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# taz.de -- Unabhängiger Polizeibeauftragter: „Es braucht Fingerspitzengefü…
> Berlin sucht hinter den Kulissen nach einem Polizeibeauftragten.
> Transparenz wäre sinnvoller, sagt Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.
Bild: Den Opfern geht es um die Bestätigung, dass ihnen Unrecht geschieht
taz: Herr Feltes, die Fraktionsspitzen der rot-rot-grünen Landesregierung
handeln derzeit hinter den Kulissen unter sich aus, wer Polizeibeauftragter
von Berlin werden soll. Was halten Sie von diesem Vorgehen?
Thomas Feltes: Die Tätigkeit eines Polizeibeauftragten ist sehr komplex und
anspruchsvoll, daher wäre ein offenes und transparentes
Ausschreibungsverfahren sinnvoll gewesen. Das hinter den Kulissen
durchzuführen, entspricht nicht dem, was ich erwartet hätte, wenn man
wirklich eine Bestenauswahl treffen will.
Was sollte man für diesen Posten mitbringen?
Das Profil ähnelt dem der oftmals bemühten „Eier legenden Wollmilchsau“.
Sie oder er soll vieles, wenn nicht sogar alles können. Einerseits braucht
man jemanden, der die Administrationsabläufe und das System Polizei von
innen kennt, der die fachliche Expertise hat, um Polizeiverhalten zu
beurteilen, der aber auch weiß, wo Fallstricke lauern. Gleichzeitig muss
die Person einen Blick auf das System Polizei von außen haben, integer und
unabhängig sein. Diese Kombination ist extrem schwierig zu finden.
Hätten Sie einen Vorschlag?
Bundesweit fallen mir zwei oder drei Personen ein, aber ich glaube nicht,
dass die gewollt wären, weil sie eine zu kritische Grundhaltung mitbringen.
Ein radikaler Polizeikritiker kommt also nicht infrage?
Es wäre zumindest mutig, den Posten mit so einer Person zu besetzen. In der
Polizei wäre mit extremen Widerständen bis hin zum Boykott zu rechnen, auch
und besonders durch die Polizeigewerkschaften. Wenn die Person etwas
bewirken soll, wäre eine strategische Entscheidung für jemanden mit einer
gewissen Akzeptanz vernünftig.
Die Aufgaben des Polizei- und Bürgerbeauftragten sind in einem eigenen
Gesetz geregelt: Ziel sei, „auf eine einvernehmliche Lösung der
Angelegenheit hinzuwirken“. Das klingt eher nach Mediation, oder?
Ein Mediationsverfahren ist immer sinnvoll, wenn es um zwischenmenschliche
Konflikte geht, mit denen wir es ja hier zu tun haben. Das setzt aber viel
Fingerspitzengefühl voraus und die Bereitschaft von beiden Seiten, sich
darauf einzulassen. Nach allem, was sich in der Polizei in den letzten
Jahren ereignet hat, wird das schwierig.
Geht das konkreter?
Von Polizeiwillkür Betroffene beklagen, dass sie nicht ernst genommen
werden. Dass man nicht das Gespräch mit ihnen sucht, sich nicht
entschuldigt.
Könnte eine Mediation ein Straf- und Disziplinarverfahren ersetzen?
Das Interesse von vielen Antragstellern und Opfern wäre durch eine
erfolgreiche Mediation vermutlich abgedeckt. Ich persönlich halte von
Straf- und Disziplinarverfahren wenig, weil dadurch keine echte
Verhaltensänderung bewirkt wird. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist aus gutem
Grund auch in das Strafverfahren eingeführt worden, er wird aber leider
viel zu selten genutzt.
Der Polizeibeauftragte hat dem Abgeordnetenhaus einmal im Jahr einen
Bericht vorzulegen. Was wäre bestenfalls zu erwarten?
In diesem Bericht wird es auch darum gehen, strukturelle Probleme im Umgang
mit polizeilichem Fehlverhalten aufzeigen. Für die Polizeibehörde muss das
Anlass sein, die eigene Fehlerkultur zu hinterfragen. Zurzeit ist der
Umgang mit Fehlern eher auf Vertuschen und Verschleiern angelegt. Dabei
geht es den meisten Opfern nicht um Schadenersatz oder Bestrafung der
Täter. Sie wollen die Bestätigung, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Es
geht um Genugtuung, um „restorative justice“, wie es im Englischen genannt
wird, um wiederherstellende Gerechtigkeit. Mit einer vernünftigen
Fehlerkultur lässt sich das erreichen.
Der Polizeibeauftragte wird für eine Amtszeit von sieben Jahren mit
einfacher Mehrheit vom Abgeordnetenhaus gewählt. Die vorzeitige Abwahl ist
nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich. Wäre er im Fall eines
Regierungswechsel davor geschützt, dass ihm Widersacher in die Beine
grätschen?
Man kann einer solchen Person das Leben extrem schwer machen, sie
blockieren oder ihr so viele Steine in den Weg legen, dass sie das Amt
früher oder später aufgibt. In Verwaltung und Politik ist so etwas durchaus
üblich. Allerdings wird man die Institution an sich, wenn es sie einmal
gibt, nicht wieder abschaffen können. Um erfolgreich zu arbeiten, muss man
aber dieses Fingerspitzengefühl an den Tag legen, damit sich die
Einrichtung auf Dauer etabliert und von allen Seiten akzeptiert wird.
Wie könnte das aussehen?
Wichtig ist, dass den Opfern signalisiert wird: Wir sind für euch da.
Politik und Polizei sollten erfahren, dass es keine Institution ist, die
einseitig gegen die Polizei agiert. Dadurch, dass Probleme transparent
aufgearbeitet werden, werden auch die Legitimität polizeilichen Handelns
und das Ansehen in der Öffentlichkeit verbessert, was mir im Moment
besonders wichtig erscheint.
Auch die Landesdatenschutzbeauftragte ist unabhängig und nur dem Gesetz
unterworfen. Aber ihre Mahnungen werden gern in den Wind geschlagen.
Das Problem besteht auch bei Polizeibeauftragten, wenn sie zur symbolischen
Einrichtung verkommen. Allerdings ist Datenschutz per se eine trockene
Angelegenheit, während wir es beim Polizeibeauftragten mit dem Verhalten
von Menschen und mit Polizeigewalt zu tun haben. Das hat eine andere
Öffentlichkeitswirkung, gerade auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in
den letzten Monaten und Jahren.
Worauf wollen Sie hinaus?
Unabhängigen Medien ist es zu verdanken, dass polizeiliches Fehlverhalten
auch öffentlich diskutiert wird. Diesen unabhängigen, investigativen
Journalismus brauchen wir gerade in diesem Bereich. Nur wenn Journalisten
Fälle aufnehmen und den Opfern so eine Stimme geben, besteht eine Chance,
dass eine behördeninterne oder justizielle Untersuchung stattfindet.
Ist damit zu rechnen, dass die Beschwerdestelle mit Fällen überhäuft wird?
Das hängt entscheidend davon ab, wie niedrigschwellig der Zugang ist. Eine
Gruppe von Wissenschaftlern, zu denen ich gehöre, untersucht derzeit in
einem internationalen Projekt genau diese Frage: Wie muss eine solche
Stelle beschaffen sein, um möglichst von allen akzeptiert zu werden und
dennoch effizient zu arbeiten. Die aktuelle und viel diskutierte Studie von
Tobias Singelnstein zur Polizeigewalt hat deutlich gemacht, dass wir es mit
einem erheblichen Dunkelfeld von Polizeigewalt zu tun haben.
Singelnstein ist Ihr Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kriminologie an der
Ruhr-Universität in Bochum.
Auch mich erreichen wöchentlich Berichte von Menschen, die Opfer von
polizeilichem Fehlverhalten verschiedenster Art wurden. Sie leiden darunter
extrem, und viele verlieren durch die abwehrende Reaktion von Polizei und
Staatsanwaltschaft das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Für die
Beschwerdestelle wird es wichtig sein, die Spreu vom Weizen zu trennen, zu
entscheiden, welche Fälle müssen genauer untersucht werden und welche
nicht. Das ist nicht immer einfach, denn natürlich sind auch Querulanten
und psychisch gestörte Menschen darunter.
Was schlagen Sie vor?
Auch diese Fälle müssen objektiv untersucht werden, aber man wird auf
psychologische Unterstützung zurückgreifen müssen. Was nicht passieren
darf, ist das, was wir in der Kriminologie sekundäre Viktimisierung nennen:
dass Menschen in einem solchen Verfahren nochmals zum Opfer gemacht werden,
weil sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden oder ihnen wieder
Unrecht angetan wird.
Unter den [1][Bundesländern] hat Berlin das wohl fortschrittlichste
Polizeibeauftragten-Modell. Wie verhält sich das im europäischen Vergleich?
Viele Länder in Europa haben solche Einrichtungen. In England, Portugal und
Dänemark sind das wirklich gut ausgestattete Einrichtungen, teilweise haben
sie sogar eigene Ermittlungskompetenzen. So hat die
Polizeibeschwerdebehörde in Aarhus in Dänemark 34 Ermittler, ein
Jahresbudget von 2,8 Millionen Euro, und das bei gerade einmal rund 11.000
Polizisten. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen hat der
Landespolizeibeauftragte eine Mitarbeiterin, eine Sekretärin und 150.000
Euro jährlich – für 54.000 Polizeibeschäftigte.
Auch der Berliner Polizeibeauftragte erhält eine gut ausgestattete
Geschäftsstelle, und er kann auch Dienststellen aufsuchen. Bei laufenden
Straf- und Disziplinarverfahren sind seine Befugnisse laut Gesetz aber
stark beschnitten.
Wenn ein Betroffener einen Beamten wegen Körperverletzung im Amt oder
Nötigung angezeigt hat und ermittelt wird, ist eine Akteneinsicht nicht
mehr möglich. Dem Polizeibeauftragten sind dann die Hände gebunden. Damit
bleiben alle Fälle von Polizeigewalt außen vor, es sei denn, der Betroffene
erstattet keine Anzeige. Und es bedeutet auch, dass sich Polizeibeamte
nicht vor dem Polizeibeauftragten äußern werden – und auch nicht müssen �…
wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht.
Dann ist der Polizeibeauftragte in Wirklichkeit zahnlos?
Die Klausel ist juristisch in Ordnung, führt aber zu einer Kastration des
Polizeibeauftragten. Sie könnte sogar zum Bumerang werden für die Opfer,
weil dann noch häufiger Polizeibeamte eine Strafanzeige erstatten, um zu
verhindern, dass der Polizeibeauftragte die Sache untersucht. Dann haben
wir tatsächlich nicht wirklich viel erreicht. Die Betroffenen haben dann
wieder den Eindruck, dass man ihren Problemen nicht nachgeht, sondern sie
vertröstet.
Als Polizeiwissenschaftler haben Sie alle Bundesländer im Blick. Wie nehmen
Sie die Berliner Polizei wahr?
Die Berliner Polizei ist so bunt wie die Stadt. Um den [2][Pressesprecher
Thilo Cablitz] dürften Berlin viele andere Städte beneiden. Dafür gibt es
auch Schattenseiten, vor allem aufgrund der sozialen Probleme in Berlin. Es
kommt letztlich immer darauf an, wie sich die Polizei in einem Einzelfall
darstellt. Leider haben wir viele Fälle von Polizeigewalt in Berlin, auch
mit tödlichem Ausgang, die nicht transparent aufgearbeitet worden sind.
Aber man muss immer vorsichtig sein.
Was wäre Ihr Fazit?
Eine Polizei zu führen ist eine extrem schwierige Aufgabe, weil durch
polizeiliches Handeln in den Kernbereich von Demokratie und Menschenrechten
eingegriffen wird. Im Grunde genommen brauchen wir Polizistinnen und
Polizisten, die Menschenrechte verteidigen und dafür auch einmal den
staatlichen Strafanspruch hintanstellen.
23 Apr 2021
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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