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# taz.de -- Studie des Helmholtz-Zentrums Geesthacht: Der neue Schrecken der Me…
> Organophosphate dienen als Flammschutzmittel. Einst als
> umweltverträglichere Alternative eingeführt, sind sie längst selbst ein
> Problem geworden.
Bild: Modell eines Tris(2-chloroethyl)phosphat-Moleküls: Es findet sich in Ele…
Bremen taz | Die [1][Klimakrise] ist in aller Munde, auch die Krise der
[2][Biodiversität] ist relativ bekannt. Anders ist es mit der chemischen
Verschmutzung, obwohl auch diese Krise durchaus dramatische Schlagzeilen
erlauben würde. Etwa die, dass die planetare [3][Belastungsgrenze für
Schadstoffe] eigentlich schon überschritten ist.
Ein weiteres Problem der Chemikalienbelastung ist die Unklarheit, die dabei
in vielen Bereichen herrscht. Eine [4][neue Studie], die im Fachmagazin
Nature erschienen ist, bringt nun zumindest über eine Chemikaliengruppe
etwas mehr Licht ins Dunkel. Sie beschreibt die Verbreitung und
Konzentration sogenannter Organophosphatester, kurz OPEs.
Diese Chemikalien werden etwa als Flammschutzmittel in Elektrogeräten, als
Weichmacher oder als UV-Schutz in Kosmetik benutzt. „Sie machen uns das
Leben leichter“, sagt Zhiyong Xie, Umweltchemiker am Helmholtz-Zentrum in
Geesthacht und Hauptautor der Studie. Einige dieser Stoffe wurden nun
jedoch in so hohen Konzentrationen gefunden, dass die Forschenden Alarm
schlagen.
Das Forschungsteam um Xie wertete über 200 Studien zum Vorkommen von OPEs
in der Umwelt aus. Die hohe Konzentration einiger dieser Chemikalien auch
an entlegenen Orten wie Arktis und Antarktis überraschte sogar den
Chemiker, der sich seit über zehn Jahren mit diesen Stoffen beschäftigt und
dafür selbst an mehreren Expeditionen in der Arktis beteiligt war.
„Wir sehen, dass OPEs sowohl über Meeresströmungen als auch über die Luft
von den Kontinenten zu sehr weit entfernten Regionen transportiert werden“,
erklärt Xie. Vermutlich begünstigen auch die Ströme von Mikroplastik im
Meer diese Verbreitung. Zusätzlich verschärft die Klimakrise das Problem,
denn Gletscher schließen große Mengen an Chemikalien aus Luft und Wasser im
Eis ein. Schmelzen sie, fließen die Stoffe in großen Mengen ins Meer. Aus
unseren Elektrogeräten und Kosmetika in die Umwelt gelangen OPEs vor allem
übers Abwasser, aber auch über Deponien und Müllverbrennungen.
Kläranlagen können die Stoffe nicht ausreichend filtern. Allein aus den
Flüssen Elbe, Ems und Weser gelangen pro Jahr rund 50 Tonnen der Stoffe in
die Nordsee. Es gibt Hinweise darauf, dass ihre Halbwertszeit vor allem in
der Atmosphäre bisher unterschätzt wurde. Und selbst wenn sie zerfallen,
sind sie damit noch nicht aus der Welt. „Sie werden zu einer neuen
Substanz, über die wir bisher aber kaum etwas wissen“, sagt Xie.
Die Forschung über die Auswirkungen von OPEs steht noch am Anfang. Studien
zeigen jedoch, dass zumindest einige von ihnen sehr schädlich sind.
Schädlichkeit wird bei Stoffen vor allem durch ihre Persistenz definiert,
also ihrer Stabilität in der Umwelt. Andere Faktoren sind ihre Giftigkeit,
ihre Anreicherung in Organismen, und ihre Mobilität. OPEs reichern sich in
Fischen an und wurden mittlerweile auch in Eisbären gefunden. Besonders
besorgniserregend ist, dass einige von ihnen im Verdacht stehen, hormonell
wirksam zu sein. Sie könnten die Fortpflanzungsfähigkeit von
Meeresorganismen einschränken.
Seit Anfang der 2000er-Jahre ist die weltweite Produktion von OPEs rasant
gestiegen. Ein Grund dafür: das EU-weite Verbot sogenannter PBDEs, also
Pentabromdiphenylether, im Jahr 2004. Sie dienten als Flammschutzmittel und
wurden oft durch OPEs ersetzt. Die hielt man für weniger giftig und
persistent. Das ist leider nicht der Fall, im Gegenteil: Eine [5][Studie
von 2019] zeigt, dass OPEs nicht nur ähnlich schädlich sind, sondern ihre
Konzentration bereits heute um ein Vielfaches höher ist als die der PBDEs
je war.
Als „regrettable substitutions“ bezeichnet man diese Vorgänge, bei denen
ein schädlicher Stoff durch einen anderen ersetzt wird, der sich als ebenso
problematisch erweist. Die Forschenden fordern deshalb dringend
Regulierungen. „Wir werden die internationalen Organisationen
wahrscheinlich nicht zu einem Produktionsstopp bewegen können, aber wir
können mit unseren Forschungen Aufmerksamkeit auf das Thema lenken“, sagt
Xie.
Einzelne Stoffe der Gruppe sind innerhalb der EU zumindest in
Kinderspielzeug verboten. Industriechemikalien wie OPEs werden in Europa
durch die sogenannte REACH-Konvention reguliert. Die Forschenden um Xie
fordern jedoch gleich eine Aufnahme in die Liste der Stockholmer
Konvention. Dieses internationale Übereinkommen, bekannt unter dem Namen
POP-Konvention, regelt den Gebrauch bestimmter langlebiger, also
persistenter, organischer Schadstoffe.
Es wurde bisher durch 185 Staaten ratifiziert. Xie zufolge erfüllen einige
OPEs durchaus die für eine Aufnahme in die POP-Konvention notwendigen
Kriterien: Bioakkumulation, also die Anreicherung in Gewebe, Persistenz und
Giftigkeit. Ihm sei es ein Rätsel, dass Stoffe, die in geringeren Mengen in
der Umwelt vorkommen, unter besonderer Beobachtung stehen, OPEs aber nicht,
so der Umweltchemiker.
Auch das Umweltbundesamt (UBA) sorgt sich um die hormonelle Wirksamkeit der
OPEs. „Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, braucht es entsprechende
Regulierungsmaßnahmen, um die Umwelteinträge so weit wie möglich zu
reduzieren“, sagt Jürgen Arning, Chemiker am UBA.
Arning sieht einen Zielkonflikt zwischen technischer Funktion und möglichst
guten Umwelteigenschaften von als Flammschutzmittel eingesetzten
Chemikalien generell: Denn in diesen seien gerade aufgrund ihrer Funktion
die chemischen Bindungen besonders stark und können damit häufig nur schwer
in der Umwelt abgebaut werden.
## Problematische Elektrogeräte
Um dem zu begegnen, könnte man auch einige Schritte früher ansetzen. Janna
Kuhlmann vom BUND ist Chemikerin und verweist auf die Problematik der immer
kurzlebigeren Elektrogeräte.
Auch über den Gebrauch von chemischen Flammschutzmitteln generell lässt
sich laut Kuhlmann diskutieren. „Das ist eigentlich Stoff für eine
gesellschaftliche Diskussion, welche Risiken wir an welcher Stelle eingehen
möchten.“ Die Autor:innen einer Studie zu OPEs beschreiben einen Weg,
den Gebrauch dieser Mittel in Alltagsgeräten zu reduzieren: Wird die
Energieversorgung, etwa bei Fernsehern, aus dem Gerät ausgelagert, könnte
das Plastik des Fernsehers mit weniger Flammschutzmitteln behandelt werden.
Die unterschätzte Lebensdauer und die große Verbreitung von OPEs zeigen die
globale Dimension der Krise. Auch der BUND fordert daher, Stoffpolitik
stärker auf die globale Ebene zu heben und plädiert für ein internationales
Gremium, ähnlich dem Weltklimarat IPCC, zur Regulierung von Chemikalien und
zur Förderung einer nachhaltigen Stoffpolitik.
Dazu gehört laut Kuhlmann auch, die Vielfalt von Chemikalien drastisch zu
verringern. „Das Thema chemische Verschmutzung als Teil der Ressourcenkrise
gehört auf die gleiche Ebene wie Diskussionen zum Klima und zur
Biodiversität“, sagt sie. Denn „diese drei Krisen bedingen sich
gegenseitig“.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
[2] /Biodiversitaet/!t5010056
[3] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.1c04158
[4] https://www.nature.com/articles/s43017-022-00277-w
[5] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.estlett.9b00582
## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
Chemie
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Landwirtschaft
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