Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hochwasser in Rheinland-Pfalz: In der Nacht kam das Wasser
> Im Ahrtal ist nichts mehr wie zuvor. Die Hälfte der Gebäude von Bad
> Neuenahr-Ahrweiler sind schwer beschädigt. Ein Besuch im Ortsteil
> Heimersheim.
Bild: Freiwillige packen im Landkreis Ahrweiler an und räumen die Straßen auf
Heimersheim taz | Schlamm und Staub liegen überall – auf Straßen, Häusern,
Gärten, Menschen. Es riecht nach ausgelaufenem Heizöl. Nach tagelangem
Dauerregen kam das verheerende Hochwasser, das im engen Ahrtal zu großen
Verwüstungen geführt hat. Das rheinland-pfälzische Heimersheim liegt am
Unterlauf der Ahr, kurz vor der Mündung in den Rhein.
1,80 Meter stand das Wasser in dem 3.000-Einwohner-Ortsteil von Bad
Neuenahr-Ahrweiler hoch. Die meisten Häuser sind Einfamilienhäuser, weiß
getüncht, und wo das Wasser stand, ist die Farbe hellbraun. Am Oberlauf der
Ahr, wo das Tal enger ist, waren es 5 Meter. Aber auch in Heimersheim sind
die Schäden immens. Straßen wurden unterspült, die Uferbefestigung
weggerissen, die Feuerwehrstation überflutet.
Auf einer Kreuzung regelt eine junge Polizistin den Verkehr mit
Handzeichen. Am Straßenrand liegen durchnässte und mit zähem Schlamm
überzogene Haufen, so weit das Auge reicht: Wohnungseinrichtungen, Möbel,
persönliche Unterlagen, Fotos und Schulbücher.
Viele Einwohner sind noch dabei, die Reste ihres Hab und Guts auf den
Bürgersteig und in die Vorgärten zu hieven und immer wieder Schlamm aus
ihren Häusern zu schippen. Auch hier sind zwei Menschen ertrunken, eine
Frau mit ihrer Tochter, die im Keller noch schnell etwas retten wollten.
Das Wasser drückte gegen die Kellertür, sodass sie diese nicht mehr öffnen
konnten.
## Von oben bis unten voller Schlamm
Die Menschen sind emsig beschäftigt, alle von oben bis unten voller
Schlamm. Freunde, Familienangehörige, aber auch völlig Fremde haben sich
spontan Urlaub genommen, um mit anzupacken. Schlafstellen werden angeboten,
und, was den Anwohnern besonders wichtig ist, die Möglichkeit, zur Toilette
zu gehen und sich nach etlichen Tagen ohne fließendes Wasser zu duschen.
Strom gibt es mittlerweile wieder.
Die private Nachbarschaftshilfe funktioniert: Arbeitgeber stellen ihre
Leute frei, damit sie mit anpacken können, Firmen spenden Lebensmittel und
Trinkwasser. Ein Lkw mit einer Ladung Dixi-Klos rauscht vorbei, eine
Leihgabe eines Bauunternehmers. Bauern schleppen mit ihren Traktoren
schwere Gerätschaften und schaffen Müll weg. Iranische Flüchtlinge
verköstigen ihre Nachbarn mit Riesenmengen Pilaw. Die Feuerwehr vom
Frankfurter Flughafen hat 100 Feldbetten an ihre Kollegen in Heimersheim
geschickt. Die Stimmung ist ruhig und freundlich.
Trotzdem sind viele [1][Anwohner] wütend auf die Politik. Eine Frau um die
40 macht mit ihren Töchtern eine Pause von der Plackerei, sitzt auf einem
Mäuerchen, das von ihrem Vorgarten stehengeblieben ist und raucht eine
Zigarette. Man sieht ihr die Müdigkeit an. Seit zehn Stunden ist die
Familie heute an der Arbeit und es geht noch weiter. Sorgenvoll blickt sie
auf die Trümmer ihrer Existenz. „Klimakrise“, meint sie einsilbig,
„eindeutig“.
Dann rafft sie sich auf und stapft in ihren Gummistiefeln durch den Schlamm
zurück ins Haus, weiter schaufeln. Ihre Nachbarn sehen auch in der
Flächenversiegelung einen Grund für die Katastrophe. „Es wird ja alles
zugebaut“, sagt einer.
## Wenigstens stehen die Häuser noch
Familie Schwarz, Vater und Sohn, erzählen, was geschehen ist: „Es hatte
tagelang in Strömen geregnet. Als der Regen aufhörte, dachten wir, jetzt
sei alles vorüber und waren beruhigt“, sagt der junge Mann. „Wir hörten n…
so ein komisches Geräusch. Jetzt ist uns klar, dass das vom Fluss kam.“ Um
halb zwölf Uhr nachts habe das Wasser schon bis zur Wade hoch auf der
Straße gestanden. „Es ist erst in den Keller geflossen, dann sehr schnell
bis zum ersten Stock gestiegen.“
Wenigstens stehen die Häuser in Heimersheim noch. Am Ober- und Mittellauf
der Ahr wurde das Dorf Schuld weitgehend zerstört. In weiteren Ortschaften
sind Gebäude weggerissen worden oder einsturzgefährdet. Insgesamt 4.000
Menschen wurden evakuiert, 3.000 sind – Stand Sonntagmittag – nicht
erreichbar. In Altenahr stand das Wasser bis zu fünf Meter hoch, die
Menschen kletterten zum Teil auf die Dächer.
Hunderte Lkw mit Hilfsgütern kommen laut Kreisverwaltung Bad
Neuenahr-Ahrweiler, zu der auch Heimersheim gehört, jeden Tag an. Im
Ortsteil Bad Neuenahr selbst sind nach ersten groben Schätzungen die Hälfte
aller Gebäude schwer beschädigt. Die Bundeswehr hat in Tanklastern
Trinkwasser ins Notgebiet geschickt. Alle Nachbarstädte und -gemeinden
haben Unterkünfte für Evakuierte bereitgestellt. Viele Privatleute bieten
Schlafplätze an.
Während am Unterlauf der Ahr aufgeräumt wird, sucht man am Mittel- und
Oberlauf mit Fußtrupps und Drohnen weiter nach Vermissten. Immer wieder
werden dabei auch Tote gefunden. Allein im Landkreis Ahrweiler in
Rheinland-Pfalz haben mindestens 110 Menschen ihr Leben verloren.
Bundeswehr und THW räumen mit schweren Räumgeräten die Zufahrtsstraßen
frei. Einige Orte sind nur per Hubschrauber oder zu Fuß erreichbar. Strom,
Wasser und Mobilfunk gibt es dort nicht mehr.
## Keine Warnung vor dem Wasser
Am Sonntag verschaffte sich Bundeskanzlerin [2][Angela Merkel] (CDU)
begleitet von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer
(SPD) einen Eindruck von der Situation. Für kommenden Dienstag wird die
rheinland-pfälzische grüne Umweltministerin Anne Spiegel im Krisengebiet
erwartet.
Spiegel, so erklärte eine Bad Neuenahrerin, wolle erst später kommen, „um
den Hilfskräften nicht im Weg zu stehen“. Im Mai diesen Jahres erinnerte
der Kreis Ahrweiler noch an das schwere Hochwasser des Jahres 2016, das
bisher als „Jahrhunderthochwasser“ galt.
Trotz der Erfahrungen des Krisenstabs mit zahlreichen Ahr-Hochwassern gibt
es bei dem gegenwärtigen Einsatz Probleme in der Kommunikation mit den
Bürgern. Heimersheimer beklagen, dass sie keine Warnung vor dem Hochwasser
erhalten hätten.
Einzig der Wasserbauingenieur Matthias Bertram berichtete der taz am
Telefon, dass er regelmäßig auf den Pegelstand gesehen habe. „Der
Pegelstand in Altenahr kommt eine Dreiviertelstunde später in Bad Neuenahr
an“, erklärte der Fachmann. Bis halb zehn Uhr abends habe seine Familie am
Mittwoch Sandsäcke gefüllt, um die Hauseingänge abzudichten. Um halb zwölf
habe das Wasser schon auf der Straße gestanden.
18 Jul 2021
## LINKS
[1] /Hochwasser-in-Westdeutschland/!5782556
[2] /Ueberschwemmungen-in-Deutschland/!5787391
## AUTOREN
Annette Hauschild
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
GNS
Flutkatastrophe in Deutschland
Malu Dreyer
Hochwasser
Rheinland-Pfalz
Nordrhein-Westfalen
Geht's noch?
Flut
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Passau
Armin Laschet
Hochwasser
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hochwasser in Nordrhein-Westfalen: Auf rutschigem Boden
In der Gemeinde Heimerzheim werden manche Häuser nur noch vom Putz
zusammengehalten. Um die Menschen steht es nicht besser.
Flutkatastrophe in Deutschland: Solidarität, die entpolitisiert
Deutschland durchlebt eine Katastrophe. Doch die notwendige politische
Diskussion wird von Solidaritätsinszenierungen vernebelt.
Biowinzer über die Flut an der Ahr: „Ich bin der Natur nicht böse“
Seit 30 Jahren bewirtschaftet Christoph Bäcker im Ahrtal ein Weingut. Nun
fiel es der Flut zum Opfer. Wie geht es für den Biowinzer weiter?
Hochwasserkatastrophe rund um Aachen: Das große Aufräumen
Die einen sind erschüttert, weil sie alles verloren haben. Die anderen
können schon wieder lächeln.
Hochwasser in West- und Süddeutschland: Gewarnt, aber nicht erhört
Die Unwetter der vergangenen Woche kamen mit Ansage. Warnungen erreichten
die Bevölkerung aber nur teilweise. Wo liegt der Fehler jetzt?
Meteorologin über Unwetter und Medien: „Warnungen richtig interpretieren“
Bei Unwetterlagen muss schnell und breit informiert werden, sagt die
Meteorologin Inge Niedek. Besonders auch über die möglichen Folgen.
Hochwasser in West- und Süddeutschland: Streit um Katastrophenschutz-Reform
Die Flutlage entspannt sich zusehends. Nun wird diskutiert, ob der Bund
mehr Kompetenzen braucht – Horst Seehofer ist dagegen. Die Zahl der Toten
steigt derweil weiter.
PolitikerInnen im Fluteinsatz: Laschet kann Krise nicht
Wenn es ernst wird, wirkt der Kandidat der Union ungelenk und überfordert.
Das sind keine guten Voraussetzungen für das Kanzleramt.
Flutkatastrophe in Deutschland: „Gespenstische Bilder“
Die deutsche Sprache kenne kaum Worte für die Verwüstung, sagt Kanzlerin
Merkel. Scholz plant Soforthilfen und ein Aufbauprogramm.
Flutkatastrophe in Westdeutschland: Mindestens 100 Todesopfer
Die Lage in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bleibt weiter äußerst
angespannt. Das Verteidigungsministerium löst den militärischen
Katastrophenalarm aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.