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# taz.de -- Munitionssprengungen in Nord- und Ostsee: Für Schweinswale tödlich
> Nord- und Ostsee sind munitionsverseucht. Eine Studie zeigt: Druckwellen
> von Sprengungen töten Schweinswale. Deren Bestand ist gefährdet.
Bild: Nach den Minensprengungen der Marine: Ein Schweinswal treibt im September…
Osnabrück taz | Manchmal töten Kriege auch noch, wenn sie schon längst
vorbei sind. Auch Nord- und Ostsee sind Schauplätze dieses zeitversetzten
Sterbens.
Ursula Siebert weiß, was das bedeutet. Sie sieht es auf dem Obduktionstisch
bei Schweinswalen. Mitte Januar hat sie im Wissenschaftsmagazin Environment
International dazu eine [1][Studie] veröffentlicht. Wer sie liest, weiß,
was [2][Unterwassersprengungen von Munitionsaltlasten] aus dem Zweiten
Weltkrieg dem Schweinswal antun – der einzigen Walart, die vor Deutschlands
Küsten heimisch ist.
Siebert ist Professorin der Tierärztlichen Hochschule Hannover und leitet
dort das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung
(ITAW). Seit 1990 befasst sich die Wissenschaftlerin mit Schweinswalen.
„Die Veränderung, die in dieser Zeit eingetreten ist, ist dramatisch“, sagt
sie. „Die Situation ist äußerst prekär.“ [3][Die Bestände brächen ein.]
Viele Tiere würden noch nicht einmal mehr so alt, dass sie die
Geschlechtsreife erreichten.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Da ist die [4][Fischerei], in deren
Stellnetzen viele Wale ertrinken. Da ist der [5][Ramm-Schall] der
Fundamentarbeiten für Offshore-Windkraftanlagen. Da sind die
[6][Schadstoffe], die über Schiffe und Flüsse ins Meer gelangen. Seismische
Gesteinserkundung und Speedboat-Lärm spielen eine Rolle, das Mikroplastik,
der Tourismus, der [7][Bau von Pipelines].
Und da ist eben auch das Militär. Nicht nur das der Gegenwart, das mit
Sonar übt und Soldaten beibringt, wie Minen explodieren, sondern auch das
beider Weltkriege – und auch das der Nachkriegszeit, das nach 1945 deutsche
Munition auf See verklappt hat. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller
Spreng- und Brand-Munition verrotten am Grund der deutschen Nord- und
Ostsee, schätzt das Umweltbundesamt: von der Granate bis zum Torpedo. Dazu
kommen 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. TNT tritt ins Wasser aus,
ebenso Quecksilber und Phosphor, Kampfstoffe wie Senfgas, Tabun und
Phosgen.
Eines der wehrlosesten Opfer ist der Schweinswal. Denn was nicht geborgen
und an Land entsorgt werden kann oder durch Taucher entschärft, wird oft
gesprengt. Sind Wale in der Nähe, führt das in ihrem Gehör zu einem
Drucktrauma. Oft ist das tödlich. Noch in weiter Entfernung können die
physischen Schäden erheblich sein. Der Stress ist es sowieso.
Für seine Studie hat Sieberts ITAW-Forschungsteam aus TierärztInnen und
BiologInnen 24 Schweinswale auf Hörschäden untersucht. Im Herbst und Winter
2019 wurden sie an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins tot aufgefunden, in
der Eckernförder, Kieler und der Lübecker Bucht. Kurz zuvor hatte ein
Manöververband der Bundesmarine nahe dem Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt 42
britische Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt – ohne
Schallschutzmaßnahmen und Hinzuziehung der Naturschutzbehörden.
„Das war vielleicht als eine Art Amtshilfe gedacht“, vermutet die
ITAW-Leiterin. „Normalerweile ist so was ja eine zivile Aufgabe. Und an die
Wale hat wohl niemand gedacht.“ Ihr Team fand Explosionsverletzungen,
verursacht durch Druckwellen.
Zwischen 250 und 300 Schweinswale stranden in Deutschland jedes Jahr –
schwere Verluste für die Bestände. In der Nordsee haben die sich womöglich
schon halbiert, fürchtet Siebert. „In der Ostsee ist die zentrale
Population nur noch wenige Hundert Köpfe stark und vom Aussterben bedroht.“
Die westliche sei stärker, rund 40.000 Tiere, aber die lebten vielfach in
dänischen Gewässern.
Wer mit Siebert spricht, hört Sätze, die deprimieren. Sätze wie:
„Schutzgebiete sind nicht viel wert, wenn dort [8][kein wirklicher Schutz
stattfindet]. Und es ist ja auch nicht so, dass sich die Tiere da ständig
drin aufhalten. Außerdem sind sie so klein, dass ein Wal da relativ schnell
durchschwimmt.“ Völlig schwarz sieht Siebert aber nicht, vor allem in
Sachen Munitionsentsorgung: „Das Thema ist präsenter geworden.“ Der Politik
attestiert sie: „Der Wille ist da, es in Zukunft besser zu machen.“
## Hörschäden noch in zehn Kilometern Entfernung
Dagmar Struß, Leiterin der Nabu-Landesstelle Ostseeschutz, sieht das
genauso: „Es hat sehr lange gedauert, aber jetzt ist Problembewusstsein da,
in allen politischen Parteien.“ Robert Habeck habe das als Umweltminister
in Schleswig-Holstein ziemlich gepuscht.
Aber auch Struß gibt sich keinen Illusionen hin: „Ich bezweifle, dass sich
die Schweinswal-Bestände halten können.“ Vor allem der Bundesmarine stellt
sie kein gutes Zeugnis aus: „Wir müssen Sprengungen halt üben, sagen die
mir, das sei eine Frage der Sicherheit. Aber die können mir nicht erzählen,
dass sie dabei wirklich alles tun, um die Wale nicht zu gefährden!“ Wale
erlitten noch in zehn Kilometer Entfernung Hörschäden. „Wie will man denn
feststellen, ob in diesem Radius welche präsent sind?“, fragt Struß.
Große Hoffnungen ruhen derzeit auf [9][neuen Technologien], zumal aus der
Robotik. Eine davon ist die Bergungsplattform Robemm. Von der
Bundesregierung gefördert und vom Fraunhofer-Institut für Chemische
Technologie mitentwickelt, soll sie Munition thermisch entsorgen, nicht
detonativ. Robemm, unbemannt und videogesteuert, schwimmend und mobil,
könnte die Wale entlasten. Retten wird sie sie nicht.
14 Feb 2022
## LINKS
[1] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412021006395?via%3Di…
[2] /Kriegsmunition-in-Nord--und-Ostsee/!5743283
[3] /Schweinswal-Population-der-Nordsee/!5748765
[4] /Kritik-an-deutscher-Fischereipolitik/!5782868
[5] /Kommentar-Windparks-in-der-Ostsee/!5589057
[6] /Ostsee-auf-der-Kippe/!5538765
[7] /Gasbohren-im-Wattenmeer/!5773203
[8] /Meeresschutz-nicht-umgesetzt/!5758770
[9] /Verrottende-Weltkriegsmunition/!5774314
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Schweinswal
Ostsee
Nordsee
Schwerpunkt Artenschutz
Tierschutz
Munition
Chemie
Robert Habeck
Fischerei
Umwelt
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