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# taz.de -- Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan: Taliban vor den Städten
> Deutschland hat seine letzten Soldaten aus Afghanistan ausgeflogen. Die
> Islamisten fahren unterdessen eine Großoffensive im ländlichen Raum.
Bild: Widerstand gegen Taliban-Vormarsch in Afghanistan
Während die Bundesregierung Dienstagnacht ihre letzten Soldaten aus
Afghanistan ausflog, sieht sich die dortige Bevölkerung einem
Taliban-Vormarsch gegenüber, wie es ihn seit deren Machtübernahme zwischen
1994 und 1996 nicht mehr gegeben hat. Dass Berlin bis zuletzt einen
Taliban-Angriff auf das Bundeswehrcamp bei Masar-i- Scharif befürchtete und
deshalb der Termin des letzten Fluges mit dem deutschen Kommandeur
Brigadegeneral Ansgar Meyer an Bord geheime Verschlusssache war, deutet an,
wie besorgniserregend die Lage inzwischen ist.
[1][Seit US-Präsident Joe Biden noch einmal einseitig den mit den Taliban
vereinbarten Abzugstermin zum 1. Mai auf den 11. September] – ein
symbolträchtiges Datum – verschoben hatte, setzten die Aufständischen zu
einer landesweiten Großoffensive im ländlichen Raum an. In allen sieben
Regionen des Landes eroberten sie etwa 100 von 388 Distriktzentren.
Ihr Sprecher Suhail Schahin behauptete Ende Juni, sie beherrschten 163
Distrikte vollständig und weitere größtenteils, 80 Prozent des
Staatsgebietes. Und tatsächlich hält die afghanische Regierung in vielen
Distrikten nur noch entweder den Hauptort – manchmal sogar nur den
befestigten Sitz des örtlichen Gouverneurs – oder ein paar Militär- oder
Polizeibasen. Auch wenn Regierungstruppen einige Distrikte wieder
zurückeroberten, verschoben die Taliban das Kräftegleichgewicht noch einmal
zu ihren Gunsten.
Sie wollen den militärischen Druck hoch halten und die Regierungstruppen
durch Überlastung demoralisieren, die in immer wieder neuen Gebieten
Einsätze fahren müssen. Die Truppen erleiden hohe Verluste und können sich
nicht mehr auf US-Luftunterstützung verlassen. Die gibt es nur noch in
raren Ausnahmefällen, wie vergangene Woche zweimal in den Nordprovinzen
Kundus und Baglan, beides ehemalige Bundeswehrstandorte. Am 10. Juni ließ
US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin es offen, ob es das nach Abschluss
des Abzugs überhaupt noch geben werde.
## Taliban nähern sich Kabul
Immer wieder fehlt den Regierungskämpfern Nachschub, und sie müssen sich
den Taliban ergeben. Die lassen sie mittlerweile meist am Leben – gegen die
Zusicherung, künftig nicht mehr mitzukämpfen. Oft vermitteln örtliche
Älteste die Übergabe. Die Regierung reagierte darauf mit Verhaftungen. Für
sie stellen die Geländegewinne der Taliban einen Kontroll- und
Souveränitätsverlust dar.
Noch wird um eher periphere Gebiete gekämpft. Aber die Taliban rücken immer
mehr an die Provinzhauptstädte und selbst an Kabul heran. Laut der
US-Webseite „Long War Journal“ stehen 17 von Afghanistans 34 Provinzzentren
unter „direkter Bedrohung“. Dazu gehört der letzte Bundeswehrstandort
Masar-i-Scharif, vor dessen Toren die Taliban zuletzt drei Distrikte
eroberten. In Baglans Zentrum Pul-i-Chumri wurde schon im Stadtgebiet
gekämpft. Einem Korrespondentenbericht der Londoner Times zufolge nähern
sich die Taliban auch der Großstadt Herat.
Die Regierung versucht, der Lage mit der Aufstellung immer neuer Milizen
Herr zu werden. Was als spontaner Volksaufstand verkauft wird, wird
größtenteils vom nach wie vor CIA-finanzierten Geheimdienst NDS
organisiert. Die neue, als Keta-je Mafrasa (Hilfseinheiten) bezeichnete
Truppe wird vor allem über die formal mit der Regierung verbündeten
Warlords und lokale Kommandeure und oft auf ethnischer Grundlage
mobilisiert.
Das verschärft die komplizierte Konfliktlage, die sich nicht auf die
Gegnerschaft von Regierung und Taliban beschränkt. Die Warlords spielen ihr
eigenes politisches Spiel und sorgen finanziell und mit Waffen [2][für die
nächste Runde der Verteilungskämpfe um die Macht vor.] Die könnten einige
von ihnen durchaus auf die Seite der Taliban tragen.
30 Jun 2021
## LINKS
[1] /US-Truppenabzug-aus-Afghanistan/!5761082
[2] /Aufstaendische-am-Hindukusch/!5670563
## AUTOREN
Thomas Ruttig
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Afghanistaneinsatz
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