderen | |
Provinzen, dass man bestimmte ländliche Entwicklungen im Zentrum lange | |
wenig zur Kenntnis nahm. Auch auf dem Land dort entwickelt sich mehr und | |
mehr Infrastruktur des internationalen Narkomarkts. | |
Immer häufiger wurden in den letzten Jahren Drogenlabore in Scheunen und | |
anderen leer stehenden Gebäuden gefunden. 2020 waren es 108, 20 Prozent | |
mehr als im Vorjahr. Stark zugenommen hat vor allem die | |
Crystal-Meth-Produktion. Wurden 2019 noch zehn Labore hochgenommen, waren | |
es letztes Jahr 32. | |
Regelmäßig wurden dabei mexikanische Spezialisten angetroffen, die offenbar | |
Expertise mitbringen, die einheimischen Produzenten fehlt. Fachleute | |
befürchten, dass ihre Präsenz auf eine Zusammenarbeit mit mexikanischen | |
Kartellen hinweist. Die entscheidende Frage ist, ob niederländische | |
Organisationen diese angefordert haben oder sie aus Mexiko geschickt | |
wurden. | |
Wie verbreitet solche Strukturen sind, zeigt eine Umfrage von 2020: Ein | |
Fünftel von knapp 700 teilnehmenden Landwirten gab an, bereits von Personen | |
auf der Suche nach ungenutzten Gebäuden kontaktiert worden zu sein. Zwei | |
Drittel wussten über „Drogenkriminalität in der Gegend“ Bescheid, so das | |
TV-Programm 1 Vandaag. Oft handelte es sich um Bauern mit finanziellen | |
Problemen. | |
## Gesellschaftliche Unterwanderung | |
Die Drogenproduktion in Scheunen hat eine lange Tradition. Sie geht zurück | |
auf den kommerziellen Cannabisanbau und seine grotesk anmutende rechtliche | |
Position. Während Besitz, Verkauf und Konsum von kleinen Mengen Gras oder | |
Haschisch seit 45 Jahren geduldet werden, sind Produktion und Einkauf | |
weiter strafbar – eine Konstellation, die als „illegale Hintertür der | |
Coffeeshops“ bezeichnet wird und für das Entstehen eines klandestinen | |
Markts überaus förderlich war. | |
Die gesellschaftliche Unterwanderung zeigt sich nicht nur an der | |
Peripherie. Nach dem Mord an Anwalt Derk Wiersum 2019 beschloss sein | |
Utrechter Amtskollege Willem Jan Ausma, keine Kronzeugenfälle mehr | |
anzunehmen. „Ich finde das Leben schöner als mein Fach“, sagte er dem | |
Lokalsender RTV Utrecht. Auf Nachfrage erklärte Ausma, es gebe „zum Glück | |
genug andere“, die Kronzeugen nach wie vor zur Seite stehen wollten. Einer | |
davon war Peter R. de Vries. | |
21 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jeff Renisher | |
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