| # taz.de -- Flutkatastrophe in Deutschland: Solidarität, die entpolitisiert | |
| > Deutschland durchlebt eine Katastrophe. Doch die notwendige politische | |
| > Diskussion wird von Solidaritätsinszenierungen vernebelt. | |
| Bild: Eine Katze läuft über den Schlamm einer gefluteten Straße in Schuld | |
| Jeder, der einem [1][von der Flutkatastrophe betroffenen Mitmenschen] ein | |
| Brötchen vorbeibringt, ist solidarisch. Und jede, die bei | |
| Wiederaufbauarbeiten eines anderen mithilft, auch. Wenn aber mediale | |
| Beiträge selbstverständliche Akte der Menschlichkeit auf eine Weise | |
| überbetonten, als seien sie außergewöhnlich, dann stellt sich die Frage, ob | |
| zumindest unbewusst mehr dahintersteckt. | |
| Beispielhaft dafür ist die ZDF-Reportage „[2][Die Hochwasserkatastrophe – | |
| Gemeinsam gegen die Flut]“ vom 19. Juli. Darin heißt es untermalt von | |
| einfühlsamer Musik: „Nun rollt eine andere Welle, eine von der guten Sorte, | |
| eine Welle der Hilfsbereitschaft. Überall im Land wird gespendet und | |
| gesammelt“, die „Szenen von Freigiebigkeit und Solidarität“ werden gerah… | |
| von O-Tönen Betroffener und Helfender, die mit Tränen kämpfen oder | |
| erzählen, dass sie angesichts der überwältigenden Solidarität bereits | |
| geweint hätten. | |
| Natürlich treffen herzerwärmende Bilder und Sätze nach einer fürchterlichen | |
| Katastrophe wie dieser auf ein berechtigtes Bedürfnis. Auch den Autor | |
| dieses Textes haben sie berührt. Es sind Bilder, die aufbauen sollen, die | |
| Menschen selbst und ihre Häuser. | |
| Man sollte sich aber auch über den potentiellen Preis bewusst sein: Sie | |
| können berechtigte Wut und Enttäuschung als Voraussetzung für eine | |
| politische Diskussion über Verantwortlichkeit entschärften, die Katastrophe | |
| somit entpolitisieren. | |
| Unmittelbar muss jetzt über politische Verantwortung im Bereich | |
| [3][Katastrophenschutz und -prävention] diskutiert werden, mittelbar über | |
| den Klimawandel. Und es müssen politische Konsequenzen gezogen werden. Der | |
| Staat zieht sich schon seit Jahren von seiner sozialen Verantwortung | |
| zurück, Bilder wie diese privatisieren das Soziale weiter. | |
| Schließlich sollte solche Solidaritätsinszenierung auch mit Blick auf die | |
| jüngere Vergangenheit skeptisch stimmen: Man denke an die Menschen, die | |
| 2015 den an deutschen Bahnhöfen ankommenden Geflüchteten applaudierten oder | |
| an jene, die im Pandemiejahr 2020 aus Wohnungsfenstern Pflegekräfte | |
| bejubelten. | |
| 2017 ist die AfD in den Bundestag eingezogen, auch als Ergebnis einer | |
| gesamtgesellschaftlich unsolidarischen Stimmung gegenüber Geflüchteten. | |
| 2021 arbeiten Pflegekräfte immer noch prekär. Aber vielleicht geht es bei | |
| performativen Solidaritätsbekundungen und der Zurschaustellung von | |
| Solidarität auch eher darum, sich selbst gut zu fühlen – als Einzelner, | |
| aber auch als hilfsbereites, moralisch erhabenes nationales Kollektiv. | |
| 23 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hochwasser-in-Rheinland-Pfalz/!5781570 | |
| [2] https://www.zdf.de/dokumentation/zdf-reportage/die-hochwasser-katastrophe--… | |
| [3] /Meteorologin-ueber-Unwetter-und-Medien/!5781741 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
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