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# taz.de -- Wahlkampf 2021: Wattwandern mit Robert Habeck
> Der Co-Chef der Grünen reist die Küste entlang und spricht übers Klima.
> Was sagt er zur Flutkatastrophe? Kann er seine Partei aus dem Umfragetief
> retten?
Bild: Habeck (ohne Kamera) ist sich der Macht der Bilder bewusst
Kurz bevor es ins Watt geht, krempelt Robert Habeck die Hose hoch, zieht
die braunen Lederschuhe aus, und läuft barfuß los. Im Hintergrund steht in
Postkartenidylle der rot-weiße Leuchtturm der Gemeinde Westerhever in
Schleswig-Holstein. Ein Journalist fragt ironisch: „Sollen wir jetzt
schreiben: Der, der übers Wasser läuft?“
Was er meint: Es ist ein perfektes Setting. Die Sonne scheint, die Wolken
sind weiß und flockig, und der Wind rauscht durch Habecks Haare, während er
durch das Wasser watet. Aber neben dem Wind ist da noch etwas: Das
Kameraklacken als Begleitgeräusch. Der Grünen-Co-Chef ist umgeben von
Fotograf:innen und Journalist:innen. Ständig muss er auf Anweisung von
hier nach da laufen, vor dem Leuchtturm posieren. Noch mal. Und noch mal.
Er macht das erstaunlich gut gelaunt und ausdauernd. Habeck weiß um die
Macht der Bilder. Nach den Chaoswochen der Grünen ist es auch der Versuch,
Kontrolle zurückzugewinnen, Deutungshoheit. Eigene Themen setzen, eigene
Inhalte spielen. Das heißt am vergangenen Mittwoch: Gemeinsam mit
Hans-Ulrich Rösner, Leiter des WWF-Wattenmeerbüros, durch Salzwiesen und
Watt laufen im Nationalpark Wattenmeer.
Seit Anfang der Woche bis zum 30. Juli ist Robert Habeck auf Küstentour in
Schleswig-Holstein. Er hat eine Flugwindkraftanlage in Klixbüll besucht,
hat die Inseln Sylt, Amrum und Föhr abgeklappert, Reden gehalten und mit
Menschen gequatscht. Am Mittwoch war er in Husum und in Westerhever – das
war kurz vor der [1][verheerenden Flutkatastrophe].
Am Donnerstag meldete sich Habeck dann via Instagram in einem Video. Er war
in Sankt Peter-Ording und Friedrichstadt unterwegs. Braun gebrannt, in
blauem Hemd spricht er sein Mitgefühl aus: „In Gedanken bin ich bei den
Menschen, in den von Hochwasser betroffenen Gebieten.“
Habeck möchte vorerst aber nicht dorthin reisen. „Jetzt ist die Stunde der
Retter und nicht die Stunde von Politikern, die dort nur im Weg rumstehen,
und so einer wäre ich“, erklärt er, Politiker:innen ohne Funktionen
würden dort nur stören. Er werde aber gern kommen, wenn die Krise
überstanden sei, um darüber zu reden, welche Schlüsse „aus dieser
Extremsituation“ zu ziehen wären.
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, um die es etwas stiller
geworden war, kehrte am Freitag vorzeitig aus dem Urlaub zurück. Ihr
Mitgefühl sei „bei den Menschen, die um Angehörige trauern, sich um
Vermisste sorgen und um Verletzte kümmern“, twitterte sie einen Tag zuvor
und forderte schnelle, unbürokratische Hilfe. Anders als Habeck will sie in
die Region fahren, um sich über die Lage zu informieren, etwa in einem
Gespräch mit Anne Spiegel, der rheinland-pfälzischen Umweltministerin –
aber ausdrücklich ohne Pressebegleitung.
Was auffällt: Während die Kanzlerkandidaten von CDU und SPD, Armin Laschet
und Olaf Scholz, sich öffentlich für mehr und schnelleren Klimaschutz
aussprechen, hält sich Baerbock in diesem Punkt erst mal zurück.
Vielleicht will sie nicht dem Vorwurf ausgesetzt sein, die Lage politisch
zu instrumentalisieren. Fingerspitzengefühl beweisen, nicht gleich als
Besserwisserin auftreten. Aber häufige Extremwetterlagen stehen im
Zusammenhang mit der Klimakrise – und es ist das Thema, bei dem den Grünen
die meiste Kompetenz zugeschrieben wird.
Doch Robert Habeck setzt seine Küstentour erst mal fort. Weil Annalena
Baerbock im Urlaub war, während er wieder in die Kameras sprach, wirkte es
zuweilen so, als müsse er allein [2][die Partei aus dem Umfragetief] holen.
Dabei war seine Küstentour lange vorher geplant. Im Wahlkreis eins,
Flensburg-Schleswig, tritt Habeck als Direktkandidat zur Bundestagswahl an.
Somit macht er eigentlich gerade bloß Wahlkampf in seiner Heimat. Aber in
Anbetracht der misslichen Lage, in der die Grünen stecken, geht es nun
darüber hinaus. Ganz klar: Habeck ist auf Rettungsmission.
Wochenlang wurden die Grünen vor sich hergetrieben: Von zu spät gemeldeten
Nebeneinkünften der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock über
missverständliche Äußerungen von Habeck zu Waffenlieferungen in die Ukraine
bis hin zu Schein-und-sein-Debatten rund um Baerbocks Lebenslauf und ihr
neues Buch. Zu spät übte Baerbock Selbstkritik und gestand Fehler ein. Bei
etwa 19 Prozent liegt die Ökopartei in den Umfragen. Schon bei der
Vorstellung der neuen Wahlplakate am Anfang der Woche fiel auf: Der
Anspruch auf Kanzlerschaft wird gerade lieber nicht betont.
Habeck will [3][endlich wieder über Inhalte] reden. Im Nationalpark
Wattenmeer leben nach Angaben des Parkbetreibers 3.200 Tierarten, Robben
und Schweinswale etwa, Millionen von Zugvögeln machen hier jährlich Pause,
bevor sie gen Süden ziehen. WWF-Mann Rösner erzählt begeistert, dass der
Nationalpark „wieder wilder geworden ist, weil große Teile nicht mehr
beweidet werden“. 1985, als der Nationalpark entstand, „hätte man
Strandflieder hier nicht sehen können“, sagt er und zeigt auf Pflanzen in
den Salzwiesen, die lila blühen. 2009 hat die Unesco dieses Gebiet als
Weltnaturerbe anerkannt.
Aber Habeck wäre nicht hier, wenn alles prima wäre. Durch die Erderhitzung
schmelzen die Gletscher, der Meeresspiegel steigt schneller, die
Wattflächen drohen überflutet zu werden. Diese Küste ist eben nicht nur
bestechend schön, sie ist ein Ort, an dem das große, abstrakte Wort
Klimakrise plastischer gemacht werden kann.
„In Berlin müssen die Weichen so gestellt werden, dass der Schutz des
Wattenmeers den Ansprüchen eines Weltnaturerbes entspricht“, sagt Rösner.
Habeck sieht das auch so und erzählt, dass hier im Nationalpark auf einer
Bohrinsel Öl gefördert wird, weil sie Bestandsschutz hat. Aus seiner Zeit
als Vizeministerpräsident und Energieminister in Schleswig-Holstein kennt
er auch die Konfliktlinien zwischen Fischerei, Tourismus, Naturschutz und
Küstenschutz.
Es ist ein Heimspiel für Habeck. Viele Menschen kennen ihn hier. Auf dem
Weg zum Leuchtturm sitzt plötzlich, wie bestellt, ein Mann im Gras und
ruft: „Moin, Herr Habeck! Ich sitze hier an meinem Lieblingsplatz.“ Kurzer
Smalltalk.
Habeck hat immer die passenden Geschichten parat, die sein politisches
Handeln und Denken illustrieren. Wenn er erzählt, dass er zwischen Amrum
und Föhr Schweinswale gesehen hat, dann redet er auch über die Gefahren der
Stellnetze, in denen sich „Schweinswale vertüddeln“ und sterben. Er bringt
trotzdem Verständnis auf für die Bedürfnisse von kleinen Fischereien, die
überleben wollen.
Es ist das Habeck’sche Verständnis von Macht: Alle Seiten anhören und so
lange verhandeln, bis es zu einem Kompromiss kommt. Wie beim Muschelfrieden
in Schleswig-Holstein 2015, als die einen das Fischen von Miesmuscheln im
Nationalpark Wattenmeer verbieten wollten und die anderen um ihre Existenz
fürchteten. Habeck half, den Konflikt zwischen Naturschützer:innen und
Muschelfischer:innen beizulegen.
Robert Habeck pflegt einen alles umarmenden Politikstil. Das Radikale, das
Unangepasste der Vergangenheit haben die Grünen mit Baerbock und ihm an
der Spitze von sich abgestreift. Konsens statt Konflikt. Bei einem Stück
veganem Apfelkuchen am Leuchtturm sagt Habeck, er wolle nach den ganzen
Fehlern „wieder Vertrauen zurückgewinnen“. „Es hängt sehr davon ab, ob …
beweisen kann, dass man ein Normaler ist, dass man mit Messer und Gabel
essen kann, aber auch das Brot vom Fußboden isst, wenn es runterfällt.“
Sich vor Menschen nahbar zeigen, glaubwürdig sein.
In Husum auf dem Marktplatz, wenige Stunden zuvor, sagt Habeck inmitten
einer politischen Rede Sätze wie: „Der Vogelgesang gehört niemandem. Das
Spiel des Lichtes in den Baumkronen gehört niemandem. Im Meer zu baden, ist
erlebte Freiheit.“ Er kann das erstaunlicherweise machen, ohne dass es
aufgesetzt klingt. Denn kurz vorher hat er noch laut „Moin!“ ins Mikro
geschrien und konkret über das EU-Klimaschutzprogramm „Fit for 55“
gesprochen, mit dem die EU die Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent unter
den Wert von 1990 senken möchte. Habeck hat dabei noch rumgealbert, das sei
kein „Aktivierungsprogramm für Senioren“.
Er sinniert laut darüber nach, warum Menschen erst dann bereit sind,
Verantwortung zu übernehmen, wenn „unser Eigentum betroffen ist, wenn es um
unseren Garten geht, unseren Balkon, um unser Auto, um unser unmittelbares
Leben“. Wenn das so ist, schlussfolgert er, „dann darf man sich nicht
wundern, wenn Politik sich im Kleinklein verläuft“. Habeck will die großen
Bilder, die großen Linien, zurück zur Kernkompetenz der Grünen. „Wenn wir
den Klimawandel bekämpfen, dann kämpfen wir für die Freiheit“, sagt er.
Bei den älteren Leuten, die sich an dem Tag auf dem Marktplatz tummeln,
kommt das in großen Teilen an. Aber seit Baerbocks Image angekratzt ist,
stehen die Grünen vor dem Problem, dass immer wieder die Frage aufkommt, ob
Habeck nicht doch der bessere Kanzlerkandidat gewesen wäre und
eingewechselt werden sollte. Die Grünen haben das zwar ausgeschlossen,
Habeck hat diese Idee in einem Interview als „Kokolores“ abgetan. Aber auch
bei Markus Lanz Mitte der Woche musste er sich wieder dazu verhalten – und
stellte sich loyal hinter Baerbock.
Auch in Husum gibt es die, die sich Habeck zum Kanzlerkandidaten wünschen,
und die, die beide toll finden. Aber es gibt auch Menschen, die nicht
überzeugt sind. „Die Grünen wissen nicht, was richtige Arbeit ist“, sagt
einer. „Ich werde diese Linksfaschisten nie wählen.“ Es gibt also Risse in
der grünen Wohlfühlblase. Vielleicht ein Vorgeschmack darauf, was kommen
könnte, wenn Annalena Baerbock und Robert Habeck demnächst zusammen auf
Tour gehen?
17 Jul 2021
## LINKS
[1] /Flutkatastrophe-in-Westdeutschland/!5787239
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## AUTOREN
Jasmin Kalarickal
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