| # taz.de -- Flutkatastrophe in Westdeutschland: Mindestens 100 Todesopfer | |
| > Die Lage in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bleibt weiter äußerst | |
| > angespannt. Das Verteidigungsministerium löst den militärischen | |
| > Katastrophenalarm aus. | |
| Bild: Eine beschädigte Straße und ein Auto nach Überschwemmung in Schuld | |
| Düsseldorf/Berlin/Mainz dpa/lnw/rtr | Das Verteidigungsministerium hat | |
| wegen der Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands einen militärischen | |
| Katastrophenalarm ausgelöst. Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) | |
| habe die Entscheidung getroffen, sagte ein Sprecher des Ministeriums am | |
| Freitag in Berlin. | |
| „Das bedeutet, dass die Entscheidungsinstanzen weit nach vorn, nämlich | |
| genau dorthin verrückt werden, wo sie gebraucht werden. Als Beispiel kann | |
| jetzt eine Verbandsführerin vor Ort entscheiden, ob der Bergepanzer, ob der | |
| militärische Lkw, ob das Stromaggregat bereitgestellt wird, wenn es denn | |
| verfügbar wird“, sagte der Offizier. „Ich denke, bei solchen Lagen ist | |
| Dezentralität ganz wichtig und auch für den Erfolg der Maßnahmen ganz | |
| ausschlaggebend.“ | |
| Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind mehr als 850 Soldaten im | |
| Einsatz, und die Zahl steige. Die Bilder aus dem Katastrophengebiet | |
| erfüllten mit Bestürzung. Der Sprecher sagte: „Die Bundeswehr steht | |
| natürlich an der Seite der anderen Helfer, ob das THW, Feuerwehr, Polizei | |
| und andere sind.“ Es werde nun dafür gesorgt, bundesweit verfügbares | |
| Material für die Hilfe vor Ort zur Verfügung zu stellen. Bundesweit seien | |
| alle Kräfte angewiesen, nötiges Großgerät verfügbar zu machen. | |
| ## Mehr als 100 Todesopfer gemeldet | |
| [1][Bei der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands] ist die Zahl der | |
| Toten auf mindestens 100 gestiegen. Die Lage in den Überschwemmungsgebieten | |
| bleibt äußerst schwierig. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu | |
| Dreyer sagte am Freitag, inzwischen gebe es in ihrem Land 60 Tote. „Die | |
| Befürchtung ist, dass es noch mehr werden“, sagte ein Sprecher des | |
| Polizeipräsidiums Koblenz am Freitagmorgen. Die Bergungsarbeiten liefen | |
| weiter. Zwölf Menschen in einem Haus der Behinderteneinrichtung Lebenshilfe | |
| wurden in Sinzig von den Wassermassen überrascht und konnten nur noch tot | |
| geborgen werden. | |
| Angesichts enormer Hochwasserschäden hat die Landesregierung in | |
| Rheinland-Pfalz ein Spendenkonto für Betroffene eingerichtet. „Aktuell | |
| erreichen uns zahlreiche Anfragen, wie die von der Unwetter-Katastrophe in | |
| Rheinland-Pfalz betroffenen Menschen unterstützt werden können. Das zeigt, | |
| dass die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung wirklich groß ist“, teilten | |
| Landesinnenmister Roger Lewentz und Landesfinanzministerin Doris Ahnen | |
| (beide SPD) am Freitag mit. Das Konto ausschließlich für die in | |
| Rheinland-Pfalz Betroffenen wurde vom Landesinnenministerium bei der | |
| Sparkasse Mainz eingerichtet. Gespendet werden kann unter dem Kennwort | |
| „Katastrophenhilfe Hochwasser“. | |
| In Nordrhein-Westfalen waren nach jüngstem Stand 43 Tote zu beklagen. Das | |
| Landesinnenministerium in Düsseldorf erklärte am Freitag, diese Zahl sei | |
| aber „dynamisch“ und könne sich jederzeit ändern. | |
| Auch in Baden-Württemberg machten Unwetter und Hochwasser den Menschen zu | |
| schaffen. In einigen Regionen wurden erneut Straßen gesperrt, im Allgäu | |
| stand ein Wohngebiet unter Wasser. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnte | |
| vor Starkregen und Gewittern etwa in Oberschwaben. Vor allem in kleineren | |
| Gewässern könne der Wasserstand schnell ansteigen. | |
| Mit Hochwasser haben auch Nachbarländer Deutschlands zu kämpfen. In Belgien | |
| kamen durch das Unwetter 14 Menschen ums Leben, wie die Nachrichtenagentur | |
| Belga berichtete. Mehr als 20 000 Menschen hatten zeitweise keinen Strom. | |
| In der Schweiz stiegen Flusspegel nach starken Regenfällen stark an. Im | |
| Kanton Schaffhausen überschwemmten laut Nachrichtenagentur Keystone-sda | |
| angeschwollene Bäche die Dörfer Schleitheim und Beggingen. Wassermassen | |
| flossen durch Straßen, in Keller, rissen Fahrzeuge mit und zerstörten | |
| kleinere Brücken. In den Niederlanden rissen Fluten ein Loch in den Deich | |
| eines Kanals bei Maastricht, zahlreiche Menschen mussten ihre Häuser | |
| verlassen. | |
| ## Häuser in Erftstadt unterspült | |
| Dramatische Berichte kamen aus Erftstadt: Beim Einsturz von Häusern in | |
| Erftstadt-Blessem sind Menschen ums Leben gekommen. „Es gibt Todesopfer“, | |
| sagte eine Sprecherin der Bezirksregierung Köln am Freitag. Dort ist eine | |
| Reihe von Häusern ganz oder teilweise eingestürzt. Ursache seien massive | |
| und schnell fortschreitende Unterspülungen der Häuser. Mehrere Menschen | |
| seien ums Leben gekommen. | |
| Aus den Häusern kämen immer wieder Notrufe. Menschen könnten derzeit nur | |
| mit Booten vom Wasser aus gerettet werden. Dazu erschwere ein Gasaustritt | |
| die Rettungsarbeiten. Mehrere Pflegeheime würden geräumt. Die Feuerwehr | |
| hatte am Donnerstagabend im Kreis Heinsberg drei schwer verletzte Menschen | |
| aus dem Fluss Wurm retten können, die dort zu ertrinken drohten. | |
| Nach einem Aufruf der Stadt Bonn, Menschen aus Hochwassergebieten eine | |
| Unterkunft anzubieten, sind bei der Verwaltung Hilfsangebote für mehr als | |
| 1000 Betroffene eingegangen. Viele Privatpersonen wollten bis zu drei | |
| Menschen aufnehmen, und Hotels stellten bis zu 50 Doppelzimmer zur | |
| Verfügung, teilte die Stadt am Freitag mit. „Wir sind überwältigt von der | |
| Vielfalt und der Fülle der Angebote. Weitere brauchen wir im Moment nicht | |
| mehr“, erklärte Oberbürgermeisterin Katja Dörner. | |
| ## 23 Städte und Landkreise in NRW überschwemmt | |
| Nach Angaben des Bundesamtes für Bevölkerung und Katastrophenschutz (BBK) | |
| in Bonn sind in Nordrhein-Westfalen 23 Städte und Landkreise von | |
| Überschwemmungen betroffen. Das Landeskabinett wollte am Vormittag zu einer | |
| Sondersitzung zusammenkommen, um über die katastrophale Lage zu beraten. | |
| Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach den Betroffenen Hilfen. Sie sprach | |
| in Washington von einer „Tragödie“. | |
| Gegen Mitternacht hatte die Rurtalsperre begonnen, infolge der immensen | |
| Regenmengen überzulaufen. Der Wasserverband Eifel-Rur sprach aber von einer | |
| „geringen Dynamik“. Die Zuflüsse zu den Talsperren hätten sich zuvor | |
| „erfreulich reduziert“. | |
| Im Nachgang waren Überschwemmungen im Unterlauf der Rur erwartet worden. | |
| Der Kreis Düren hatte bereits vor der Gefahr von Überflutungen in den | |
| Städten Heimbach, Nideggen und der Gemeinde Kreuzau gewarnt. Der | |
| Wasserverband warnte, Menschen sollten sich nicht in Flussnähe aufhalten, | |
| da die Gefahr bestehe, mitgerissen zu werden. | |
| Die Bundeswehr hat zur Unterstützung inzwischen etwa 900 Soldaten in die | |
| Katastrophengebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geschickt. | |
| „Jetzt kommt es darauf an, geeignetes Material aus der ganzen Republik | |
| bereitzustellen“, erklärt Verteidigungsministerin Annegret | |
| Kramp-Karrenbauer (CDU). „Hierzu habe ich bereits angeordnet, dass alle | |
| anderen Aufträge, die nicht unmittelbar mit den Auslandseinsätzen verbunden | |
| sind, hintangestellt werden. Die oberste Priorität liegt jetzt bei der | |
| Katastrophenhilfe in den betroffenen Städten und Kommunen.“ | |
| Niedersachsen unterstützt Nordrhein-Westfalen mit knapp 1.000 Helfern in | |
| der Hochwasser-Katastrophe. Helfer von der Feuerwehr und der Deutschen | |
| Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) unterstützen unter anderem mit | |
| Spezialfahrzeugen bei den Evakuierungsmaßnahmen und dem Abpumpen von Wasser | |
| ab Samstag, wie das Innenministerium am Freitag in Hannover mitteilte. | |
| Im heftig betroffenen Kreis Euskirchen in NRW soll ein Gutachter am Freitag | |
| erneut die Steinbachtalsperre unter die Lupe nehmen. Der Wasserstand war am | |
| Donnerstagabend durch Abpumpen gesunken. Die Talsperre, deren Damm tiefe | |
| Furchen aufweist, war von einem Sachverständigen am Vortag als „sehr | |
| instabil“ eingestuft worden. Deswegen wurden aus Sicherheitsgründen mehrere | |
| Ortschaften evakuiert. Betroffen waren rund 4.500 Einwohner. | |
| ## Über 15.000 Feuerwehrleute im Einsatz | |
| Landesweit werden die Rettungs- und Aufräumarbeiten fortgesetzt. In den | |
| Städten Schleiden und Bad Münstereifel stießen die Einsatzkräfte auf | |
| einsturzgefährdete oder bereits zerstörte Häuser. In Weilerswist wurden | |
| Feuerwehrleute von den Wassermassen eingeschlossen. Sie konnten sich nach | |
| Angaben des Kreises selbst befreien. | |
| Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes waren im Süden von NRW bis zu 180 | |
| Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Viele Flüsse und Bäche in der Eifel, | |
| im Bergischen Land, im Rheinland und Sauerland waren am Mittwoch und in der | |
| Nacht zu Donnerstag über die Ufer getreten. Mehr als 15.000 Feuerwehrleute | |
| und Katastrophenhelfer absolvierten bis Donnerstag landesweit über 22.000 | |
| Einsätze. | |
| Rund 165.000 Menschen im Westen Deutschlands waren nach Angaben des | |
| Energieversorgers Eon aufgrund des Unwetters am Donnerstagnachmittag ohne | |
| Strom. Besonders betroffen seien die Eifel, der linksrheinische | |
| Rhein-Sieg-Kreis, der Rheinisch-Bergische Kreis und Teile des Bergischen | |
| Landes, teilte das Unternehmen in Essen mit. | |
| Frankreich sichert Deutschland und Belgien Solidarität und Unterstützung | |
| zu, wie Ministerpräsident Jean Castex auf Twitter erklärt. Ins belgische | |
| Lüttich seien 40 Einsatzkräfte des französischen Militärs sowie ein | |
| Rettungshubschrauber entsandt worden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg | |
| hat die Solidarität des Militärbündnisses mit den vom Hochwasser | |
| betroffenen Ländern bekundet. „Unsere Gedanken sind bei all denen, die ihre | |
| Liebsten und ihr Zuhause in den verheerenden Fluten verloren haben“, | |
| schrieb der Norweger am Freitag zudem auf Twitter. | |
| ## Versicherer erwarten hohe Schadenssumme | |
| Die verheerenden Überschwemmungen im Westen könnten sich unter die | |
| teuersten Naturkatastrophen der vergangenen 20 Jahre in Deutschland | |
| einreihen. Der Versicherer-Branchenverband GDV will in der nächsten Woche | |
| eine erste Schadenschätzung abgeben. Der tatsächliche Schaden könnte aber | |
| noch höher sein, weil nur 45 Prozent der Gebäude in Deutschland gegen | |
| Überschwemmungen und Starkregen (Elementarversicherung) versichert sind. | |
| In Düsseldorf haben umgestürzte Bäume und eine Schlammlawine den Zaun eines | |
| Wildschweingeheges erfasst, woraufhin 20 Tiere kurzfristig ausbüxen | |
| konnten. Wie ein Sprecher der Stadt mitteilte, hat das Unwetter der | |
| vergangenen Tage die Bäume umstürzen lassen und zu der Schlammlawine | |
| geführt. Dadurch seien Teile des Zauns in dem Wildpark umgestürzt. Die | |
| Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten alle Tiere wieder eingefangen, | |
| keines habe sich verletzt. Die Wildschweine sind nun in einem anderen Teil | |
| des Geheges, das gesondert abgesperrt ist. Der Wildpark ist aktuell | |
| gesperrt. Zuvor hatte die „Rheinische Post“ berichtet. | |
| 16 Jul 2021 | |
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