# taz.de -- Gasbohren im Wattenmeer: Borkum will keinen Bohrturm | |
> Ein niederländischer Konzern will vor der Insel Borkum Erdgas fördern – | |
> Naturschutzverbände und betroffene Kommunen kritisieren das Vorhaben. | |
Bild: Gute Luft und ringsherum Watt: Insel Borkum | |
GÖTTINGEN taz | [1][Borkum] ist die westlichste und mit knapp 31 | |
Quadratkilometern Fläche zugleich die größte der Ostfriesischen Inseln. | |
Rund 30 Kilometer sind es bis zum Festland, Urlauber schätzen auf Borkum | |
unter anderem die gute Luft. Teile der Insel und das angrenzende Watt | |
gehören zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. | |
Doch niederländische Pläne zur [2][Erdgasförderung in der Nordsee] nahe der | |
Insel schrecken Umweltschützer und Touristiker auf. Eine Genehmigung des | |
Vorhabens konterkariere die deutschen Klimaschutzziele, kritisieren | |
Verbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der | |
Naturschutzbund (Nabu). | |
Nach Angaben des [3][niedersächsischen Landesamtes für Bergbau, Energie und | |
Geologie (LBEG)] beabsichtigt das niederländische Unternehmen ONE Dyas | |
B.V., in den nächsten zehn bis 25 Jahren Erdgas aus dem Feld N05-A zu | |
fördern. | |
Dazu sollen eine Erdgasförder- und -aufbereitungsplattform errichtet und | |
betrieben, eine Pipeline auf niederländischem Hoheitsgebiet zur vorhandenen | |
Nordgas-Transportleitung neu gebaut sowie ein Kabel zur Stromversorgung zum | |
Offshore-Windpark Riffgat im deutschen Sektor der Nordsee verlegt werden. | |
## 500 Meter vor deutschen Gewässern | |
Der vorgesehene Standort der Plattform N05-A liegt laut LBEG im | |
niederländischen Küstenmeer etwa 500 Meter von den deutschen | |
Hoheitsgewässern entfernt und ungefähr 20 Kilometer vor der Küste von | |
Borkum. Teile des Erdgasfeldes N05-A befinden sich auf deutschem | |
Hoheitsgebiet und grenzen direkt an den Nationalpark, der als Weltnaturerbe | |
einen besonderen Schutz genießt. Weitere Felder, in denen Erdgas vermutet | |
wird, befinden sich zum Teil ebenfalls vollständig oder teilweise auf | |
deutschem Gebiet. | |
Aktuell läuft unter Federführung des niederländischen Ministeriums für | |
Wirtschaft und Klima das vorgeschriebene Verfahren zur Prüfung der | |
Umweltverträglichkeit des Vorhabens. Weil auch Auswirkungen auf Deutschland | |
entstehen, wurde die Bundesrepublik in das Verfahren miteinbezogen. Bis | |
Anfang Juni lagen die Pläne des Unternehmens öffentlich aus, Bürger konnten | |
Einwände erheben. Sie werden derzeit ausgewertet. | |
BUND, Nabu und weitere Umweltorganisationen fordern die Bundesrepublik | |
Deutschland auf, das Vorhaben strikt abzulehnen. Sie bemängeln, dass die | |
Pläne in mehrfacher Hinsicht nationalen und internationalen Verpflichtungen | |
für Klima-, Natur- und Meeresschutz widersprechen. „Eine weitere | |
Erdgasförderung in der Nordsee darf auf keinen Fall genehmigt werden, denn | |
sie steht im diametralen Gegensatz zu nationalen und internationalen | |
Klimaschutzzielen“, sagt etwa der [4][niedersächsische BUND]-Vorsitzende | |
Heiner Baumgarten. | |
Angesichts des kürzlich ergangenen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, | |
in dem das deutsche Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig | |
erklärt wurde, und dem jüngsten Gerichtsurteil in Den Haag, das den | |
Ölkonzern Shell zu einer deutlichen Reduktion seiner Emissionen | |
verpflichtet, müssten weitere Planungen zur Erdöl- und Erdgasförderung | |
sofort eingestellt werden. | |
„Diese Vorhaben führen geradewegs in die Klima- und Naturkatastrophe“, so | |
Baumgarten. „Alle Anstrengungen müssen in den Ausbau erneuerbarer Energien | |
fließen, anstatt die Gewinnung klima- und naturschädlicher fossiler | |
Energien weiter auszubauen.“ | |
Die Installation der Plattform, das Niederbringen von Tiefbohrungen, die | |
Verlegung von Rohren und Kabeln und die Erdgasproduktion hätten den | |
Verbänden zufolge gravierende Auswirkungen auf die Meeresumwelt und das | |
Weltnaturerbe Wattenmeer mit seinen Insel- und Küstengebieten. Es gebe | |
Risiken durch ein mögliches Austreten von Kohlenwasserstoffen, | |
Bohrschlämmen und Lagerstättenwasser, aber auch durch Erdbeben und | |
erhebliche Absenkungen von Land und Meeresboden. | |
Die betroffenen Schutzgebiete im Küstenbereich hätten zum Beispiel enorme | |
Bedeutung als Nahrungs- und Rastgebiet für Zigtausende von Zugvögeln, die | |
durch das Vorhaben beeinträchtigt würden, urteilt Nabu-Landeschef Holger | |
Buschmann. | |
Auch der World Wide Fund for Nature (WWF) befürchtet, dass das Vorhaben der | |
Meeresnatur massiv schadet. „Durch Unterwasserlärm, Verschmutzung und | |
Lebensraumzerstörung sind sensible und streng geschützte Arten wie der | |
Schweinswal, aber auch Fische und Riffstrukturen betroffen“, sagt Carla | |
Langsenkamp, Meeresschutzexpertin beim WWF. | |
Sie verweist darauf, dass auf der deutschen wie auf der niederländischen | |
Seite des Gebietes der geplanten Bohr- und Förderplattformen mit der | |
Wiederansiedlung der in der südlichen Nordsee ausgestorbenen Europäischen | |
Auster begonnen wurde. Die Anstrengungen, der Unterwassernatur eine | |
verlorene Art zurückzugeben, dürften nicht gefährdet werden. | |
Außer den Umweltverbänden protestieren auch die Landesjägerschaft | |
Niedersachsen, Fischereiverbände und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald | |
gegen die Bohr- und Förderpläne. Auch die Städte Borkum und Norderney | |
lehnen das Projekt ab. „Gerade im Hinblick auf die empfindliche Störung des | |
einzigartigen insularen Lebensraumes für Mensch und Natur ist die | |
Erweiterung von Industrieanlagen in der näheren Umgebung der Ostfriesischen | |
Inseln nicht akzeptabel“, heißt es in einer Stellungnahme der beiden | |
Kommunen. | |
## Nationalpark angebohrt | |
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) spricht sich ebenfalls gegen | |
die niederländischen Pläne aus. Sie passten nicht in die Zeit, wenn auf | |
europäischer Ebene breit über den Klimaschutz und Klimaneutralität | |
diskutiert werde. Das europäische Recht schreibe bei derartigen Vorhaben | |
eine umfassende Beteiligung von betroffenen Nachbarstaaten vor, die | |
Niedersachsen intensiv nutzen werde, kündigte Lies an. | |
Das Land arbeite an einer Novelle des Nationalparkgesetzes, die ein Verbot | |
von Erdöl- und Erdgasförderung vorsieht: „Es ist doch widersinnig, wenn wir | |
solche Bohrungen im Wattenmeer unterbinden und dann der Nationalpark von | |
der Seite angebohrt wird.“ | |
Die Landtagsgrünen trauen den Worten von Lies indes nicht. Die politischen | |
Versprechungen des Umweltministers seien nicht glaubwürdig, sagte die | |
Abgeordnete Imke Byl gestern. Seit zwei Jahren kündige Lies ein Bohrverbot | |
im sensiblen Ökosystem des Wattenmeers an, „doch aus den hehren Reden folgt | |
nichts“. | |
Dem Landtag liege für das kommende Plenum ein Gesetzentwurf der | |
Regierungsfraktionen zum Nationalpark Wattenmeer vor. In diesem Antrag | |
stehe zum Verbot von Öl- und Gasbohrungen kein Wort. Die Grünen kündigten | |
einen Änderungsantrag für ein klares Bohrverbot im Wattenmeer an. | |
8 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Insel-Tourismus-laeuft-an/!5682326 | |
[2] /Gasfoerderung-im-Wattenmeer/!5458652 | |
[3] https://www.lbeg.niedersachsen.de/startseite/ | |
[4] https://www.bund-niedersachsen.de/ | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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